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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Aber Stella vergaß dies nicht. Nach ein paar Schritten drehte sie den Kopf zurück, blickte die junge Schwester an und dabei war der Ausdruck ihres Gesichtes gänzlich verwandelt; die süße Wehmuth, die stille Trauer waren wie weggewischt, es stand ein triumphierendes Leuchten in ihren Augen, als ob sie sagen wollte: „Ja, ja, Gerda, sieh mich nur mit großen Augen an – ich habe sie alle am Fädchen – und Deinen ehrbaren Herrn Andree auch!“

Da gingen sie hin – das duftige weiße Seidenkleid leuchtete noch einmal zwischen dem Grün der Gesträuche auf – nun war es verschwunden.

Und verschwunden war auch Gerdas Kinderfreude an ihrem neuen Anzug und an ihrer Frisur und an der Thatsache, daß sie heute als junge Dame am Diner theilnehmen sollte. Sie blickte an ihrem weißen Kleidchen hinunter und zupfte mechanisch an den Spitzen, und auf die echten La France-Rosen fielen ein paar helle Thränen nieder. –

Der große Gartensaal machte sich sehr hübsch mit den langen, reich geschmückten Tafeln und den Gruppen von hohen blühenden Büschen und Blumen in allen vier Ecken. Die breiten Flügelthüren, die zum Garten führten, waren zurückgeschlagen und ließen die milde, wohlige Mailuft hereinströmen. Süßer Fliederduft zog durch den weiten Raum, und die Silber- und Krystallgeräthe auf den Tafeln warfen funkelnde Garben im hellen Sonnenlicht.

Stella Brühl saß zwischen Andree und dem Prinzen.

Sie schien die düstere, stirnrunzelnde Miene, den vorwurfsvollen Blick des hochgeborenen Herrn gar nicht zu verstehen, sie sah mit ihrem unbefangen strahlenden Lächeln zu ihm auf, wenn er mit ihr sprach, und gab sich so geschickt den Anschein, das ganze Gespräch, das sie damals im Garten mit dem Prinzen geführt und dessen Inhalt sich auf Andree bezogen hatte, ganz vergessen zu haben, daß der Kavalier an ihrer Seite ganz stutzig wurde und sich ernstlich fragte, ob es wirklich möglich sei, daß ein junges bürgerliches Mädchen seinen – des Prinzen Riantzew! – nachdrücklich betonten Worten so wenig Beachtung schenken, ja, dieselben in unglaublich kurzer Zeit geradezu vergessen könne!

Für Andree hatte dies junge Mädchen, wenn sie sich von dem Prinzen ab- und dem Maler zuwandte, einen ganz andern Ausdruck. Nichts von strahlender Unbefangenheit und Seelenheiterkeit! Blumenhaft lieblich blickten die sehnsuchtsvoll verschleierten Augen, wehmüthig war das Lächeln um die süßen Lippen, und in der Stimme zitterte ein warmer Herzenston. Wenn sie zu Andree aufsah, dann schien sie sagen zu wollen: „Ich muß Komödie vor den andern spielen – Du allein weißt es! Und Du allein weißt auch, warum es eine Komödie für mich ist, und an wen mein Herz denkt und um wen es im tiefsten Innern trauert und weint!“

Nichts gefährlicher, als solch ein stilles Geheimniß zu zweien, von denen der eine Theilnehmer ein wunderschönes Mädchen, der andere ein heiß und tief empfindender, schönheitstrunkener Künstler ist! Immer wieder trafen sich die Blicke der beiden im stillen Einverständniß – immer mehr spann sich der Zauber um den Mann, als sei er allein mit ihr auf einer kleinen, verborgenen Insel der Glückseligkeit, auf dem märchenhaften Eiland, von dem die Dichter singen, zu dem niemand ein Recht, niemand Zutritt hatte als nur er und sie, und ein stiller Dritter noch – ein Toter, der ihren Bund geweiht hatte, der ihnen immer gegenwärtig sein durfte … war er es doch, der sie zusammengeführt hatte!

Und Waldemar Andree neigte sich zu seiner Nachbarin und flüsterte:

„Ich habe ein kleines Porträt in Pastellfarben für Sie angefertigt, und ich bin glücklich, daß es sprechend ähnlich geworden, daß es mir gelungen ist. Sie wissen, wen es darstellt?“

Sie neigte mit gesenkten Augen das Köpfchen.

„Und ich darf es Ihnen bringen – bald bringen – und Sie wollen es von mir annehmen und als Ihr Eigenthum ansehen?“

Sie flüsterte ein Ja, und wieder war das stille, geheime Einverständniß zwischen ihnen da.

Der Prinz schlug jetzt einen gemeinsamen Ausflug vor, Stella mußte sich ihm zuwenden, und er blickte in das andere Gesicht, in das lachende, lebensfreudige, das ihn, den blasierten Weltmann und Frauenkenner, so sehr entzückte.

„Aber Ihr Nachbar zur Rechten darf nicht mit dabei sein, Gnädigste – bitte, bitte!“ flüsterte der Prinz. „Sie sind ohnehin viel zu liebenswürdig gegen diesen Maler.“

„Er sagt mir auch sehr zu, ich denke, mein Prinz, wir sprachen schon einmal darüber. Wenn Sie solch böse Augen und solche Falten auf der Stirn machen, sehen Sie gleich um zehn Jahre älter aus und gefallen mir lange nicht so gut wie sonst.“

Des Prinzen Mienen glätteten sich.

„Also ich gefalle Ihnen sonst gut?“ fragte er mit einem schmachtenden Blick und einem herausfordernden Drehen des Schnurrbärtchens.

„Ja – nächst Herrn Andree am besten hier von allen!“ gab sie unbefangen zurück.

Er setzte sein Weinglas, aus dem er gerade hatte trinken wollen, unsanft auf den Tisch nieder. „Ich bitte Sie, Gnädigste, ziehen Sie doch nicht Parallelen zwischen mir und diesem – diesem – Herrn –“

„Aber warum denn nicht? Sind Sie nicht beide unsere Gäste?“

„Allerdings! Aber ein Vergleich zwischen einem Riantzew und – hm! – einem –“

„Ach so!“ Stella lachte kurz auf. „Die Stellung ist es, die Sie betonen! Ihnen mag ja der Unterschied sehr einleuchtend sein – aber was habe ich denn davon, daß Sie ein Prinz sind?“

„Und was hätten Sie davon, daß dieser – Herr – Herr – Andree ein Maler ist, wenn ich fragen darf?“

„O, davon habe ich viel! Zunächst zwei Bilder –“

„Zwei?“

„Ja! Nicht wahr, Herr Andree, Sie werden mich zweimal malen? Prinz Riantzew erkundigt sich soeben danach.“

„Es ist so!“ entgegnete Andree mit einer gewissen Feierlichkeit. „Die Eltern des gnädigen Fräuleins haben mir heute, bevor wir zur Tafel gingen, förmlichen Auftrag ertheilt, ein Porträt von Fräulein Stella anzufertigen, und ich habe um die Erlaubniß gebeten, die Züge meiner Nachbarin zu einer Figur in einem großen Gemälde, das mir schon seit längerer Zeit vorschwebt und das ich demnächst in Angriff zu nehmen gedenke, verwerten zu dürfen. Mir ist diese große Gunst, die ich mit Recht als unschätzbar betrachten muß, gewährt worden, und mein Herz ist von Dank erfüllt, denn ich verspreche mir Großes von meinem nächsten Werk.“

Er hatte eigentlich nur zu Stella gesprochen und beachtete daher auch das spöttische Lächeln nicht, mit dem der Prinz seine kleine Rede angehört hatte. Dieser warf dem Maler halb über die Schulter die nachlässige Frage hin:

„Wird man das Glück genießen, dies Kunstwerk schon auf der nächsten Ausstellung im Winter hier bewundern zu können?“

Andree schwieg ein Weilchen und sagte dann im ruhigsten Ton:

„Ich werde mir erlauben, Durchlaucht später Antwort auf diese Frage zu ertheilen!“

Konsul White, der Stellas Gegenüber war und seiner Nachbarin, einer zierlichen Brünette aus Altona, wenig Beachtung schenkte, hatte einige Brocken des soeben geführten Gesprächs aufgefangen und wartete nur auf eine einigermaßen passende Gelegenheit, um gleichfalls ein Wort mit einzustreuen.

„Ich höre das Wort Ausstellung,“ begann er mit seinem breiten englischen Accent; „wird das gnädige Fräulein die Güte haben, auch ihrem weiteren Bekanntenkreise, der nicht das Glück hat, hier im Hause zu verkehren, den Anblick eines Kunstwerkes zu gönnen, das mich ehrlich entzückt hat, so daß ich kaum das Auge davon lassen und nicht aufhören kann, es mit dem Urbild zu vergleichen? Ich meine die Büste dort.“

Andrees Blick folgte der Richtung, die Konsul Whites Augen genommen hatten, und er entdeckte in einer der Blumennischen auf hohem Postamente Stella Brühls Marmorbüste, die er von Rom hierher gebracht hatte.

Es berührte ihn seltsam, sie hier zu finden, in diesem heitern, hellen, mit fröhlichen, geputzten Menschen angefüllten Raum, von hundert Blicken bewundert – und wieder sah er im Geist Werner Troost auf seinem Totenbett liegen und mit den halb gebrochenen Augen nach seinem Werk hinüberblicken!

(Fortsetzung folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_779.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)