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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Andrees Kommen verhinderte. Sie verglich ihn im stillen mit all ihren andern Verehrern, Konsul White und den Prinzen an der Spitze, und sie fand zu ihrem Staunen, daß er ihr besser gefiel als sie alle zusammen. Diese andern langweilten sie zuweilen sehr; sie waren richtige Welt- und Lebemänner, ohne besondere geistige Interessen, sie hatten das, was sie „Genuß“ nannten, nach allen Richtungen hin ausgekostet und wußten selbst einem so schönen Mädchen, wie Stella Brühl es war, beim besten Willen nicht immer etwas Neues, Interessantes zu sagen, so gern sie auch gewollt hätten. Stella aber war noch zu jung, um schon gänzlich blasiert zu sein. Sie hatte zwar eine nüchterne Lebensauffassung und war sich ihres Zieles, durchaus einen sehr reichen und vornehmen Mann heirathen zu wollen, klar bewußt; aber sie hatte Verstand, einen raschen Geist und liebte es, gut unterhalten zu werden. Bis sie den bewußten hochstehenden Krösus heirathen würde, wollte sie sich auf ihre Art vergnügen, und dazu war ihr Waldemar Andree gerade der rechte Mann. Er war kein sogenannter „Blender“, geistvolle Paradoxen waren nicht sein Fall, aber er besaß gute Kenntnisse, konnte sich noch ehrlich und warm begeistern, hatte für seine Kunst einen schönen Enthusiasmus und entfaltete oft einen trockenen Humor, der sehr erheiternd wirkte. Er war ein Mensch aus einem Guß, ein ernster und gereifter Mann, der sich noch lange nicht verausgabt, dem das Leben nichts von seiner fest geprägten Individualität geraubt hatte.

Das sah und fühlte Stella Brühl recht gut heraus, und sie verkehrte lange genug in der großen Welt, um sich sagen zu können, daß ein solcher Mensch in unserer heutigen Zeit eine große Seltenheit genannt werden mußte. Ihrem beweglich schillernden Wesen sagte seine Stetigkeit zu, und dabei zu fühlen, zu wissen, daß er sie abgöttisch liebte – das gab dem ganzen Verkehr noch einen besonderen Reiz.

Der Gedanke, ihn zu heirathen, kam ihr nie. Er hatte ihr wohl einmal gesprächsweise gesagt, daß er sich schon ein hübsches Vermögen erworben habe, und er hatte ihr die Summe genannt, die er im Durchschnitt jährlich verdiene. Es war eine ansehnliche Ziffer gewesen, und Stella hatte sich gestanden, daß die meisten jungen Mädchen Andree gewiß eine sehr gute Partie nennen würden. Aber ihr war es um mehr als das zu thun! Sie wollte im Sommer die bekanntesten Seebäder, im Herbst die englischen Rennen besuchen, einen Theil des Winters in Paris verleben und den Frühling an der Riviera, in Monaco oder Bordighera oder Nizza, zubringen. Und sie wußte, ein solches Wanderleben würde sie an Andrees Seite nicht führen können. So anbetend er sie liebte – sie war ihm eins mit seiner Kunst, und seine Kunst vertrug es nicht, daß er heute hier sein Zelt aufschlug und morgen dort. Sie wußte, es war sein Ideal, sich bald seßhaft zu machen, höchstens einmal im Jahr eine Reise, die zugleich dem Studium und der Erholung dienen sollte, zu unternehmen – im übrigen aber sich am häuslichen Herd niederzulassen und dort seiner Kunst wie seiner Liebe zu leben.

Nun, davon konnte für sie natürlich keine Rede sein. Sie wollte es ja auch gar nicht, hatte diesen Gedanken nicht eine Minute lang ins Auge gefaßt – einstweilen freute sie sich an dem Verkehr mit diesem ihr so gut zusagenden Mann und machte sich nicht die geringsten Bedenken über die Zukunft. Sie hatte Andree zwar ein halbes Versprechen gegeben – und dem Prinzen eigentlich ein ganzes. Aber der Prinz sollte ihr ein Jahr fern bleiben, und bis Andree die beiden Bilder fertig hatte, das dauerte auch noch so lange. Wer würde sich vor der Zeit Sorgen machen! – –

Indessen spitzten sich doch die Verhältnisse derartig zu, daß es der schönen Stella, trotz ihres hübschen Verkehrs mit Andree, gar nicht so ungelegen kam, als sie Papa Brühl eines Tages fragte, ob es ihr genehm sei, eine Reise mit ihm und Mama zu unternehmen. Man habe sich zwar vorgenommen, in diesem Sommer zu Hause zu bleiben, und es sei ja auch soweit gar nicht übel hier draußen in Uhlenhorst – der Sommer sei aber so ungewöhnlich heiß und seine – Papa Brühls – Geschäfte hätten, dank einem rechtzeitigen Wink seines gewandten Freundes Grimm, einen so erfreulichen Aufschwung genommen, daß es doch schade sei, hier immer in Hamburg zu sitzen. Die Bilder gingen ja so rüstig vorwärts, daß ihre Fertigstellung fast jetzt schon bestimmt werden könne … was sein Prinzeßchen zu Dieppe oder Trouville oder sonst irgend einem fashionablen Bade meine? Und Prinzeßchen, das den Papa seit der Geschichte mit Gerda sehr ungnädig behandelt und nur selten eines freundlichen Wortes oder Blickes gewürdigt hatte, versprach huldvoll, sich die Sache zu überlegen. Das geschah denn auch. In dem entzückenden, kühl gelegenen „Porzellanzimmer“, zunächst dem mit den köstlichsten Gestalten, Amoretten und Blumen ausgestatteten Kamin, saß Stella – selbst einer von dem schönsten Sèvres-Service weggelaufenen Figur gleich – und sann nach.

Andree war sehr verändert seit den letzten Tagen. Er malte lässig, plauderte viel weniger angeregt als früher und verlor sich oft so ganz in ihren Anblick, daß er sichtlich alles um sich her vergaß.

Schmeichelhaft für Stella – ohne Zweifel! Aber zugleich unbequem! Konnte er denn nicht bleiben, was er war – ein Liebhaber „aus der Entfernung“, der zufrieden war, sie sehen, bei ihr sein, sie malen, mit ihr reden zu dürfen? Sie wußte es, dieser Zustand genügte ihm jetzt nicht länger, er wollte mehr, der begehrende, ungestüme Mann war in ihm erwacht. Aber dieses Erwachen kam ihr äußerst ungelegen. Was sollte sie denn nun mit ihm anfangen? Daß die Männer sich doch nie begnügen können! Auf Reisen schicken, gleich dem Prinzen, konnte sie ihn nicht, und einen zürnenden Bruder, von dem Andree abhing, konnte sie ihm auch nicht vorhalten … aber geschehen mußte etwas, das stand fest, sonst fiel er ihr eines Tages mit der feurigsten Liebeserklärung zu Füßen … und was dann?

Das Ergebniß von Stellas eifrigem Nachsinnen neben dem Porzellankamin, von welchem herab all die schelmischen Liebesgötter sie verständnißvoll anlachten, war, daß sie ihre Eltern mit der Nachricht beglückte, sie wolle reisen, und zwar zunächst nach Trouville – dort werde es sich finden, ob man bleiben oder weitergehen werde. Ganz kaltblütig schrieb und telegraphierte dann die junge Dame an ihre Modistin nach Paris und fing an, in ihrem Innern diese Reise für eine ganz angenehme Abwechselung zu halten. Andree wollte sie einfach sagen, sie fühle sich angegriffen, die andauernden Sitzungen hätten ihrer Gesundheit geschadet, und der Arzt habe eine längere Unterbrechung sowie einen Aufenthalt im Seebade für sie angeordnet.

Andree ahnte von all diesem nichts, als er, eine prachtvolle Centifolie im Knopfloch, an einem heißen Augustmorgen langsam und in Gedanken durch den Brühlschen Garten schritt.

In Gedanken! – Er war es jetzt sehr, sehr oft. Daheim, wenn er an der „Eos“ malte, sank ihm zuweilen auch der Pinsel aus der Hand, und er blieb eine Weile müßig stehen, mit starren Blicken vor sich niedersehend. Aufdämmernde Zukunftsbilder schoben sich vor diesen Blick, und dann war es wieder die Vergangenheit, die er deutlich sah. Nie hatte er so lebhaft an Werner Troost gedacht wie in dieser Zeit – jede Einzelheit der schönen römischen Tage, die sie miteinander verlebt hatten, stand greifbar vor seiner Seele. Ihre Streifzüge in die Campagna hinein, ihre Gespräche im Colosseum beim flammenden Sonnenuntergang, ihr Wandeln Arm in Arm über den Monte Pincio, ihr sorgloses Plaudern in den kleinen Osterien beim Fläschchen Chianti! – Da legte denn wohl Andree eilfertig den Pinsel hin und griff zum Stift und warf mit seiner leichten Hand das Gesicht eines schönen jungen Mannes aufs Papier. „So hat er ausgesehen, wenn er lachte – sein junges, hellstimmiges Lachen – so, wenn er ernst war – und wieder so, wenn er an seine Liebe dachte!“

Seine Liebe, die nun auch Andrees Liebe war! Wie hatte sie doch zu ihm gesagt, damals bei dem Sommerfest? „Mein Herz liegt im Bann der Erinnerung, und ich kann es noch nicht daraus erwecken!“

Er hatte sie damals verstanden, und er verstand sie auch heute noch – wäre nur sein eigenes ungestümes Herz nicht gewesen, das stürmisch nach seinem Glück verlangte! Er warf unruhig den Stift beiseite und wandte sein Antlitz empor, und in seine Augen kam ein sehnsüchtiges Leuchten, wie er seine „Eos“ sah. Es schien halten zu wollen, was er sich davon versprochen hatte, dies Bild – aus einem Guß, aus einer Stimmung heraus wurde es gemalt, und es ließ alles Gute, Tüchtige, Charakteristische und Schöne, was er bisher geschaffen, weit hinter sich zurück. Auch das verdankte er seiner Liebe!

Er hatte heute ganz in aller Frühe aufstehen und an der „Eos“ malen müssen, es hatte ihm keine Ruhe gelassen, Luft und Gewölk waren ihm herrlich gelungen, er hatte sich nur schwer losgerissen, um von der halb untermalten Göttin zu ihrem Urbild zu kommen. Langsam, Schritt für Schritt, ging er nun durch den blühenden Garten, der voll von geschäftig summenden Bienen und leichtsinnig umhergaukelnden Schmetterlingen war.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 795. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_795.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)