Seite:Die Gartenlaube (1891) 826.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

Herr Brühl räusperte sich unbehaglich.

„Sie können es uns – hm – von unserem Standpunkte als Eltern aus – hm – nicht verargen, wenn wir erstaunt – mehr als das – wenn wir geradezu erschreckt sind! Unsere Tochter Stella – hm – die Pläne, die wir an dieses Kind knüpften – die großartigen Hoffnungen, zu denen ihre Erfolge überall uns berechtigen – hm – dies alles so plötzlich, so gänzlich unvorbereitet den Todesstoß empfangen zu sehen – ist – ganz abgesehen von – ja – ich weiß wahrhaftig nicht – wenn indessen Stella sich für Sie entschieden hat – und wir alle Zeugen waren – so – selbstredend muß absolutes Geheimniß bewahrt bleiben –“

Hier fing Brühl einen lebhaft ermuthigenden Blick Stellas auf und fuhr nachdrücklich fort:

„Absolutes Geheimniß muß bewahrt bleiben! Ich mache dies zur ausdrücklichen Bedingung! Daß wir, Stellas Eltern, uns dieser Bedingung zuerst unterwerfen, versteht sich von selbst. Konsul White geht in kurzer Zeit nach China, und mein Freund Grimm hat sein Ehrenwort gegeben, das Geheimniß zu bewahren – daß er unverbrüchlich Wort zu halten versteht, weiß ich“ – hier kam seine Stimme ein wenig ins Schwanken – „und ich bin überzeugt, er wird seine ganze Autorität einsetzen, um auch Gerda, die leider gleichfalls Zeuge dieser – dieser – Scene gewesen ist, zum Schweigen zu veranlassen! Somit wären denn alle Betheiligten über diese Sache durchaus einverstanden, und es bleibt –“

„Sie verzeihen, wenn ich Sie unterbreche!“ sagte hier Andree mit Nachdruck. „Sie befinden sich in einem Irrthum, wenn Sie annehmen, daß alle Betheiligten über diese Sache durchaus einverstanden sind. Ich, einer der Hauptbetheiligten, wie Sie mir zugeben müssen, bin dies nicht, und ich erlaube mir die bestimmte Frage an Sie, an Ihre Frau Gemahlin und an Stella: warum soll unsere Verlobung fürs erste ein Geheimniß bleiben?“

Sein Ton war sehr energisch, beinahe drohend. Stella Brühl fand jetzt schon bestätigt, was sie bei sich gedacht hatte: dieser Mann war kein Werner Troost, den man beliebig gängeln konnte, der blindlings in alles willigte, sobald er sich nur von Stella geliebt glaubte!

Herrn Brühl mißfiel Andrees Art höchlich. Ziemte es sich für einen Mann, der doch schließlich bloß ein Maler war – wenn auch ein guter! – für einen Mann, den eine Stella unbegreiflicherweise mit ihrer Liebe begnadigt hatte, so zu reden, so herausfordernd aufzutreten und Gründe zu verlangen?

Der stolze Vater hob majestätisch sein Sperberhaupt und kniff die Augen zusammen.

„Ich denke, es wäre an Ihnen, Herr Andree, sich dem Beschluß der Familie hier zu fügen. Sie sprachen vorhin den Gedanken aus, daß Sie sich vollauf des Glückes, das Ihnen zutheil werden soll, des großen Opfers, das wir, die Eltern, zu bringen haben, bewußt seien. Ich erlaube mir, zu bemerken, daß in Ihrer soeben zu Tage tretenden Art und Weise nichts von diesem Bewußtsein zu beobachten ist.“

Andree warf einen Blick auf Stella und faßte sich mit einiger Mühe.

„Können Sie es mir wirklich so sehr verargen,“ fragte er in bedeutend milderem Tone, „wenn ich die Gründe wissen möchte, die es mir verbieten sollen, der Welt, der ganzen Welt mein Glück zu verkünden? Gerade weil ich Stella liebe, weil ich unsagbar stolz auf sie bin, schmerzt es mich mehr, als ich sagen kann, wenn es mir verwehrt wird, mich öffentlich zu meiner Liebe zu bekennen!“

Ich glaube, das Geständniß von meines Kindes Liebe zu Ihnen,“ nahm die Mama das Wort, „sowie der Umstand, daß wir, die Eltern, dieser Verbindung, falls das Kind darauf besteht, nicht entgegen sind, dürfte Ihnen fürs erste genügen. Die Pläne, welche wir mit meinem Kinde verfolgten …“

„Welcher Art sind diese Pläne?“ warf Andree von neuem dazwischen.

Frau Molly lächelte diplomatisch und geheimnißvoll. „Man darf das wirklich nicht so ohne weiteres verkünden – es wäre voreilig und indiskret. Sie müssen sich genügen lassen, zu glauben, daß wir, die Eltern, schweren Herzens diese langgehegten, uns liebgewordenen Pläne aufgeben werden, sobald wir die feste Ueberzeugung gewonnen haben, daß in der That meines Kindes Neigung Ihnen allein gehört. Bis wir zu dieser Ueberzeugung gelangen und bis es uns gelingt, leise und allmählich die geknüpften Beziehungen zu lockern – bis dahin müssen Sie sich unseren Bedingungen unterwerfen, deren erste völlige Geheimhaltung ist; ich verlange dies mit voller Bestimmtheit von Ihnen – ich, als Mutter! Und Brühl, als Vater. verlangt es auch – nicht wahr, Brühl?“

„Ohne alle Frage! Ich verlange es gleichfalls mit – voller Bestimmtheit!“

Stella war im stillen mit ihren Eltern zufrieden. Namentlich ihre Mutter hatte gut und diplomatisch gesprochen. Frau Molly war keine begabte Frau, aber sie besaß ein Talent: das einer geradezu wunderbaren Fühlung mit Stella, ihrem Lieblingskinde. Sie brauchte die Tochter kaum anzusehen, so verstand sie auch schon deren Gedanken. Instinktiv fühlte sie es heraus, was Stella unangenehm war oder was sie sich wünschte – und als ihr Kind sofort von der Geheimhaltung des Verlöbnisses gesprochen hatte, da begriff Frau Brühl augenblicklich, daß die kluge Stella sich eine Hinterthür offen zu halten wünschte, für den Fall, daß sie einmal andern Sinnes würde. Was ohne öffentliches Aufsehen geschehen war – und eine Verlobung der berühmten Stella Brühl würde immer Aufsehen machen! – das konnte auch ohne jede Schwierigkeit in der Stille wieder gelöst werden, falls sich nicht alles fügen wollte. Freilich, etwas sickerte bei solchen Angelegenheiten immer aus dem Privatleben in die Oeffentlichkeit durch, und auf Stella blickten viele beobachtende Augen. Immerhin war es besser so, als wenn der ganze große Apparat mit Verlobungsanzeigen, Brautvisiten, Gesellschaften und so weiter in Scene ging. –

Also, Stella war zufrieden, und wenn jetzt Andree noch sein Wort gab, das er ohne Zweifel ernstlich halten würde, dann ging es ihr wiederum nach Wunsch – sie hatte die heimliche Verlobung, die sie gewollt hatte, denn die wenigen, welche um das Geheimniß wußten, störten sie nicht, ja, es war ihr sogar nicht einmal unangenehm, daß Grimm und Gerda davon erfahren hatten. Grimm hatte eine große Vorliebe für Andree, und Gerda schwärmte für ihn. Aber er gehörte ihr und ihr allein, das wollte sie ihnen bündig beweisen! Jetzt galt es nur noch, Andree sein Wort abzuschmeicheln – nun, das würde ihr schon gelingen!

Sie schob ihr weiches Händchen fester in seine Linke und lehnte sich leicht an seine Schulter.

Er sah zu ihr herab –0

Welch beredter bittender Blick! „Mir zuliebe!“ stand darin zu lesen, und „Ich liebe Dich – ist Dir denn das nicht das Werthvollste?“

Er kämpfte noch mit sich, aber Stella wußte schon, daß sie gesiegt hatte. Als sie leise flüsternd fragte: „Nun, Waldemar?“ da kannte sie im voraus seine Antwort.

Er that einen Schritt den Eltern entgegen und sagte gedämpft: „Ich unterwerfe mich um Stellas willen, obgleich es mir sehr, sehr schwer wird und ich gegen meine bessere Ueberzeugung handle. Ich bitte Sie, kürzen Sie meine harte Prüfungszeit ab, so rasch Sie nur können!“

Er führte die Rechte der Mutter an seine Lippen und schüttelte dem Vater die Hand. Einen Segen oder einen Glückwunsch empfing er von Stellas Eltern nicht. Sie standen ihm auch innerlich so fern, daß er beides nicht vermißte. – Was er dagegen vermißte, war ein warmes oder herzliches Wort seines Freundes Grimm. Er konnte sich den Gesichtsausdruck nicht erklären, mit welchem dieser ihm stumm die Hand drückte und sich vor Stella förmlich verbeugte. Und als Andree sich nun zu Gerda wandte mit einem freundschaftlich scherzhaften: „Auf gute Freuudschaft, meine liebe, kleine Schwägerin!“ und den Arm leicht um sie legte, da zitterten des seltsamen Kindes Lippen und helle Thränen standen in ihren Augen! Sie machte sich rasch von ihm los und drückte sich fest gegen Onkel Grimm, als müsse sie bei ihm Schutz finden. Und Grimm verstand sie und sagte halblaut: „Ja, komm’, Kind, wir sind hier überflüssig!“

Damit zog er Gerdas Hand durch seinen Arm und ging mit ihr davon.

*               *
*
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1891).Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_826.jpg&oldid=- (Version vom 19.11.2023)