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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891)

essen und zu trinken. Der Hochzeitgeber wird damit zum Gastwirth, das Familienfest zum Dorffest auf gemeinschaftliche Kosten, aber mit einem Unternehmer, eben dem Hochzeitgeber. Als eine slavische Besonderheit erschien mir der Gebrauch, daß die junge Frau nach der Hochzeit ihre neue Heimstätte vier Wochen lang nicht verlassen darf – „sonst hält die Ehe nicht“, sagt man.

Wendische Hochzeitsgesellschaft.

Eine slavische Einrichtung sind auch die Singebänke auf den Dorfplätzen der Heidedörfer, wo die jungen Mädchen Sonntag nachmittags nach sonst ganz unbekannten Melodien fromme Lieder singen.

In der Gesichtsbildung ist das slavische Gepräge meist sofort zu erkennen, nur in den halbdeutschen Dörfern mischt sich der obersächsische Typus, der selbst an den slavischen streift, mehr oder weniger stark herein. Gutmüthig sehen die Wenden immer aus, Arbeitsamkeit und Duldsamkeit sind die Aeußerungen dieser guten Seiten ihres Wesens, und die Adelsgeschlechter, die sich zwischen ihnen festsetzten, haben diese Vorzüge recht wohl wahrgenommen.

An ihrer armen Scholle hängen sie mit großer Liebe. Weit fort wandern sie nie gern, meist suchen sie sich Dienste in den umliegenden Städten, und besonders Dresden ist ein Mekka für wendische Dienstboten. Hier können sie wendische Predigten hören, hier treffen sie viele ihres Stammes, und wenn’s noth thut, so können sie rasch wieder daheim sein bei ihren Sanddünen. Alljährlich um die winterliche Sonnenwende findet sich das dienstlose wendische Gesinde an der katholischen Hofkirche in Dresden ein. Es entwickelt sich ein regelrechter Markt mit Agenten, Steigen und Fallen der Löhne. Aber die erste Frage der Dienstsuchenden ist nicht die nach dem Lohne, sondern nach der Entfernung des Gehöfts, wohin sie sich verdingen sollen. Ueber eine halbe Tagereise gehen sie nicht gern von Dresden fort, und gewitzigt fragen sie neuerdings, ob Eisenbahnstunden oder Wegstunden gemeint sind.

Die Zukunft des Völkchens ist leicht vorauszusagen. Die wendische Sprache steht seit undenklichen Zeiten still, sie ist eine Bauernsprache geblieben, die gar keinen Anlaß hatte, neue Begriffe und Wortbildungen in sich aufzunehmen. Alle die neuen Kulturbegriffe, wenn sie überhaupt bis in die Heide vordringen, werden durch die Deutschen vermittelt, und diese bringen gleich die Wörter mit. Selbst ältere Einrichtungen wie solche des Militärwesens, der Gemeindeverwaltung u. a. werden nur mit deutschen Wörtern bezeichnet. Neuerdings hat der Panslavismus von seinen hochgehenden Wogen auch einige kleine Wellen über die Wendei ergossen. Man hat sich in Moskau und Prag des Wendenstammes erinnert und versucht, ihm neue Wörter, namentlich aus dem Tschechischen und Polnischen, zuzuführen und sich den Stamm als einen Vorposten gegen den anstürmenden Westen zu erhalten. Man hat versucht, die tschechischen Druckzeilen, die wie Stacheldraht über das Papier laufen, einzuführen. Aber bis jetzt war der Liebe Müh’ vergebens.

Auf der anderen Seite möchte ich indeß auch vor künstlicher Beschleunigung des Germanisierungsprozesses warnen; er vollzieht sich so harm- und schmerzlos, so von selbst, daß jedes Eingreifen auch in Zukunft überflüssig erscheint. Auch vor Ungeschicklichkeiten sollte man sich mehr hüten. Wie man nur aus einem Dorfe, ich glaube Miworas, „Mühlrose“ und aus Lichan „Leichnam“ machen kann! Ein Dorf Namens „Leichnam!“ Abscheulich!

Also Ruhe und Einsicht auf beiden Seiten! Das Völkchen wird ganz von selbst wie die Nachbarn alle zu einem gut deutschen Volksstamm heranreifen, es wird wohlhabender werden, es wird dem Palenz entsagen, es wird mit der Zeit auch einen leisen Zug von Mißtrauen ablegen. Was es aber nicht ablegen soll, das ist seine Lebenslust, sein Fleiß, seine Treuherzigkeit und seine echt bäuerliche gesunde Naivetät.

Bauerngehöft in Sprey.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1891). Leipzig: Ernst Keil, 1891, Seite 867. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1891)_867.jpg&oldid=- (Version vom 29.11.2023)