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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

seinen Verbindlichkeiten gerecht werden? Ich mußte wissen, wie es um die Vermögenslage bestellt sei, bevor fremde Hände hier eingriffen und aus unserer Unkenntniß Nutzen schöpften. Nun Bettina, ich kann Dir, nach einem flüchtigen Einblick in die Bücher, die tröstliche Versicherung geben: Dein Vater hat wenigstens so viel hinterlassen, daß wir alle vor Mangel geschützt sind.“

„Das ist ein erbärmlicher Trost für das, was ich verlor.“

Bettina verließ das Zimmer und nahm ein Gefühl der Verachtung gegen die Frau mit, welche über der Frage nach dem Erbe so rasch den Toten vergaß.

Die Witwe aber blickte der Entschwindenden lange nach, dann stampfte sie plötzlich mit dem Fuße auf und sagte: „Pah – was liegt daran! Mag sie gering von mir denken, wenn sie nur äußerlich Frieden hält! Vor der Gesellschaft werde ich die Stelle der zärtlichen Mutter bis zu Deiner oder – meiner Verheirathung weiter spielen.“




4.

Frau Rosita fand als trauernde Witwe bei ihren Freunden mehr als bloßes Mitgefühl, sie erregte Bewunderung durch den ergreifenden Ausdruck, den sie ihrem Schmerze gab. Sie ließ keine lauten Klagen hören, aber ihre Stimme, ihr ganzes Wesen hatte etwas Gedämpftes, als schreite sie gebückt unter der Last ihres Unglücks. Ihre dunklen Augen schwammen in stillen Thränen, und wenn man die Herzensgüte des Hingeschiedenen pries, zitterte ihr Körper vor verhaltener Erregung. Und trotz des tiefen Kummers, der sich in der unbeschreiblichen Traurigkeit ihres Wesens zu erkennen gab, besaß diese seltene Frau Kraft genug, die Zügel des Haushalts zu führen, eine Fülle von Geschäften zu erledigen und eine ebenso würdige als großartige Trauerfeier zu veranstalten. Die Todesanzeigen waren nach ihrer Angabe abgefaßt und gedruckt worden, und das erste Exemplar derselben sandte sie an die Fabbris als Antwort auf deren erneuten Hilferuf. –

Wo drei Tage vorher das farbenglänzende Festspiel in Scene gegangen war, hatte man den Katafalk errichtet, und hundert flammende Kerzen warfen ihren Schein auf das stille, von Frühlingsblumen halb verdeckte Antlitz des Toten. Der Saal und die anstoßenden Räume waren mit teilnehmenden Freunden gefüllt. Auf den zur Bahre hinaufführenden Stufen standen die Angehörigen des Verblichenen. Frau Rosita hatte am Fußende des Sarges, ihr gegenüber Mathilde mit Herrn von Voßleben Aufstellung genommen. Graf Trachberg stand zwischen der Witwe und Bettina, die ihr verweintes Gesicht hinter den Lorbeerbüschen verbarg. Durch einen Choral, welchen Mitglieder des Domchors hinter dem Gehege der Palmen und Orangen sangen, wurde die Feier eingeleitet, dann hielt der Geistliche eine ergreifende Rede, und nach derselben spielten jene jungen Künstler, welche den Tanz der Pagen beim Festspiel begleitet hatten, das Adagio aus Schuberts C-dur Quintett. Die Oeffentlichkeit dieser Totenfeier hatte Bettinas Widerspruch erregt, ihr erschien die ganze Veranstaltung wie eine Entweihung, wie eine schale Komödie. Wer sein Leid und Herzweh öffentlich ausstellt, sagte sie sich, dem fällt der Abschied von dem Toten nicht allzuschwer. Vor dem Zauber der Musik aber schwand allmählich ihr Groll, ihre Bitterkeit. Eine feierliche Stimmung kam über sie, und als jetzt Viola, zweite Geige und Violoncell zusammenklangen und die Töne der ersten Geige unter der Meisterhand Franz Rotts recitativartig darüber hinschwebten glaubte sie eine süße Engelsstimme zu vernehmen, die bald klagend bald tröstend zu ihr spreche und mit der Verheißung ende: Es giebt ein Wiedersehen!

Die hehren Klänge hatten Bettina aufgerichtet und erhoben; ja, es blieb ein feierlicher Nachhall in ihrer Seele, der sie nicht bemerken ließ, daß der Sarg geschlossen wurde. Auf Frau Rosita aber mußte die Musik in ganz anderer Weise gewirkt haben, denn als der letzte Ton verhallte und gleichzeitig der Sarg sich schloß, taumelte sie und sank ohnmächtig in die Arme des herzuspringenden Grafen Trachberg.

Es entstand eine Bewegung in der Trauerversammlung, einige Damen kamen der vom Schmerz Ueberwältigten mit ihren Riechfläschchen zu Hilfe. Auch Bettina bemühte sich um die Ohnmächtige, deren Schwächezustand jedoch rasch vorüberging. Mit sanftem Lächeln blickte sie zu dem Grafen auf, entwand sich dann mit einem leisen Dankeswort seinen Armen und schritt, auf Bettina gestützt, in merkwürdig gefaßter Haltung die Stufen herab, um dem Sarg bis zum Ausgang des Saales zu folgen. Gefaßt verabschiedete sie sich auch von den Theilnehmern der Feier; sie sagte jedem mit bewegter Stimme ein Dankeswort und reichte mit besonderer Herzlichkeit den Musikern ihre Hand. Die Ausländer küßten dieselbe, Franz Rott aber begnügte sich damit, einen Händedruck auszutauschen. Auf seinen kühngeschnittenen männlichen Zügen lag dabei etwas wie ein geheimer Widerwille. Unwillkürlich reichte er auch Bettina die Hand, und es schien ihr, als habe er ein Wort des Mitgefühls auf den Lippen, allein er schwieg und schied mit einer kurzen Verbeugung. –

Die Tage nach der Bestattung des Konsuls brachten für die Bewohner der Villa die Ruhe nach dem Sturme. Frau Rosita konnte schon am zweiten Morgen einer lebhaften Befriedigung Ausdruck geben, als sie beim Frühstück nach ausführlichen Berichten über die Leichenfeier in den Zeitungen suchte und nebenbei das folgende Telegramm aus Hamburg fand: „Soeben hat das alte berühmte Handelshaus Fabbri und Söhne seine Zahlungen eingestellt.“

„Da haben wir’s, da haben wir’s!“ rief sie mit strahlendem Gesicht. „Ich hab’s kommen sehen! Würde Dein armer Vater noch leben, Bettina, heute müßte er mir für meinen guten Rath Dank wissen.“

Bettina schaute die Mutter fragend an, diese aber besann sich, daß es besser sei, ihre Stieftochter nicht über den letzten ärgerlichen Streit ihrer Ehe aufzuklären, und gab nur die Andeutung, daß sich der Konsul auf ihren Rath noch rechtzeitig von den Fabbris zurückgezogen habe, deren Bankrott die Zeitungen eben verkündeten.

Bettinas Schwager hatte, unter dem Hinweis auf den plötzlich erfolgten Tod seines Schwiegervaters, die Erlaubniß erhalten, seine Abreise um vierzehn Tage zu verschieben. In dieser Zeit war es möglich, die Erbschaftsangelegenheiten für seine junge Frau zum Abschluß zu bringen. Der Konsul hatte die testamentarische Verfügung getroffen, daß sein Nachlaß seiner Frau und seinen Töchtern zu gleichen Theilen zufallen solle. Zu Testamentsvollstreckern waren Sanitätsrath Horst und ein Rechtsanwalt ernannt. Diese glaubten, Frau Rosita, deren persönliches Vermögen sich, wie aus den Büchern ersichtlich war, auf rund 450000 Mark belief, werde zu Gunsten der Töchter auf ihr Drittel verzichten, allein in diesem Punkte hielt die Witwe es für eine strenge Pflicht der Pietät, den letzten Willen des Verstorbene genau auszuführen. Ja es zeigte sich bei der Vertheilung des beweglichen Mobiliars, daß die tiefbetrübte Frau stets solche Stücke als „Erinnerungszeichen an ihr zerstörtes Glück“ wählte, die einen besonders hohen Werth besaßen. Nachdem die Firma aufgelöst und die Villa verkauft war, ergab sich ein Barvermögen von rund 180000 Mark. Jede von den Erbinnen erhielt somit 60000 Mark und einen Theil des Hausraths.

Frau Rosita hatte den Löwenantheil an sich gerafft und dadurch die Voßlebens tief verstimmt. Bettina war zufrieden, daß die Stiefmutter ihr wenigstens den neuen Bechsteinschen Flügel ließ, an dem sie viel Freude hatte. Das ihr zugefallene Vermögen war nach ihrer Schätzung sehr groß, und sie begriff nicht, warum der Schwager, Mathilde und Frau Rosita so enttäuschte Gesichter machten, als die Testamentsvollstrecker ihnen das Ergebniß der Erbschaftstheilung verkündeten. Sie besaß nicht die geringste Vorstellung von der Kostspieligkeit eines standesgemäßen Unterhaltes, von dem ihre Verwandten so oft sprachen, und verachtete den Reichthum, weil sie nur geringe persönliche Bedürfnisse hatte. Um so tiefer ward sie verwundet, wenn ihre Stiefmutter einem heuchlerischen Bedauern über die schlimme Lage Ausdruck gab, in welcher ihr Gatte seine an vornehme Lebensführung gewöhnten Kinder zurückgelassen habe. Bettina war zu schüchtern, um ihrer Entrüstung Worte zu leihen, aber sie war ihrer entschlosseneren Schwester dafür dankbar, daß diese den verdeckten Tadel Rositas mit der barschen Bemerkung abschnitt: „Nun, für die Zukunft seiner Witwe hat mein Vater wenigstens in auskömmlicher Weise gesorgt.“

In Bettinas argloses Gemüth warfen solch versteckte Feindseligkeiten trübe Schatten. Sie erkannte immer deutlicher, daß die frühere Zärtlichkeit der Stiefmutter nur durch die Rücksicht auf den Vater eingegeben war, und sie mußte fürchten, daß diese Frau sehr bald die Maske ganz fallen lassen werde. Auch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_039.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2024)