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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Einsamer durch die Straßen. Da stutzt sein Schritt. Vor einem stattlichen Eckhaus am Markt steht er still. Sein Blick schweift über die breiten Fensterläden, die gerichtlich geschlossen sind, hinauf nach dem Firmenschild und liest bebend dort seinen Namen, den Ehrennamen seines Vaters. Da ringt sich ein gewaltsames Schluchzen vom Herzen empor, ein heißer Thränenstrom quillt ihm aus den Augen, er lehnt verzweifelt Haupt und Arm gegen das Haus, sein Haus, wie es noch kürzlich hieß, gegen die Thür zu seinem Geschäft, das trotz seines blühenden Ganges ihm nicht hatte genügen wollen und das nun den Gläubigern verfallen ist ... Er hat spekuliert!

„Er hat spekuliert!“ – „Spekuliert mit fremdem Geld!“ – „Unser Geld verspekuliert!“ – In wilder Erregung umsteht in einer der Hauptstraßen Berlins eine Menge Volks den Eingang zum Komptoir eines Bankinstituts, dessen Besitzer noch vor kurzem zu den reichsten Vertretern der Finanzwelt zählte und zu dessen Kassen sich jetzt die Gläubiger drängen, um die anvertrauten Kapitalien zurückzuverlangen. Die laute Klage wird zum Verlangen nach Sühne, nach Schutz! –

Die Zeiten sind vorbei, wo nur die kleinen Diebe das strafende Schicksal ereilte. Große politische Parteien haben in Anträgen die Forderungen des ergrimmten Volksgewissens formuliert, wie sie der Eindruck einer ganzen Reihe von schmählichen Bankbrüchen, die in schneller Folge in Berlin sowohl als in anderen deutschen Städten in jüngster Zeit vorgekommen sind, heraufbeschworen. Die Gefahren einer gemeingefährlichen Spekulation sollen mit den Mitteln des Gesetzes bekämpft werden. Aber nicht nur das frevle Thun, die Genußsucht und Verschwendung der betrügerischen Geldverwalter mahnen zu ernster Prüfung der bestehenden Verhältnisse auf dem Gebiete des Geldmarkts – das Schicksal der Tausende, die durch jene ihr Vermögen verloren haben, wendet die Klage auch gegen alle die, welche aus Sucht nach leichtem schnellen Gewinn ihr Geld an Schwindelfirmen zur wilden Spekulation in unsicheren Werthpapieren überließen. Hier kann nicht Staatshilfe, sondern nur die Läuterung der allgemeiueu Moral Hilfe schaffen, und diese Läuterung kann nur durch Aufklärung über die Grenzen von Recht und Unrecht auf dem Gebiete der Geldanlage, nur durch Selbsthilfe und Vorsicht aller verständigen und anständigen Leute erzielt werden. Hierdurch allein kann auch das ins Schwanken gerathene Vertrauen in die glücklicherweise doch noch ihrer Mehrzahl nach tüchtigen Bankinstitute und in die für den Nationalwohlstand unentbehrlichen Berufszwecke derselben wieder befestigt werden.

Spekulation wird es immer geben; jedes geschäftliche Unternehmen beruht auf Vorausberechnung von Faktoren, deren letzte Wirkung sich nur muthmaßen läßt. Die verwerfliche Spekulation an der Börse, das sogenannte Zeit- oder Differenzgeschäft, besteht im Kaufen und Verkaufen von Werthpapieren auf bestimmte kurze Zeittermine, wobei auf die muthmaßlich in diesem Zeitraum eintretenden Kursänderungen und die daraus sich ergebende Differenz zwischen Kaufs- und Verkaufspreis spekuliert wird. Die Anziehungskraft dieses verderblichen Glücksspiels hat in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr zugenommen und Kreise ergriffen, welche sonst dem Geschäftsleben gänzlich fern stehen. Der spekulationslustige Privatmann, der nicht selbst an die Börse gehen kann, überläßt einfach dem Bankier seines Vertrauens größere Geldbeträge, sogenannte Depots. Sehen wir einmal zu, was es mit diesen Depots für eine Bewandtniß hat!

Im gewöhnlichen Leben und übrigens auch nach alten Rechtsbegriffen versteht man unter einem „Depositum“ ein hinterlegtes Gut, bei dem der Hinterlegende volles Eigenthum und Verfügungsrecht behält, während der Depositar, derjenige, bei welchem das Gut hinterlegt worden ist, dasselbe in keiner Weise veräußern darf. In unserem modernen Bank- und Börsenwesen hat sich aber dieser klare Begriff zu Gunsten der Spekulation verschoben, und zwar nicht allein durch die Schuld der Banken, sondern auch durch die des Publikums selbst. Für Hinterlegung von 1000 Mark in Papieren wird von Banken der zehnfache Kredit gewährt, um Differenzspekulationen zu machen. Fällt nun der Kurs der nominell gekauften, meist gar nicht wirklich bezogenen 10000 Mark Werthe irgend welcher Art um etwa ein Zehntel, so fordert der das Geschäft vermittelnde Bankier den Kunden auf, sein Depot zu verstärken, und wenn letzterer dazu nicht imstande ist, wird er einfach „exekutiert^, d. h. der Bankier verkauft die nominell für den Kunden angeschafften Papiere wieder und hält sich für den Verlust an das „Depot“ des letzteren, welches damit verschwindet oder auf ein Minimum herabgesetzt wird. Ja, gewisse Bankhäuser kündigen in großen Reklame-Prospekten an, daß sie Papiere bis zu 95 Prozent ihres Werthes beleihen, und das Haus Grosvenor und Company in London sucht die Kunden gar durch Anpreisung seines „Ein-Prozent-Systems“ zu locken, d. h. durch die Versicherung, daß man bei ihm ungünstigen Falls immer nur ein Prozent der Spekulationssumme verlieren könne, während auf der andern Seite unbeschränkte Gewinnaussichten ständen. Vor so gefährlichen Leihgeschäften zum Zweck der Spekulation kann gar nicht genug gewarnt werden. Diese und ähnliche Arten von Spekulations-Depots haben wesentlich mit dazu beigetragen, die ganze Rechtsgrundlage für das Depotgeschäft zu verrücken. Manche Bankiers machen es unmittelbar zur Bedingung, nicht die deponierten Stücke selbst, sondern nur ebensoviel von derselben Art zurückliefern zu müssen, andere verfügen stillschweigend über die hinterlegten Werthe, noch weitere behalten sich sogar ausdrücklich das Recht dazu vor.

Indeß giebt es genug Wege für den soliden, nicht spekulierenden Kapitalisten, sein Vermögen als Depot beim Bankier sicherzustellen. Außer der Reichsbank giebt es eine ausreichende Zahl großer Bankhäuser, welche alle Gewähr für die unberührte Aufbewahrung von Vermögenswerten bieten. Ja, die technischen Einrichtungen sind neuerdings vielfach so vervollkommnet worden, daß die Banken allein ohne Mitwirkung des Eigenthümers das Depot gar nicht herausnehmen können. Auch ist das Zurückbehalten der Coupons, bezw. die Hinterlegung von Mänteln und von Coupons der Werthpapiere an verschiedenen Stellen ein sicheres Mittel des Schutzes. Andere Maßregeln, wie gemeinsame Hinterlegungsstellen für die kleinen Bankiers, sind neuerdings angeregt worden, und es wäre gut, wenn sich mit solchen Mitteln genügende Sicherheit beschaffen ließe, denn auch auf dem Bankgebiet ist die Centralisierung und Monopolisierung in wenigen Händen durchaus nicht wünschenswerth.

Aber nicht nur die Gelegenheit und der verführerische äußere Anreiz durch die übermäßigen, für Spekulationen angebotenen Erleichterungen haben im Zusammenwirken mit dem größeren Hang nach Wohlleben und schnellem Verdienst ohne Arbeit den Anstoß zu den bedenklichen Erscheinungen der neuesten Zeit gegeben, sondern in zweiter Linie hat dazu auch die Entwicklung der wirthschaftlichen und finanziellen Verhältnisse selbst mit beigetragen. Das Leben ist teurer geworden, aber der Zinsfuß ist gesunken, das Kapital brachte weniger Rente, und die in einer längeren Friedensperiode ohne starken Geldbedarf für große industrielle und Verkehrs-Unternehmungen natürliche Bewegung des sinkenden Zinsfußes ist einigermaßen künstlich übertrieben worden. Hat doch Preußen allein im Jahre 1889 für ungefähr eine Milliarde Mark zu 4 und 4½ Prozent verzinsliche Prioritätsobligationen verstaatlichter Eisenbahnen in 3½prozentige umgewandelt! Auch bei städtischen Anleihen seitens der Hypothekeninstitute u. a. ist im Herabdrücken des Zinses des Guten zu viel geschehen. Die Folge davon ist, daß der deutsche Markt schon seit etwa 2 Jahren mit niedrig verzinslichen Papieren übersättigt ist, und 3½prozentige oder 3prozentige Werthe ersten Ranges kaum mehr in größeren Beträgen unterzubringen sind.

Unterdessen hatte sich aber bereits eine Menge besonders kleinerer Kapitalisten, die sich mit einem Zins von 3½ Prozent nicht zufrieden geben wollten, den ihnen in überreichlicher Masse oft mit ganz ungerechtfertigten Lobpreisungen angebotenen ausländischen Werten und zum Theil zweifelhaften oder wenigstens gewagten industriellen Gründungen zugewendet. Und hier trifft auch unsere Hochfinanz der Vorwurf, daß sie, in der Sucht, überhaupt Geschäfte zu machen und Geld zu verdienen, ohne die nöthige Beschränkung und Vorsicht zu viel ausländische Papiere wie Argentinier, Portugiesen etc. dem deutschen Kapitalistenpublikum aufgehalst hat.

Auch in dieser Beziehung sind jedoch Maßregeln zur Selbsthilfe im Werke. In der letzten Zeit haben sich nach englischem und belgischem Vorbild bei uns „Schutzkomitees“ für die Inhaber auswärtiger nothleidender oder gefährdeter Werthe gebildet, für Argentinier, Türken etc., und eine Zusammenfassung und Verallgemeinerung dieser Bestrebungen, wie sie in London in dem „Council of foreign bondholders“ gipfelt, dürfte zu erreichen sein. Ueberhaupt muß der deutsche Kapitalist von vornherein selbst

mehr auf seine Interessen sehen und sich darum kümmern, wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_047.jpg&oldid=- (Version vom 11.2.2019)