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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Aber ich sagte oben, daß jede Erscheinung in der Natur eine höchst verwickelte Sache sei, von vielerlei Ursachen und Bedingungen abhänge. So geht es auch mit der Färbung größerer Wassermassen, namentlich der Seen und Meere, die ja, wie man weiß, in ihren Nuancen sehr verschieden ist. Es möge gestattet sein, hier auf einige Verhältnisse einzugehen, die auf die Hervorbringung der Gesammtwirkung ihren Einfluß üben.

Eine ruhige Wasserfläche bildet stets einen Spiegel, der diejenigen Farben des Horizontes wiederstrahlt, welche unter demselben Winkel auf die Fläche einfallen, unter welchem das Auge zu dem horizontalen Spiegel steht. Befinde ich mich am Strande des ruhigen Meeres, des stillen Sees, so strahlt das Wasser in den Farben des Horizontes. In einer umwaldeten Bucht sehe ich tiefes Grün; auf der weiten Fläche bei Sonnenuntergang die lebhaftesten gelben und rothen Farben, bei senkrechter Betrachtung von dem Boote aus das Blaue des Himmels über meinem Kopfe.

Diese Reflexfarben beschäftigen den Physiker am wenigsten, weil er weiß, daß jede spiegelnde Fläche sie wiedergiebt; – sie beschäftigen im Gegentheile den Maler am meisten, ja fast ausschließlich. Sie machen die Stimmung seiner Landschaft; sie beleben die sonst einförmige, tote Fläche, und er sowohl wie der Beschauer des Bildes empfängt großentheils nur ihren Eindruck. Es sind meist die Farben des tiefen Horizontes, denn der Standpunkt des Beschauers ist ja meist nur wenige Meter über den Wasserspiegel erhaben.

So bei glattem Spiegel. Allein die Scene verändert sich schon bei geringer Bewegung. Das Meer ist nur höchst selten ganz ruhig. Die Wellen aber bilden Hügel und Thäler, ihre Flächen sind mehr oder minder geneigt und strahlen dann nicht den Horizont mit seinen abgetönten Farben, sondern die mehr gesättigten Tinten des Zenithes wieder. Wer das Mittelländische Meer oder den Genfersee bei einem wolkenlosen Sonnenuntergange und leichtem Wellenspiel gesehen hat, wird sich erinnern, daß die in brennend gelben und rothen Farben glühenden Flächen unterbrochen sind von scharfen, tiefblauen Schmitzenlinien – das sind die Wellenthäler, die infolge ihrer schiefen Neigung die tiefblauen Farben des Himmels im Zenith dem Auge zuwerfen.

Rosa Sucher.
Nach einer Photographie von J. C. Schaarwächter, Hofphotograph in Berlin.


Doch damit ist es nicht genug. Bei glatter Spiegelfläche und niederem Standpunkte erhält das Auge fast nur die von der Fläche reflektierten Strahlen, aber durch die geneigten Theile der Wellenthäler dringt der Blick in die Wassermase selbst ein, er gewahrt somit die eigenthümliche Farbe des Wassers, und diese um so gesättigter, je senkrechter die kleine Fläche des Wellenthales zu dem Auge steht. Sind die Wellen sehr kurz, folgen sie sich rasch, so kann dieser Eindruck der Wasserfarbe sogar denjenigen der Spiegelung überwältigen. Davon kann ich mich täglich überzeugen.

Die Fenster auf der Westfront meines Hauses liegen der Arve gegenüber, welche hier durch ein Wehr gequert ist, das einen Fall von etwa einem Meter Höhe hat. Ueber dem Wehre ist der im Sommer graugelb, im Winter grün gefärbte Gletscherstrom vollkommen glatt, und von meinen Fenstern, die etwa sechs Meter über dem Flusse gelegen sind, sehe ich fast nur die Spiegelfarben, immerhin etwas gemischt mit der eigenthümlichen Wasserfarbe, die besonders dann stärker hervortritt, wenn der Himmel bedeckt ist und sein grelles Licht nicht, wie die Maler zu sagen pflegen, die sanfteren Töne „frißt“. Aber unterhalb des Wehres ist das Wasser in lebhafter Bewegung mit unendlich kleinen, rasch aufeinander folgenden Wellenkräuselungen, und hier tritt die grüne Färbung lebhaft hervor, so daß die Spiegelung fast gänzlich verschwindet.

Noch ein anderer Umstand tritt durch die Bewegung hinzu. Nur bei vollkommen glatter Spiegelfläche sind auch die Umrißlinien der gespiegelten Gegenstände durchaus voll und scharf; die Spiegelung ist dann so vollständig, daß man oft nicht weiß, ob man den wirklichen Gegenstand oder nur dessen Spiegelbild auf der Wasserfläche sieht und die Grenze zwischen Wasser und Ufer sich gänzlich verwischt. Die geringste Bewegung läßt die Umrisse des Spiegelbildes gezackt erscheinen; hellere Linien vom Horizonte greifen in die dunkleren Farben des Spiegelbildes ein, aber auch Zacken von diesem springen über die Linien hinaus, welche die Umrisse haben sollten. Diese Erscheinung ist so gewöhnlich, daß man auf Farbenbildern, wie auf nur in schwarzer Manier gemachten Blättern die Spiegelbilder im Wasser stets mit gezackten Rändern ausstattet. Ich zweifle nicht daran, daß dieser Erscheinung ein ähnliches Verhältniß zu Grunde liegt, wie der von Colladon zuerst beobachteten und jetzt vielfach benutzten Thatsache, daß das bewegte Wasser die Lichtstrahlen mit sich reißt. Ein Wasserstrahl, der durch eine dunkle Röhre aus einem erleuchteten Recipienten ausströmt, reißt das Licht, mag es nun weiß oder farbig sein, mit sich und leuchtet – warum sollten bewegte Wellen nicht dieselbe Wirkung äußern?

Doch genug von diesen malerischen Eindrücken, die, wie gesagt, von den Physikern bei Seite geschoben werden, aber dennoch von höchster Bedeutung für den einfachen Beschauer wie den Künstler sind und, wie aus unserer Darstellung hervorgehen mag, immerhin aus verschiedenen Faktoren zusammengesetzt sind, unter welchen, neben der Spiegelung, auch die eigene Farbe des Wassers in Betracht kommt.

Gehen wir auf diese näher ein!

Reines oder farblose Salze in Auflösung enthaltendes Wasser ist also schön blau und vollkommen durchsichtig, wenigstens bis auf eine gewisse Tiefe.

Es ist daher klar, daß zu der Farbe aller bis in diese Tiefe sichtbaren, mithin Lichtstrahlen zurückwerfenden Gegenstände unter dem Wasser sich blauer Schimmer beigesellen wird, um so intensiver, je größer die Tiefe ist, in welcher der Gegenstand liegt. Die Kiesel am Strande eines Sees oder des Meeres werden durch das blaue Wasser gesehen wie durch eine blaue Glasscheibe, und da fast alle Strandgebilde, mit geringen Ausnahmen, eine gelbliche Färbung zeigen, so werden sie mehr oder minder grünlich schimmern und das Wasser also am Strande grün erscheinen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_053.jpg&oldid=- (Version vom 1.7.2023)