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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Eigenthümlich muthet hier alles den Besucher an, er tritt in eine Scenerie, wie sie etwa für Straße und Kirchplatz in Goethes „Faust“ nicht besser ersonnen werden könnte. Um den altehrwürdigen Dom her reihen sich das Archidiakonathaus mit seinem Steinaltan, das mauerumgebene Pfarrgehöft, die alte, jetzt als Alterthumsmuseum verwendete Schule, hübsche, behaglich dreinschauende gothische Bauten mit bunten Ziegelwänden und mancherlei Zierrath, so wiederhergestellt, daß man das Alte vom Neuen nicht unterscheiden kann.

Am Hafen.
Nach einer Photographie von C. Michaelsen in Wismar.

An den Kirchhof schließt sich der „Fürstenhof“. So heißt der Bereich des früheren Residenzschlosses der Fürsten und späteren Herzöge von Mecklenburg, die als Inhaber der Oberhoheit zeitweilig ihren Aufenthalt in der Hansestadt Wismar nahmen. Im vierzehnten Jahrhundert erstand der erste Bau; Gabriel van Aken schuf dann in den Jahren 1553 bis 1554 den sogenannten „Neuen Hof“, indem er einen Flügel des Schlosses in schönerer Gestalt wieder aufführte. Die Jahrhunderte gingen an diesem Kunstwerk der Ziegelbautechnik nicht spurlos vorüber, und so ließ Großherzog Friedrich Franz II. den „Neuen Hof“ unter Wahrung des alten Charakters gründlich restaurieren. Der Bau ist in florentinischem Stil gehalten, in vornehmer Regelmäßigkeit schmücken erhabene Bildwerke aus gebranntem Thon, die man „gedruckte Steine“ nannte, die Wände und Portale. Biblische Darstellungen, die Porträts mecklenburgischer Fürsten und Scenen aus dem trojanischen Krieg wechseln mit einander ab. Eine auffallende Aehnlichkeit mit den Formen des Fürstenhofs zeigt die neue Bauakademie in Berlin, und in der That soll deren Erbauer – Schinkel – den Plan zu seinem Werke dem Fürstenhof entlehnt haben.

Noch manches andre beachtenswerthe Denkmal vergangener Zeiten ließe sich hier im Marienviertel anführen, wo nur die Menschen in mittelalterlicher Tracht fehlen, um uns ganz in frühere Jahrhunderte zurückzuversetzen. Die übrigen Theile der Stadt enthalten kunstvolle alte Bauten nur vereinzelt, unter moderne Gebäude zerstreut. Neben dem Wasserthor, den Thürmen der Stadtmauer, schönen Giebelhäusern wie dem Wädekinschen Gasthof und dem Kochschen Brauhaus ist vor allem der „Alte Schwede“ als ein vorzügliches Werk des gothischen Stils zu nennen. Der prächtige Bau ist in unserer nüchternen Zeit ein Wirthshaus geworden, und wenn wir über den Markt hinüber wandern, so können wir uns dort bei einer mecklenburgischen „kalten Küche“, bei welcher die berühmten Wismarischen „Krabben“ nicht fehlen dürfen, von unseren mittelalterlichen Träumen erholen.

Portal am Fürstenhof.

Inmitten einer stattlichen Häuserreihe an der breiten „Leiste“, wie man in Wismar mit gut deutschem Ausdruck das „Trottoir“ nennt, springt der schmucke Bau dem Beschauer sofort in die Augen. Er zeichnet sich aus durch die zierlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_083.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)