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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

als gleichzeitig Emmy herankam und ihm die Hand gab und das Mädchen ihr zur Seite das schöne Haupt zum Gruß neigte, da hatte Lars Thormann zu thun, um die Vielfältigkeit dieser Eindrücke zu bewältigen und ein paar unvollkommene Dankesworte für die Freundlichkeit gegen sein Kind herauszubringen.

Emmy lobte dessen nettes Betragen, und Sigrid, um diesem Ausspruch Ehre zu machen, sprang mit immer neuen Tigersätzen gegen den Papa an, ihm Arme und Beine umklammernd. Er machte sich sanft von ihr los.

„Sie ist wirklich unbändig, ich verziehe sie,“ sagte er mit hilfesuchendem Blick, indem er ihr sachte über den Kopf strich. „Das wirft mir Fräulein Wiesner immer vor. Aber wie abhelfen? Ich hoffe nur, sie wird selbst vernünftig, wenn sie einmal erwachsen ist! Geh’ jetzt, mein Herz, und spiele noch mit den andern! Du mußt Dich bald genug verabschieden.“

Doch davon wollte Emmy nichts hören. „Nein, nein, Sie sehen sich das Spiel noch ein Weilchen an. Setzen Sie sich dorthin – Vilma, Sie unterhalten mir Herrn Thormann, ich muß nur einmal drinnen nach den übrigen sehen!“

Und sie unterhielten sich; der menschenscheue Künstler vergaß ganz seinen Widerwillen gegen elegante Damen, während er mit dieser sprach. Es überraschte sie wohl, daß er mit keiner Silbe des Weihnachtsengels gedachte, sondern anfing, seine Freundin Karoline zu preisen, sie stimmte aber sofort lebhaft zu und versicherte mit soviel Wärme, wie sie sich stets in deren Nähe gehoben und veredelt fühle, daß der wahrhaftige Mann an ihrer Seite sie freundlich ansah.

„Sie leben wohl sehr in der großen Welt?“ fragte er etwas zweifelhaft.

„Die große Welt ist schließlich immer eine recht kleine,“ gab sie lächelnd zur Antwort. „Es ist stets derselbe Menschenkreis, in dem man sich bewegt. Und oft fühlt man deutlich genug, daß man Besseres thun könnte. Allein es liegt bei uns soviel in den Verhältnissen ... Mama ist eine sehr gesellige Natur, und ich habe nicht die Willenskraft meiner älteren Schwester, die gar nicht ausgehen will.“

„Sie haben noch eine Schwester?“

„Eine sehr gelehrte sogar, die viel mehr werth ist als ich unwissendes Menschenkind!“ Sie hob voll Schelmerei die Augen zu ihm empor, aber er sah nachdenklich vor sich hin und das erwartete Kompliment blieb aus ... Ein schwerfälliger Mensch! Schwieriger zu behandeln als die Herren der Gesellschaft, bei denen dies der rechte Ton war! Indessen verfolgte er die durch ihren Anblick erweckten Erinnerungen von neulich und sagte plötzlich ganz unvermittelt:

„Können Sie mir vielleicht sagen, Fräulein, wer damals die Briefe für die Bazarpost geschrieben hat?“

Sie schaute ihn ohne Wimpernzucken an. „Nein, davon weiß ich nichts, ich hatte nur für den Christbaum zu sorgen, und sie thaten sehr geheimnißvoll mit ihrer Postexpedition. Hat man Ihnen auch einen schlechten Witz geschrieben?“

„Das nicht gerade,“ erwiderte er langsam in ruhigem Tone. Sie wartete auf mehr, es kam jedoch nichts nach; dieser ungelenke Mensch besaß die Kunst des Schweigens offenbar als Naturgabe. Aus dem Nebenzimmer erschienen nun die andern, Hoffmann richtete die dritte eindringliche Mahnung zum Gehen an seine Söhne, ohne mehr Beachtung zu finden als mit den beiden ersten. Aber zu seinem Glück wurde jetzt das Aufbrechen allgemein, man lief hin und her, Emmy stand umdrängt von frohen, dankbaren Kindergesichtern, die Abgehenden machten noch nach Kräften Lärm bis zum Vorplatz hinaus.

Sigrid stürzte herbei. „Papa, Fräulein Vilma hat mich eingeladen, sie hat einen Chinesen, der die Zunge herausstreckt, und Hedy ist auch so lieb mit mir, nicht wahr, ich darf hingehen? Bitte, bitte, Papa!“

„Nun ja ... versteht sich ...,“ kam es in einiger Verlegenheit von seinen Lippen. „Es ist sehr freundlich von Ihnen,“ wandte er sich an Vilma, die nebenan im Gespräch mit dem jungen Amerikaner stand. Dieser blickte wüthend auf: war denn der Grauhaarige wieder da, den er schon vorhin so dringend zum Teufel gewünscht hatte? Doch ohne seinen Zornesblick zu bemerken, fuhr Thormann fort: „Natürlich werde ich Sigrid schicken, sie sollte schon lange mehr unter Kinder ... aber dann erlauben Sie mir wohl auch ... meine Aufwartung ...“ Das weitere erstarb unter dem Schatten des graublonden Bartgestrüpps.

„Mama wird sich sehr freuen,“ erwiderte Vilma liebenswürdig. „Sie empfängt jeden Donnerstag Abend von fünf Uhr an.“

Ein freundliches Nicken noch, ein Kuß auf Sigrids Stirn, und hinaus war sie, begleitet von Francis, der ungestüm nach ihrem Mantel stürzte und ihn mit unbeschreiblichem Hochgefühl ihr um die feinen Schultern legte.

„Darf ich Sie auch machen meine Aufwartung?“ flüsterte er dabei nahe ihrem Ohr.

„Versteht sich –“ lachte sie, „und wäre es auch nur, um ein besseres Deutsch sprechen zu lernen! Komm, Hedy! Gute Nacht, Mister Weston!“

Er öffnete die Gangthür und im Abgehen traf ihn ein über die Schulter zurückgesandter Blick, der unsern Francis als den seligsten der Menschen zurückließ.




6.

Es war Donnerstag nach Weihnachten. Frau von Düring erwartete Gesellschaft, und ihr Salon schwamm in dem für zweifelhafte Einrichtungen so wohlthätigen Licht rosiger Lampenschirme. Um ihn zu erreichen, mußte man einen nassen Thorweg und sehr schlechte Treppen passieren; die Damen wohnten in einem Hinterhaus, dessen Lage zwischen ein paar kleinen Gärten übrigens die Möglichkeit gewährte, eine solche Wahl mit großer Vorliebe für Natur zu erklären. Und die Gesellschaft, welche gern die Armuth ihrer Mitglieder anständig umkleidet sieht, nahm die Erklärung an. Es wurde nicht einmal hinter dem Rücken der Witwe darüber gelästert, man kannte den Betrag ihrer kleinen Pension und fand es aller Ehren werth, wie sie mit ihren Mädchen durchzukommen verstand und noch alles Mögliche mitmachte.

Den Verhältnissen entsprach die Einrichtung. Was geschickte Hände zuwege bringen können mit alten Behängen und Teppichen, selbstgetrockneten Makartsträußen und selbstgemachten Papierblumen, das war hier geschehen. Kein Stückchen Möbel ohne schadhafte Stellen, aber alles so geschickt vertheilt, die fadenscheinigen Divans und Sessel in einem klugen Halblicht so zwanglos elegant herumgestellt, daß die Gesammtwirkung eine entschieden günstige war. Selbst die künstlerische Seite fehlte nicht: aus der großen Fundgrube Tirol hatte Frau von Düring letztes Jahr allerhand Dinge mit heimgebracht, die sie in den Sakristeien entlegener Dorfkirchlein aufgetrieben und welche, von kundiger Hand vertheilt, dem Salon jenen leisen Museumscharakter verliehen, die feinste Blüthe moderner Wohnungseleganz. Da standen rechts und links von einem eisenbeschlagenen Kasten, der den Christbaum trug, wie Wächter zwei lebensgroße holzgeschnitzte und buntbemalte Posaunenengel; aus einer altersschwarzen Chorbank waren verschiedene, ebenso merkwürdige als unbequeme Sitzgelegenheiten gemacht und mit bunten Decken behangen worden. Allerhand verschwärzte Krusten von Heiligenbildern konnten der spanischen Schule angehören, jedenfalls erfüllten sie ihre Aufgabe, große Stücke der schlechten Tapete zuzudecken, ganz ausgezeichnet. Das Bewußtsein, wie „schick und originell“ ihr Salon sei, hob Frau von Düring über seine sämmtlichen Mängel hinweg, Vilma in ihrem starken Gefühl für das wirklich Elegante zuckte heimlich die Achseln darüber, und der ernsthaften Paula war er einfach ein Greuel.

Die beiden Schwestern saßen, nach beendigten Vorbereitungen, in Erwartung der Gäste schweigend da. Vilma machte für die Familie überhaupt niemals Aufwand an Liebenswürdigkeit, und Paula hoffte, noch schnell einen Posten lateinischer Fürwörter zu erledigen, da ihr die eigentliche Arbeitszeit heute genommen war. Ihr über das Buch geneigtes Gesicht hatte nicht entfernt den Liebreiz von Vilmas sonnigen Zügen, jedoch eine klare Ruhe lag auf dieser festen, von braunem Haar schlicht umrahmten Stirn. Wenn sich die dunkelgrauen Augen hoben, so war ihr Blick sicher und prüfend, wohl geeignet, das männliche Verdammungsurtheil hervorzurufen: „Hier herrscht der Verstand über das Gefühl!“ Paula kümmerte sich darum nicht, ihre ganze Seele

strebte unverwandt einem Ziele zu, und dies hatte mit Gefallenwollen nichts zu schaffen. Sie trug dunkle Farben, während

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_091.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2019)