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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Anfangs wurde dieses ganz eng, sorgfältig nach den Formen des Beins zugeschnitten, erhielt aber am unteren Ende seitlich einen zuzuknöpfenden Schlitz, damit es über den Fuß gezogen werden konnte. Gelber Nankin war der bevorzugte Stoff dieses Kleidungsstückes. Dieser Anzug war sehr leicht und zierlich; er paßte sowohl für die Schuhe als für die langen noch beliebten Stiefel. Vielfach trug man auch Gamaschen, die über Schuh und Strumpf geknüpft wurden. Bis in die zwanziger Jahre hinein ging man selbst auf Bälle in hohen Stiefeln, die vielfach reich verziert wurden, am oberen Abschlusse Posamenten und Quasten zeigten, umgeschlagen und verbrämt waren. Die Aerzte wendeten sich gegen sie, weil man sich beim Ausziehen erkälte, ferner weil ihre große Wärme Blutandrang zum Kopf, „Kriebeln“ an den Füßen, endlich Kopfweh und Schlagfluß verursache. Aber noch heute leben sie weiter, wenn auch heimlich, unter weiten Hosen getragen als Schaftstiefel.

Die Knöpfe, mit welchen man die Beinkleider am Knöchel schloß, führte man vielfach in einer langen Reihe längs der Naht empor, als wenn das ganze Beinkleid seitlich sich öffnete. Die Lützowsche Freischar trug z. B. solche Knopfreihen. Aber mehr und mehr kam man dazu, die Hosen in weiteren Maßen zuzuschneiden, so daß sie bald um die Waden des Trägers flatterten. Anfangs reichten sie nicht bis auf den Fuß, sie zeigten noch den Strumpf und den Halbschuh; dann nach den Befreiungskriegen kamen die russischen „Pantalons“ auf, die zwar über dem Knöchel gebunden wurden, aber so weit und lang zugeschnitten waren, daß ihre Bauschen bis auf den Boden fielen. Weiche Stiefel in Kastor oder Juchten gehörten zu dieser Tracht. In den zwanziger Jahren hat das Beinkleid endlich die Gestalt erlangt, die es im wesentlichen noch heute besitzt: es ist ein vom Schneider aus starkem Tuch gefertigtes, von der Taille bis auf den Stiefel reichendes, häufig an diesem durch Stege befestigtes Gewand. Ob nun wie in den zwanziger, vierziger und sechziger Jahren oben am Bund Einnäher gemacht werden, damit der Träger an den Hüften breit aussehe, oder ob die Beinkleider an den Knieen eng und unten weit erscheinen, wie sie Jungdeutschland um 1830, der preußische Offizier bis etwa 1880 liebte und die Marine noch heute trägt, ob sie eng sich spannen, damit die Formen des Beines deutlich sichtbar werden, ob sie zu lang gemacht werden, damit sie sich in Falten stauchen, wie es die österreichischen Offiziere lieben, ob sie ballonartig aufgebauscht sind wie in der Blüthezeit der Krinoline, oder gleich weiten Säcken nach dem Vorbild der englischen Lawn-Tennis-Anzüge – das sind so kleine Scherze der Mode, in denen ein ernsterer Sinn kaum zu erkennen ist: es sind die Phantasieblüthen der Schneider und Modejournalzeichner.

Ich erinnere mich sehr lebhaft des Staunens, als ich, in jungen Jahren zum Hofball eines deutschen Fürsten geladen, auf der Ansage die Bemerkung fand „Anzug: Schuhe und Strümpfe.“ Ich war zwar Soldat gewesen und hatte die löbliche, weil praktische Einrichtung der leinenen Fußlappen kennengelernt. Wollte der Fürst sich durch jene Bemerkung davor verwahren, daß ein Gast solche in langen Stiefeln trüge? Darauf, daß diese Nachricht nur den Hofbeamten gelte, kam ich erst während des Festes selbst, nachdem ich mit Selbstgefühl mich gekleidet hatte wie zu jedem andern Balle, entschlossen, allen Angriffen auf mein Selbstbestimmungsrecht zu trotzen, falls man von mir Unbilliges fordern sollte. Um sicher zu gehen, hatte ich mir neue Lackstiefeletten gekauft – wenn schon auf das Fußzeug so viel Gewicht gelegt ward!

Noch heute trägt man ja an den Höfen das alte französische Kleid, die enge Kniehose und den bestickten Frack. In der Gesellschaft, deren Kleid nicht von oben geregelt wird, erhielt es sich bloß bis in die dreißiger Jahre. Die hellen Farben verschwanden aber auch hier mehr und mehr. Sie blieben wie überall das Vorrecht der Uniform. Am längsten hielten sie sich an den Westen und an den mächtigen Binden. Lange waren Frack und Beinkleider wenn auch schwarz, so doch noch von Seide, Atlas oder einem gerippten, „Cords“ genannten Stoff. Erst seit den vierziger Jahren herrscht das Tuch allgemein, verschwindet das tiefe Blau und Grün, verlieren sich selbst die Goldknöpfe vor dem matten Schwarz des heutigen Gesellschaftsanzuges. Und so war das moderne Ballkostüm fertig!

Die Halsbinden blieben am längsten Versuchsfelder für einschneidendere Neuerungen. Zwar machte das 19. Jahrhundert das Kinn bald wieder frei, aber es blieb dabei, den Hals mächtig zu recken. Man sehe nur alte Uniformen mit ihren unglaublich hohen Kragen und Binden an! Die deutsche Armee trägt sie heute noch, diese Erfindung der Revolutionszeit, wenn auch in gemilderten Abmessungen. Es galt 1823 für eine große Neuerung, als statt der fest geschneiderten, mit Fischbein oder Draht ausgesteiften Binden aus England solche kamen, die man sich selbst anlegen konnte. Hatten sich doch die „Kleinmeister“ bisher besondere Leute gehalten, die gleich dem Friseur aufs Zimmer kamen, um die Binde anzulegen oder gegen einen Gulden Lehrgeld eine neue Mode ihrer Kunst zu lehren.

Lange Jahrzehnte ist so der Hals kunstgerecht verbarrikadiert worden. Erst die Nähmaschine hat hier Wandel geschaffen, weil sie die Hemdenmode beeinflußte und an Stelle der „Chemischen“, jener Vorhemden, welche sich nur zu oft durch die hinten zwischen den Frackschößen heraushängenden Bändchen peinlich bemerkbar machten, die Hemden mit fester Brust einführte. Jetzt konnte man diese ja auf billige Weise fälteln, so daß es nicht als Luxus erschien, sie mit dem Hemd selbst zur Wäsche zu schicken, man konnte sie steifen, wie man vorher nur die Binde gesteift hatte, jenen wunderbaren Leinwandpanzer schaffen, der heute noch die Männerbrust nach vorne deckt. Erst in den sechziger Jahren wurde es allgemein Sitte, die Kragen an das nun mit dem Hemd vereinigte Vorhemdchen angeknöpft zu tragen, und die Mode begann sich hauptsächlich auf die Gestaltung dieser Leinwandkragen zu werfen, endlich durch den Klappkragen – wenn ich nicht irre, auch in den sechziger Jahren – den Hals der großen Mehrzahl der Männer wieder befreiend. Byron freilich und die deutschen Idealisten hatten diese Tracht schon vierzig Jahre früher anzubahnen gesucht. Mit dem Stehkragen trat an Stelle der Binde der Schlips, wieder, wie der Name sagt (von slip, Knoten), eine englische Erfindung, ursprüglich jenes geknotete Tuch, welches die Seeleute tragen, später ein schmaler bandartiger Streifen, endlich eine vom Fabrikanten mit allerhand „Mechanique“ zum Anschnallen ausgestattete Schleife. Der Klappkragen ist leider, wie es scheint, wieder im Verschwinden. Als ich mich im vorigen Frühjahr in England aufhielt, mußte ich mir schon Stehkragen kaufen, weil ich nur für solche geeignete Schlipse vorfand. Ein Ladenfräulein in einem nahe dem Hafen von Liverpool gelegenen großen Geschäft fragte mich ohne schelmische Absicht, als ich ihr meine Noth klagte, ob ich aus Australien käme?

Der Schlips hat sein Gegenstück in der Krawatte, deren Name vielleicht vom englischen craw, Kropf, abstammt.

Beide zusammen haben als verkünstelter Rest des frei geschlungenen Halstuches noch heute das Vorrecht, farbig sein zu dürfen und den kleinen Fleck am Kleide des Mannes darzustellen an welchem er einen selbständigeren Geschmack bekunden darf – soweit er etwas diesem Entsprechendes in den Läden findet!


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_095.jpg&oldid=- (Version vom 4.4.2024)