Seite:Die Gartenlaube (1892) 097.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

gegebenen Maßstab. Wer wollte bestreiten, daß der Schutz der Religion im Interesse der Herrscher wie der Beherrschten gelegen ist; aber selbst derjenige französische König, welcher der Heilige schlechtweg heißt, Ludwig IX., hat begriffen, auf was es dabei ankommt. Er äußerte wohl, es sei besser, aussätzig zu sein als eine Todsünde zu begehen, weil der Aussatz nur den Leib, die Todsünde aber die Seele verderbe; allein diese Frömmigkeit war nicht knechtischer Art. Einst klagten die Erzbischöfe und Bischöfe seines Reiches, daß so viele Leute im Banne der Kirche stürben; der König möge durch seine Statthalter und Vögte anordnen, daß die, welche ein Jahr und einen Tag gebannt seien, sich bei Verlust ihres Vermögens um Absolution durch die Priester bemühen müßten. Darauf antwortete der fromme Monarch. „Das will ich gerne allen denen befehlen, von denen Ihr mir gewiß macht, daß sie unrecht haben; anders aber nicht, da ich sonst gegen Gott und gegen sie mich versündigen würde.“

Der König begriff sehr gut, daß die Prälaten ihre eigene Autorität mit der vorgeblichen Rücksicht auf das Ansehen der Kirche Christi decken wollten. Mit fester Hand zerriß er diesen Schleier; wer mit Unrecht gebannt ist, braucht keine Absolution; den Satz: „Die Kirche hat gesprochen, die Sache ist erledigt,“ läßt er nicht gelten, weil er sich nicht Priestern verantwortlich weiß, sondern Gott.

Das Verbrennen von eingezogenen Werthpapieren in Berlin.
Nach einer Zeichnung von W. Zehme.

Ein Zeitgenosse des heiligen Ludwig war Friedrich II., der Hohenstaufe, einer der geistvollsten und gewaltigsten Fürsten des Mittelalters, welcher in vielen Stücken seiner Zeit voraus war. Er schuf in Neapel und Sicilien einen bureaukratisch regierten Staat; inmitten einer Zeit, wo das Lehnswesen noch die Grundlage des staatlichen Lebens war, hat er neue und feste Stützen seiner Macht gefunden. Oft hat man ihn als einen von der Kirche abtrünnigen Ketzer bezeichnet, schon bei seinen Lebzeiten, und es unterliegt keinem Zweifel, daß er innerlich freier dachte, als man von dem Manne erwarten sollte, welcher, um den Papst nicht unnöthig zu reizen und schlimmen Verdacht auf sich zu laden, die Einführung der Inquisition in Deutschland geschehen ließ. Ein Anzeichen dieser inneren Loslösung von dem Ueberlieferten und dabei ein lehrreiches und wehmüthiges Bekenntniß von den Schranken, welche Zeit und Menschen auch dem Mächtigsten ziehen, ist sein Wort: „Wer darf im Leben das scheinen, was er ist?“

Die Gestalt Friedrichs II. gehört schon in die Pforten des Uebergangszeitalters vom Mittelalter zur Neuzeit. Die Monarchie dieser neuen Zeit hat die feudale Aristokratie überwältigt welche als der Stand der Kriegsleute und der Grundherren sich zwischen das Königthum und die Masse des Volks hineingeschoben und jahrhundertelang jenem Schach geboten, diese aber ausgesogen hatte. Indem das Königthum die unbeschränkte Gewalt an sich brachte, erlangte es die Möglichkeit, sich der unteren Schichten des Volkes anzunehmen, zu welchen ihm Jahrhunderte hindurch sozusagen der Zugang fast versperrt gewesen war. Der Absolutismus des 17. Jahrhunderts ist deshalb kein Rückschritt in der Geschichte, sondern ein Fortschritt: durch ihn ward die tiefe Kluft einigermaßen ausgefüllt, die zwischen dem Adel und dem Volke gegähnt hatte, und der Gleichheit aller vor dem Gesetze vorgearbeitet. Der Absolutismus war ein Zuchtmeister zur Freiheit. Einer der tüchtigsten Vertreter dieses Absolutismus war Heinrich IV. von Frankreich, mit welchem 1589 das Haus Bourbon auf den Thron gelangte. Er wollte, sagt ein Bericht, überall und in allem König sein; deshalb war auch sein Leben wiederholt von Verschwörungen der Edelleute bedroht, und er ist schließlich unter dem Messer Ravaillacs gefallen, welcher nicht bloß den König als Verräther an der Kirche haßte, weil er dieser die Hugenotten nicht unterworfen habe, sondern auch, was oft übersehen wird, ein früherer Diener des hingerichteten Verschwörers Biron gewesen ist. Dem Volke war Heinrich ein gütiger Vater, von dem das Wort herumgetragen ward: „Ich will, daß am Sonntag jeder Bauer sein Huhn im Topfe habe.“ Die Leute nannten ihn schlechtweg den „guten König“, und Frankreich hat unter ihm nach den Greueln eines dreißigjährigen Religions- und Bürgerkriegs, in welchem über 130 000 Häuser niederbrannten, eine Wiederauferstehung gefeiert, gegen welche die nach 1871, so großartig sie war, sich doch wie ein Kinderspiel ausnimmt.

Unter Heinrichs Enkel, Ludwig XIV., erstieg der französische Absolutismus den Höhepunkt. Es wäre ungerecht, dem König eine gewisse Größe abzusprechen. Macaulay rühmt ihm eine der Haupttugenden eines Herrschers nach, daß er nämlich verstanden habe, die richtigen Männer für jede Aufgabe zu finden, und in der That ist es königlich, die Kräfte des Landes zu überblicken und sie, eine jede an ihrem Orte, in Bewegung zu setzen; auch hat der König Frankreich für Jahrzehnte an die Spitze des Welttheils gebracht. Aber er erstickte durch seine Selbstherrschaft jeden unabhängigen Willen. Es ist bezeichnend dafür, daß der erste Feldherr Frankreichs, der Vicomte de Turenne, 1668 mit der Begründung zum Katholicismus übertrat, es gezieme ihm nicht, eine andere Religion zu haben als der König. Ludwig XIV. soll, als ein Richter die Worte gebrauchte[:] „Der König und der Staat“, ihn unterbrochen und majestätisch ausgerufen haben. „Der Staat, das bin ich,“ „l’etat, c’est moi“ –: das will heißen: in meiner Person verkörpert sich das Ganze; wer mir widerstrebt, der widerstrebt dem Ganzen. Dabei bleibt dann freilich nur ein Wille übrig, der oberstes Gesetz für alle anderen ist. Diese Ueberspannung des monarchischen Prinzips führte mit Nothwendigkeit schließlich zum entgegengesetzten Satze, daß, wenn der Staat nicht in einer Person aufgehen, wenn Platz für die anderen sein solle, man mit dem Königthum gründlich aufräumen müsse. Durch sehr erkennbare Zusammenhänge, wenn sie auch nur allmählich in Wirkung getreten sind, hängt die Revolution von 1792 mit all ihren Schrecken zusammen mit dem System Ludwigs XIV.

Der Absolutismus hat auch in Deutschland und Preußen seine geschichtliche Sendung gehabt und vollbracht; es gab auch dort ein feudales, bezw. patrizisches Joch, unter dem die Masse des Volks seufzte. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, fand in Cleve Zustände von schreiender Ungleichheit vor, der Bauer war dreimal härter belastet als der Städter; auch das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_097.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)