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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

aus dem Spiele zu lassen. Zum Glück bietet Dir die Berliner Gesellschaft immer noch Aussichten genug, um eine gute Partie zu machen.“

„Ich denke nicht daran, zu heirathen,“ bemerkte Bettina kurz.

„Das sagt jedes junge Mädchen um seinen Idealismus zu beweisen, doch laß uns ehrlich sein, mein Herz: echtes Glück winkt jeder Frau nur in der Ehe. – Wir können vorläufig noch keine Bälle und Theater besuchen, wohl aber mit unseren Bekannten im engeren Kreise verkehren, und ich bin sicher, daß es uns noch im Laufe des Winters gelingen wird, für Dich eine passende Verbindung zustande zu bringen.“

Bettina fühlte sich durch das Gespräch mehr und mehr empört und rief mit Nachdruck. „Bitte, Mama, sprechen wir nicht mehr darüber!“

Allein Frau Rosita ließ sich nicht beirren, sie antwortete ebenso bestimmt: „Du bist sentimental, das taugt nicht. Wir müssen über diesen Gegenstand sprechen, denn es liegt in Deinem wie in meinem Interesse, klare bestimmte Ziele ins Auge zu fassen. So gern ich Dich bei mir habe, Betty – Du mußt Dich doch mit dem Gedanken vertraut machen, daß ein Zusammenleben auf die Dauer unmöglich ist. Es kann sein, daß ich nach Ablauf des Trauerjahrs mich in Paris ansiedle, ja Du dürftest es mir nicht verargen, wenn ich mich dann entschließen würde, den Witwenschleier abzulegen. Gewiß, ich habe Deinen Vater sehr geliebt und tief betrauert, aber es ist für eine Frau, die gewohnt war, den Mittelpunkt weiter Gesellschaftskreise zu bilden, demüthigend und unerträglich, allmählich bei Seite geschoben zu werden oder dort nur geduldet zu sein, wo man früher den Ton angab. Zudem hat jeder Mensch die Berechtigung, sich auszuleben, und so würde ich vielleicht, wenn ein liebenswürdiger Mann in geachteter Stellung mir seine Hand anträgt, nicht Nein sagen. Du siehst, ich bin ganz offen –“

„Und ich will Dir ebenso offen und ohne jede Empfindlichkeit antworten. Wenn dieser Fall eintritt, so werde ich Dir keinen Augenblick im Wege sein; ich ziehe mich mit meinem Erbe in einen stillen Erdenwinkel zurück, wo nichts mich hindert, nach Gefallen zu leben. Während dieses Winters aber kannst Du jeden Versuch sparen, eine ‚gute Partie‘ für mich zustande zu bringen, denn ich bin fest entschlossen, auf keinen Varschlag dieser Art einzugehen.“

„Nun wohl! Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied; der eine zerschlägt die Güter, welche das Schicksal ihm verliehen hat, der andere formt sich daraus den glänzenden Schmuck seines Lebens. Junge Mädchen sollten sich ihre Zukunft gestalten, solange der Schmelz und die Frische der Jugend vorhalten.“

Mit dieser Mahnung wurde Bettina entlasen, und als sie sich früh zur Ruhe niederlegte, ließ sie die friedlichen Tage in Massow noch einmal an ihrer Seele vorübergleiten. Mit dem Seufzer: „Ach, wär’ ich doch wieder dort – in der Stille, fern vom kleinlichen Kampf!“ entschlummerte sie.

*      *      *

Einige Wochen nach der Rückkehr fand Lisas Vermählung mit Garcia Diaz statt, und Bettina betheiligte sich voll Eifer an den Zurüstungen. Da der Sanitätsrath einen großen Verwandten- und Freundeskreis besaß, so wurde das junge Paar mit Gaben überschüttet. Und wie durch einen Blumengarten schritten die Verlobten zum Altar, denn die Trauung fand in den weiten Gesellschaftsräumen der Horstschen Wohnung statt, die mit grünen Gewinden, mit blühenden Rosenbüschen, mit Palmen und Orangenbäumen ausgeschmückt waren. Das Brautpaar fühlte sich in den schönen duftigen Räumen, umdrängt von all den Freundschaftsbeweisen der Gäste, wunderbar erhoben und die Freude ließ sie beide ihre Anmuth und Heiterkeit doppelt entfalten. Im Strahl des Glücks, das sie empfanden, trat die Schönheit und der Jugendglanz ihrer Erscheinung sieghaft hervor.

Nach einem rauschenden Feste begaben sich die Neuvermählten am Abend zum Bahnhof, um nach London abzureisen. Bettina war die einzige aus der Gesellschaft, welche sie begleiten durfte. Beim Abschied umarmte Lisa die Freundin unter Thränen und flüsterte ihr ins Ohr. „Bitte, nimm Dich meines armen Papas an, damit er die Lücke im Haus nicht allzu schwer empfindet.“ Bettina versprach es mit innigem Händedruck. –

Die nun ganz Vereinsamte hielt ihr Versprechen und ging der kleinen Lotte mit Rath und That so tapfer zur Hand, daß Lisa wenigstens im Haushalt nicht vermißt wurde. Der Sanitätsrath nahm die freundlichen Bemühungen seines Mündels sehr dankbar auf, freute sich stets, wenn er sie abends bei Tische sah, und klopfte ihr wohl launig auf die Schultern mit dem Bemerken, sie sei ein gutes verständiges Mädel und werde ihrem Vater immer ähnlicher. Nachdem jedoch der Gang der Dinge im Horstschen Hause wieder geregelt war, zeigte sich bei Lotte ein Hang zur Eifersucht. Diese wollte das Verdienst, die Schwester ersetzen zu können, ungeschmälert für sich in Anspruch nehmen, und so zog sich Bettina allmählich zurück. Sie besuchte dann in ihren Erholungsstunden bisweilen die Ludmillers, machte aber die überraschende Entdeckung, daß der lustige Reisegefährte in der Stadt völlig umgewandelt war. Er zeigte sich zu Hause launenhaft und zänkisch. Die Reibungen, denen er im Theaterleben ausgesetzt war, raubten ihm den Humor. Während des Winters erhielt er ein verlockendes Anerbieten für Amerika, und da er erklärte, einer Auffrischung bedürftig zu sein, so ging er mit Ludmilla nach der neuen Welt, wo er jahrelang festgehalten wurde.

So war Bettina ganz auf sich angewiesen; allein sie besaß viel geistige Regsamkeit, und da sie den Drang in sich verspürte, ihre Fähigkeiten zu entwickeln, nahm sie mit Eifer ihre Musikstudien wieder auf und trat in den Frauenchor der Hochschule für Musik ein. Konsul Wesdonk hatte bei der Erziehung seiner Töchter großen Werth auf die körperliche Ausbildung gelegt und beide Mädchen von früh auf turnen und schwimmen lassen. Bettina hatte sich, was bei ihrer etwas schmächtigen Gestalt niemand vermuthete, viel Kraft und turnerische Gewandtheit erworben. Als sie nun in der Zeitung eine Anzeige des Inhalts fand, daß für eine höhere Töchterschule eine Turnlehrerin gesucht werde, bewarb sie sich um die Stelle und ertheilte den Unterricht während des Winters an vier Nachmittagen in der Woche. Sie verdiente damit soviel, daß sie die theuren Klavierstunden bei einem der besten Lehrer bezahlen konnte, und außerdem fühlte sie sich immer neu erfrischt von dem fröhlichen Treiben der jugendlichen Mädchenschar.

Mit der Stiesmutter kam sie fast nur während der Mahlzeiten zusammen. Die beiden Frauen gingen verschiedene Wege, und da Bettina ein Hinterzimmer nach dem Garten zu bewohnte und sehr selten die Gesellschaftsräume vorn betrat, so wußte sie kaum, mit wem Frau Rosita verkehrte. Zuweilen sah sie die hohe Gestalt des Grafen Trachberg kommen und gehen; zitternd wich sie dann aus.

Noch war das Trauerjahr der Witwe nicht zu Ende, da ward Bettina eine völlig niederschmetternde Ueberraschung zu theil. Als sie eines Abends ins Speisezimmer trat, das sie stets als eine Art neutralen Boden betrachtet hatte, wurde sie durch den Anblick ihres ehemaligen Verlobten erschreckt. Er saß Rosita gegenüber am hell erleuchteten Tisch und löste eben eine Auster aus der Schale. Bei Bettinas Erscheinen erhob er sich, und über sein blasses Gesicht ging eine jähe Röthe. Das Mädchen wollte durch die Thür zurücktreten, allein Rosita, die eben ihren Champagnerkelch geleert hatte, sprang auf, faßte sie bei der Hand und rief lachend: „Wozu das Versteckspielen! Du bist verständig und wirst heute mit Gleichmuth tragen, was vor einem Jahre Dich geschmerzt hätte. Mein Kind, Du sollst es zuerst erfahren, daß Graf Guido und ich Verlobte sind. So, jetzt ist’s heraus, und nun erwarte ich von Deinem guten Herzen, daß Du dem Bösewicht da drüben aufrichtig verzeihst und neidlos auf unser Glück ein Glas Champagner leerst.“

Bettina hatte die Empfindung, als breche der letzte Halt, auf den ihr Glaube an Aufrichtigkeit und edleres Empfinden sich gestützt hatte; kraftlos sank sie auf einen Stuhl. Während Rosita die Kelchgläser füllte, rang sie nach Fassung, und als ihr das Glas gereicht wurde, irrte schon ein mattes Lächeln um ihre Lippen, und sie sagte in leicht bebendem Tone: „Das kam freilich unerwartet, allein Du hast recht, ich bin neidlos genug, um Dir ein Glück zu gönnen, das mir nicht beschieden war.“

Sie nippte an dem schäumenden Trank und setzte dann den Kelch so plötzlich nieder, als ob er Feuer wäre. Die letzten Worte hatte sie mit leisem Hohn gesprochen, der Graf aber glaubte in seiner Selbstgefälligkeit, wirkliches Bedauern heraushören zu dürfen.

Die Verlobten wollten nach Tisch ausfahren. Als Rosita

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_103.jpg&oldid=- (Version vom 13.4.2019)