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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Freund B. ging betrübt von dannen. Zu Hause schlug er den betreffenden Artikel in Meyers Konversationslexikon nach; aber auch dort fand er die gleiche Erklärung und noch den Zusatz, daß dieselbe Sitte bereits den alten Römern bekannt war. Doch er ließ sich nicht werfen. Er holte Goethes Gedichte, schlug das zweite der „Lieder“ auf und schrieb folgenden Brief:

„Lieber Freund! Gestatte auch dem Dichterfürsten zu der fatalen Rosengeschichte ein Wort:

‚Dichter lieben nicht zu schweigen,
Wollen sich der Menge zeigen,
Lob und Tadel muß ja sein!
Niemand beichtet gern in Prosa,
Doch vertrau’n wir oft sub Rosa
In der Musen stillem Hain.

Was ich irrte, was ich strebte,
Was ich litt und was ich lebte,
Sind hier Blumen nur im Strauß;
Und das Alter wie die Jugend,
Und der Fehler wie die Tugend
Nimmt sich gut in Liedern aus.‘

So singt Goethe. Du wirst mir wohl zugeben, daß der Dichter, der sich der Menge gern zeigen will, wenn er seine Fehler sub rosa mittheilt, durchaus nicht bezweckt, sie in den Schleier des Geheimnisses zu hüllen, sondern sie vielmehr durch die Blume, in bildlicher Sprache seinen Lesern zu erkennen giebt. Alle Achtung vor den fleißigen und gelehrten Mitarbeitern der Konversationslexika – allein unser Goethe ist doch ein Sprachgewaltiger, und es dürfte erlaubt sein, in der Auslegung von Sprichwörtern ihn als Führer zu nehmen.“

Bald darauf saßen beide Freunde wieder versöhnt nebeneinander und meinten. „Das sind aber recht gefährliche Redensarten, denen im Leben eine so verschiedene Auslegung zutheil wird. Wer hat recht? Wie ist das Sprichwort entstanden?“

Ich war in ihrem Bunde der dritte, und was wir über die Entstehung des geflügelten Wortes sub rosa ermitteln konnten, sei im nachstehenden kurz mitgetheilt. –

Die Rose, die Königin der Blumen, hat im Laufe der Geschichte ihre Bedeutung in der symbolischen Blumensprache wiederholt gewechselt. Als die Schwelgerei und der Luxus im alten Rom ihren Höhepunkt erreichten, da war auch der Rosenkultus am meisten verbreitet. Bei den üppigen Gelagen durfte niemals die Blume der Liebesgöttin fehlen – Venus nämlich hatte die Rose mit ihrem Blute roth gefärbt; die Römer erzählten sich, die Rose sei ursprünglich weiß gewesen, da habe einst Venus sie pflücken wollen und, als sie sich dabei an den Dornen verletzte, mit ihrem Blute die Blume geröthet, die seitdem diese Farbe behalten habe.

Um einen Begriff von der Rosenliebhaberei der Römer in der Zeit des Sittenverfalls zu geben, möchten wir nur an den berühmten Speisesaal Neros erinnern, dessen Decke und Seitenwände sich drehten und abwechselnd die Jahreszeiten vorstellten; anstatt des Regens fielen dabei ungeheure Rosenmassen auf die kaiserlichen Gäste herab. Nach den Berichten von Suetonius soll Nero für eine einzige Abendmahlzeit Rosen um 90000 Mark gekauft haben.

Als Aegyptens berüchtigte Königin Cleopatra einmal den Antonius empfing, ließ sie den Fußboden des Speisesaals eine Elle hoch mit Rosen bedecken und darüber Netze spannen, damit man auf diesem Blumenteppich bequem gehen konnte.

So wurde in dem Rom der Kaiser die Rose zu der Blume des Genusses, und erst das Christenthum versuchte, ihr eine andere sinnbildliche Bedeutung zu geben. Die Rose wurde als Blume der Unschuld der heiligen Jungfrau Maria geweiht. In Frankreich wird noch heute am 8. Juni das Rosenfest gefeiert, welches auf jene alten Bestrebungen zurückzuführen ist. Der heilige Medardus soll, wie die Sage erzählt, im Dorfe Salency bei Noyon einen jährlichen Preis von 25 Livres gestiftet haben, welcher dem tugendhaftesten Mädchen des Dorfes zuerkannt werden sollte. Das Mädchen erhielt dabei einen Rosenkranz und wurde als „Rosenmädchen“ (Rosière) gefeiert. So wurde die Rose zum Sinnbild der Keuschheit. Das Volk verehrte sie aber nach wie vor auch als die Blume der Liebe, wie dies mittelalterliche Dichtungen, der „Roman de la rose“ und das beliebte höfische Epos „Flore und Blanscheflur“, d. h. „Blume und Weißblume“ oder „Rose und Lilie“, beweisen.

Damit aber sind die symbolischen Bedeutungen der Königin der Blumen noch nicht erschöpft.

In Okens „Allgemeiner Naturgeschichte“ lesen wir in Bezug auf die Rose: „… sehr wohlriechend und für die Königin der Blumen gehalten, das Sinnbild der Unschuld, der Freundschaft und der Verschwiegenheit –“ und Novalis singt: „Verschwiegener Eintracht volle Rosen trägt er (der Wein) bedeutend in der Hand.“

In unserer Zeit scheint, wie die tägliche Erfahrung lehrt, die Bedeutung der Rose als der Blume der Verschwiegenheit weiteren Volkskreisen unbekannt geworden zu sein. Früher war das anders.

Im „Rosetum Historiarum“, im „Historischen Rosengarten“ von Hammer, der im Jahre 1654 zu Zwickau erschien, findet sich folgende Stelle: „Etliche haben eine Rose über den Tisch hängen lassen und, wenn die Gäste haben heimgehen wollen, zu ihnen gesagt, daß sie unter den Rosen beisammen gesessen.“

Ausführlicher wird über diese Sitte berichtet in dem Riesenwerke „Großes Vollständiges Universallexikon aller Künste und Wissenschaften“, welches von dem Hallenser Verleger Joh. Heinrich Zedtler in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herausgegeben wurde. „Vor Alters her,“ lesen wir hier, „pflegte man eine Rose über die Tische zu hängen und zwar darum, damit ein jeder, sobald er sie erblickte, eingedenk wurde, daß er dasselbe, was er in geheim hörete, verschweigen sollte; daher auch das Sprichwort geblieben, wenn man einem guten Freunde etwas sonderliches und geheimes, das verschwiegen bleiben soll, offenbaret, dabei zu sagen pflegt: sub rosa dictum – das sei unter der Rose gesagt.“

Diese Bedeutung des Sprichworts sub rosa war auch dem Straßburger Dichter Sebastian Brant bekannt; denn in seinem 1494 zu Basel erschienenen „Narrenschiff oder das

Schiff von Narragonia“ findet sich (Kap. 7, Vers 13) die Redewendung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_111.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)