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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Ein Gefühl des Schmerzes überkam sie doch bei dem Gedanken, daß kein Verwandter, keine Freundin aus der Jugendzeit bei dem Feste gegenwärtig sein werde. Keines ihrer Angehörigen billigte ihre Wahl.

Von Mathilde, der sie ihren Entschluß während des Sommers brieflich mitgetheilt hatte, war die schroffe Antwort eingetroffen: „Wenn Du diesen wahnsinnigen Streich begehst, wenn Du um eines Schiffers willen diese Schmach über Deine Familie bringst, so habe ich keine Schwester mehr.“ Rosita hatte von Italien aus die Stieftochter beschworen, von der romantischen Schrulle abzustehen, und endlich ihre Einwilligung zu dem „unseligen Bündniß“ nur unter der Bedingung gegeben, daß Bettina sie niemals in die Verlegenheit bringe, den Lotsen sehen und „Schwiegersohn“ nennen zu müssen. Lisa war durch ihre Mutterpflichten verhindert, der Trauung beizuwohnen, und der Sanitätsrath hatte ebenfalls sein Erscheinen, freilich in schonender Form, abgelehnt.

Alle diese Zuschriften peinigten Bettina, ohne ihren Entschluß zu erschüttern. Im Gegentheil, sie steigerten nur jene Schwärmerei, mit welcher sie in der Natur die Alltrösterin sah für jeden Schmerz.

Sobald sie sich bedrückt fühlte, segelte sie ganz allein im kleinen Boote hinaus aufs Meer. Und flog sie nun dahin über die Wogen, im rauschenden Winde, so wich das unbestimmte Sehnen ihrer Brust einem Zustand der Selbstvergessenheit, der träumerischen Ruhe. Ihr war es dann, als sei das Meer lebendig, als müsse vor seiner gewaltigen Sprache ihr kleines Leid wie ein Nichts verstummen. Hier fand sie auch immer wieder den festen Entschluß, durchzuführen was sie begonnen hatte. Als die Mißbilligung ihrer Angehörigen und Freunde von allen Seiten an sie herantrat, hatte sie sich nochmals geprüft, ob sie Ewald liebe, und sonderbar schwer war ihr der Zweifel aufs Herz gefallen, ob sie mit freudigem Ja antworten könne. Aber war Ewald nicht der Sohn wahrer Natur, die sie suchte, liebte er nicht seine Braut innig und aufrichtig um ihrer selbst willen? War er nicht fern davon auf ihr Vermögen zu rechnen?

Gerade an diesem Punkte wollte stets eine räthselhafte Beklemmung das Mädchen beschleichen. Wohl hatte Ewald selbst keine Berechnung verrathen, aber seine Eltern. Diese belästigten Bettina mit Andeutungen, deren Absicht leicht zu durchschauen war. Sie sprachen vom guten alten Brauch der Brautleute, einen Ehevertrag aufzusetzen. Der Mann, welcher dafür zu sorgen habe, daß der Schornstein rauche, müsse wissen, wie er stehe für den Fall, daß ihm der liebe Gott den Engel von Frau, den er ihm gegeben, wieder nehme. Leichten Herzens trete man in das Haus des Reichthums, doch schwer sei das Verlassen ...

Bettina hatte diese versteckten Forderungen mit der Bemerkung abgewiesen, daß sie durch ihren letzten Willen Ewald vor dem Schmerze bewahren werde, die Klause jemals wieder verlassen zu müssen. Was ihr gehöre, sei auch sein Eigenthum und solle es bleiben. –

Es war ursprünglich ihre Absicht gewesen, die Hochzeit im engsten Kreise zu feiern, allein Ewald und seine Eltern hatten mit aller Bestimmtheit versichert, daß das unmöglich sei. Man erklärte ihr, daß die Größe und der Glanz eines Hochzeitsfestes dem Reichthum der Braut entsprechen müsse, und jeder Anverwandte, jeder Freund und Nachbar werde sich tief beleidigt fühlen, wenn man ihn bei der Einladung übergehe. Ewald besaß verheirathete Schwestern, von denen die beiden ältesten mit Kindern reich gesegnet waren. Der Mann der ältesten war Viehhändler in der nächsten Kreisstadt, derjenige der andern Kutscher bei der Gräfin Lindström; diese Familien mußten selbstverständlich sammt den Kindern eingeladen werden.

Bettina schlug Ewald nun vor, das Fest im Gasthaus zu veranstalten, allein wieder stand die Sitte dem im Wege. Bei der Hochzeit solle das junge Paar zeigen, was Küche und Keller in der neuen Wirthschaft zu leisten vermöchten. Bettina wäre gern still mit dem Manne ihrer Wahl in ihr neues Heim eingezogen, aber da sie sah, wie stolz es Ewald machte, seine Braut und seinen künftigen Wohnsitz allen zeigen zu können, so wollte sie ihm die Freude nicht verderben und gab nach.

Der Himmel war dem Festtag nicht günstig. Es hatte viel geregnet und der Weg nach dem Pfarrdorf war derart durchweicht, daß die Gesellschaft die Boote benutzen und mit großen Regenschirmen bewaffnet über die Bucht fahren mußte. Bettina hatte ein perlgraues schmuckloses Kleid angelegt, allein im Myrthenkranz und im zarten duftigen Schleier nahm sie sich unter den groben braunen Fischergestalten, die in ihren Sonntagskleidern noch steifer und eckiger als gewöhnlich aussahen, wie das Mädchen aus der Fremde aus. Ewald saß mit glückstrahlendem Gesicht neben ihr und hielt ihre Hand so fest in der seinen, als fürchte er, sie könne in Duft und Nebel zerfließen. Im Pfarrdorf war jung und alt herbeigelaufen um der Trauung des seltsamen Paares beizuwohnen. Ewald schritt stolz durch die gaffende Menge, Bettina mit brennender Röthe auf den Wangen. Die Trauung war bald vorüber, und still fuhr man nach Massow zurück. Bettina war noch ganz erfüllt von der Größe dessen, was sie zu vollführen unternommen hatte, Ewald genoß behaglich die allgemeine Bewunderung seines Glücks, die Gäste waren gespannt, die Klause zu betreten.

An der Küste waren übertriebene Gerüchte umgelaufen von der Pracht und Herrlichkeit, mit welcher Bettina ihr Landhaus ausgestattet habe. So erwarteten die Schwäger und Schwägerinnen, einen Feenpalast zu sehen. Als Bettina nun die lärmende Gesellschaft auf dem Flure willkommen hieß und sie bat, die nassen Mäntel und Schirme abzulegen, trat eine Pause feierlicher Erwartung ein. Die junge Hausfrau schmiegte sich an den Arm des Gatten und flüsterte ihm ins Ohr. „Nun bin ich neugierig, wie Dir unser Heim gefallen wird, Ewald.“

Arm in Arm schritten sie, den Gästen voraus, durch das helle freundliche Speisezimmer, dessen weit ausgezogene Tafel mit schneeweißem Linnen überdeckt und mit Delfter Geschirr besetzt war. Hier sollten die Erwachsenen, im Nebenzimmer aber die Kinder speisen.

Die schön geschmückte Tafel, das Büffet mit seinen Krystallschalen und Silbergeschirren, das alles wirkte so reich und einladend, daß Ewald in aufwallender Dankbarkeit seiner Frau einen derben Kuß auf die Wange drückte. Der Salon enttäuschte die Gesellschaft. Bettina hatte erzählt, daß sie manches schöne Stück aus ihres Vaters Besitz hier aufstellen und den Raum mit mehr Eleganz ausstatten werde, als sich für ländliche Lebensgewohnheiten gezieme. Infolgedessen erwartete man, ein buntschillerndes, von Sammet und Seide starrendes Gemach zu finden. Bettinas Salon aber hatte einen ernsten, gediegenen, fast feierlichen Charakter. Von den dunkelrothen Wänden hoben sich auf Ebenholz-Konsolen einige Marmorbüsten und Bronzestatuen ab. Die schweren Plüschportieren und Polstermöbel sahen durchaus nicht prunkvoll aus, und für die Harmonie der Farben, die Schönheit der Formen und die lauschige Anordnung der Möbel hatten die rauhen Küstenbewohner keinen Sinn.

„Je,“ sagte der gräfliche Kutscher und schob ein Priemchen Tabak in den Mund, „dat is ja allens recht schön und gaud, Frau Swägerin, äwer was unsre Madame, die Frau Gräfin is, gegen die kommen Sie doch nich an.“

„Ja,“ bestätigte der Viehhäudler mit einem verächtlichen Blick auf Bettinas Einrichtung, „wenn einer wat hellsch Steilisches sehn will, möt er aufs gräfliche Schloß gahn. In den groten Saal, Ewald, steckt mehr Werth in als in Din ganzen Krempel.“

Bettina blickte die beiden Schwäger überrascht an, dann brach sie in ein helles Lachen aus und sagte: „Es ist mir auch nie in den Sinn gekommen, mit der Gräfin Lindström wetteifern zu wollen, denn der Gatte dieser Dame war mehrfacher Millionär, der meinige aber ist Lotse.“

„Ja,“ versetzte der Lehrer, „wenn jeder Lotse sich in einem solchen Neste niederlassen könnte, brauchte keiner auf die Gräfin neidisch zu sein.“

Ewald, dessen Gesicht sich bei den kritischen Auslassungen seiner Schwäger verdüstert hatte, schlug jetzt dem wohlmeinenden Nachbar auf die Schulter und rief fröhlich: „Hast recht, Schulmeister, und wer gar eine solche Frau gefunden hat wie meine Betty, der mag mit keinem König tauschen. Und nun zu Tisch!“

Diese Aufforderung brachte die ganze Gesellschaft in Bewegung.

Man war während der Fahrt nach Groß-Küstrow redlich hungrig geworden und sehnte sich nach den erwarteten Herrlichkeiten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_135.jpg&oldid=- (Version vom 16.11.2019)