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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Der Gastwirth des Ortes hatte den Wein geliefert und mit seiner Frau und Tochter die Herstellung des Hochzeitsschmauses und die Aufwartung übernommen. Die Frau des Lehrers überwachte aus Freundschaft für Bettina den Kindertisch. So wurde denn das Festmahl in vergnüglicher Stimmung begonnen. Und doch – als Bettina ihre Blicke über die groben Züge der Tischgenossen gleiten ließ, zu denen sie nunmehr in ein verwandtschaftliches Verhältniß getreten war, schlich sich die Bangigkeit in ihr Herz und die Brust ward ihr so eng, daß sie nach Athem rang.

Die glänzende Hochzeitsfeier Lisas drängte sich ihrer Erinnerung auf. Wie war dies junge Paar, mit Liebe überschüttet, von Freunden umdrängt, wie feinsinnig war es gefeiert worden!

Hier aber – nur öde stumpfe Gesichter, Neugierde, doch keine Theilnahme, keine Menschenseele, der sie ihr Inneres hätte aufschließen mögen – außer Ewald. Außer Ewald? Sie erschrak fast, daß sie sich diese Frage stellte, daß das Gefühl sich nicht abweisen lassen wollte, als könne sie auch ihm nicht ihr geheimstes Leben enthüllen, weil er sie doch nicht verstehen würde. Mit schmerzlichem Bangen ruhte ihr Blick auf ihrem Gatten, der sich mit demselben Eifer wie seine Gäste den Genüssen der Tafel widmete. Lauter und lauter wurde die Unterhaltung, in welche Ewald hie und da einen plumpen Scherz hineinwarf, während Bettina mehr und mehr verstummte. Tiefstes Unbehagen prägte sich auf ihren Zügen aus, denn ihr gegenüber saß der Schwager Viehhändler und erzählte, behaglich in seinen Stuhl zurückgelegt, mit siegessicherer Miene allerlei Geschichten, die er auf seinen Geschäftsreisen zusammengelesen haben mochte. Endlich war ihre Kraft erschöpft, mit einer hastigen unwilligen Gebärde stand sie auf und rief: „Wir Frauen wollen einmal nach den Kindern sehen!“

Sie begriff es nicht, daß Ewald über die rohen Scherze seines Schwagers lachen konnte; der Viehhändler aber ärgerte sich, daß die junge Hausfrau die Tafel verließ. „Din Fru is ja hellsch hoffärtig,“ sagte er zu Ewald. „Die Nücken möt Du ihr all zeitig afgewöhnen.“

Eine Stunde später kehrte Bettina aus dem Nebenzimmer, wo sie mit den Kindern ein Spiel in Gang gebracht hatte, zu ihren Gästen zurück. Sie fand hier die Stimmung noch bewegter als vorhin, nahm sich aber vor, unbefangen zu scheinen und zu bleiben, um kein Aufsehen zu erregen. Als daher die Männer bei ihrem Wiedererscheinen die Gläser erhoben und ihr in übermüthigem Tone „Prost ooch, junge Fru!“ zuriefen, that sie ihnen ruhig Bescheid.

Hundriesers preisgekrönter Entwurf zum Reiterstandbild Kaiser Wilhelms auf dem Kyffhäuser.

Bald darauf rückten die Dorfmusikanten von Groß-Küstrow an, um zum Tanze aufzuspielen. Nun wurde das Speisezimmer in Eile ausgeräumt, die Spielleute ließen sich im Salon nieder, und sobald die Musik ertönte, kam aus dem Dorfe eine Anzahl von Burschen und Mädchen herbei, die, obgleich zum Feste nicht geladen, von dem jungen Ehepaar herzlich willkommen geheißen und freigebig bewirthet wurden.

Bald hallte das neue Haus von den kreischenden Tönen schlechter Musik, vom Stampfen und Johlen der Tanzenden wieder. Bei der jungen Frau, die nur einmal mit Ewald tanzte und sich dann als Zuschauerin bei Seite stellte, weckte der wachsende Tumult ernste Besorgniß. Der starke Wein ließ die Gesichter der Männer immer heißer und röther werden, ihre Sprache immer lauter, ihr Benehmen immer freier und ungebärdiger. Auch Ewald hatte mehr getrunken, als ihm zuträglich war. Als ihn Bettina zaghaft auf das wüste Treiben aufmerksam machte, gab er ihr einen Kuß und schnitt alle Einwendungen mit den Worten ab: „Wir machen nur einmal im Leben Hochzeit, mein Schatz!“

Unter den Tänzerinnen befand sich auch Kathrein Bräuning, und mit dieser tanzte Ewald so oft, als wollte er sie für das Fehlschlagen ihrer Hoffnungen entschädigen. Die Dirne aber warf der jungen Frau während des Tanzes freche herausfordernde Blicke zu und mit ihrem kecken Lachen schien sie sagen zu wollen: Dich hat er um Deines Geldes willen geheirathet, mich aber liebt er.

Allmählich schwand vor dem lärmenden Gewühl jeder Schimmer von Festfreude aus Bettinas Seele, Scham und tiefe Niedergeschlagenheit traten an die Stelle. In jeder Tanzpause fast wurde gestritten und die Auslassungen der Lustigkeit selbst nahmen für Bettina einen unheimlichen und erschreckenden Charakter an. Und als nun Ewald, dem vom wilden Tanzen der Schweiß auf der Stirne stand, mit unsicheren Schritten auf sie zukam und die Hände ausstreckte, um sie zärtlich in seine Arme zu schließen, da ergriff sie Abscheu und Verzweiflung.

Mit einer raschen Bewegung bog sie aus und lief in ihr Zimmer, das sie hastig hinter sich abschloß. Kaum lag die Thür zwischen ihr und der lärmenden Gesellschaft, so faßte sie den Entschluß, dem häßlichen Feste ganz zu entfliehen. In zitternder Bewegung riß sie den Brautkranz und Schleier ab, dann warf sie einen Mantel über, öffnete das Fenster und sprang in den Garten. Noch war im Schulhaus ihre Stube frei, dort wollte sie für die Nacht eine Zuflucht suchen.

Unterdessen hatte Ewald wiederholt gegen die Thür geklopft und Bettina ersucht, herauszukommen; johlend umringte ihn die trunkene Schar, nachdem sie sich von ihrem Erstaunen über Bettinas Gebahren erholt hatte. Als Ewald wieder und wieder keine Antwort erhielt, stieß er einen grimmigen Fluch aus und warf sich mit solcher Gewalt gegen die Thür, daß diese krachend einbrach.

Mit zornigen Worten auf den Lippen trat er in das matt erleuchtete Zimmer, die neugierige Menge drängte nach – allein in der nächsten Minute standen alle sprachlos vor Ueberraschung, denn das Zimmer war leer.

Langsam ließ Ewald die Blicke durch den Raum gleiten, und als er das offene Fenster bemerkte, wurde es ihm klar, daß Bettina geflohen sei. Diese Erkenntniß machte ihn auf einmal nüchtern und ein Gefühl des Zornes stieg in ihm auf gegen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 136. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_136.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2019)