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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


kommt davon, daß Walter hartnäckig keinen Nachhilfslehrer nehmen will. Die Jungen sind zu überbürdet, sie können es allein nicht leisten.‘ Also hat Ihnen der Herr Gemahl gar nichts gesagt? Nun vielleicht hat er Fritz gehörig vorgenommen und es wird auf Ostern anders, wir wollen das Beste hoffen!“

Und die kleine runde Frau trippelte hinaus mit einem schönen Gefühl von Befriedigung im Herzen.

Emmy stand sprachlos. Eine ahnungsvolle Beklemmung preßte ihr das Herz zusammen, sie suchte und suchte nach einer Erinnerung, allein es wollte keine kommen. Nein – sie hatte zu Weihnachten kein Zeugniß gesehen – und sollte Hugo ihr eine Unannehmlichkeit verschwiegen haben? Es wäre das erste Mal! Viel näher lag, daß der unglückliche Junge das Zeugniß unterschlagen hatte.

Ja, nun erinnerte sie sich ... er hatte am Heiligen Abend gesagt, die Zeugnisse würden diesmal erst nach Neujahr ausgegeben, und später, unter den verschiedenen Vergnügungen und Zerstreuungen des Winters, war die erneute Nachfrage vergessen worden! Aber – ununterschrieben durfte er es ja gar nicht ins Gymnasium zurückbringen! ...

Der Gedanke fiel ihr plötzlich wie ein Hammer aufs Herz und schlug sie völlig nieder. Ach – nur das nicht, nur nicht ihr Kind ein Lügner und Betrüger! Er war doch immer ein so guter kleiner Junge gewesen ... nein, es konnte nicht so sein, es mußte sich anderweitig aufklären!

Allein die Bangigkeit wollte trotzdem nicht weichen, und die Zeit bis zu seiner Heimkehr am Mittag schien der armen Mutter endlos lang. Endlich ertönte die Klingel, aber nicht Fritz, sondern ihr Gatte erschien diesmal zuerst. Er war sichtlich guter Dinge, ging mit seinem hübschen elastischen Gang auf sie zu und sagte sehr lebhaft:

„Wie wäre es, Schatz, wenn wir während der Ostertage einmal ausspannten, um uns Nürnberg anzusehen? Es war ja schon lange unser Wunsch, nun könnten wir’s einmal ausführen.“

„Wie kommst Du eigentlich darauf?“ fragte sie erstaunt.

„Es trifft allerhand zusammen,“ versetzte er vergnügt. „Ein paar von meinen Bekannten gehen hin, auch Linchen Wiesner hätte Lust dazu; es giebt zudem einen billigen Sonderzug zu den Feiertagen – den Francis könnten wir ja auch mitnehmen – nun, und der Gedanke, wieder einmal herauszukommen aus dem täglichen Einerlei, ist ebenfalls so übel nicht. Und der Finanzminister erlaubt es, das ist die Hauptsache! Also ich denke, wir entschließen uns.“

„Ach Hugo –“ sie wußte nicht, wie sie es am besten angreifen sollte, und zögerte – „ich meine, wir dürfen nicht so viel an uns denken. Die Kinder –“

„Nun, die sind wahrhaftig groß genug, um einmal drei Tage allein zu bleiben. Die kleinen hütet Gustel, und Fritz kann einen Ausflug mit Kameraden machen!“

„Ach, Hugo, gerade für Fritz wäre eine größere Ueberwachung nothwendig –“

Sein Gesicht verfinsterte sich. „So, und was giebt es denn wieder mit ihm?“ fragte er scharf.

Erschwerte Arbeit.
Nach einem Gemälde von H. Oehmichen.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.


Stockend und zögernd brachte Emmy, was sie von Frau Hoffmann gehört, in möglichst milder Form heraus, aber ein fürchterlicher Ausbruch erfolgte doch unmittelbar. Hugo wüthete über den ungerathenen heuchlerischen Jungen, von dem man nur Aerger und Schade erleben werde. Natürlich mußte er die Unterschrift gefälscht haben – „her mit ihm, auf der Stelle her, zur Verantwortung!“

„Laß noch das Mittagessen vorübergehen,“ flehte Emmy, „Francis braucht davon nichts zu wissen; hernach wollen wir mit Fritz reden.“

Da es schon nahe an ein Uhr war, fügte sich der Gatte. Aber heiter war dieses Mittagessen nicht. Fritz sah furchtsam auf die wolkenumzogene väterliche Stirn, Emmy blieb schweigsam, sie lachte nicht einmal mit, als Francis seinen Vorsatz aussprach, sich zu dem bevorstehenden Ausflug einen kleinen „männlichen“ Koffer anzuschaffen und bemerkte kaum Majas warme Schmeichelhände, die ihr das Gesicht streichelten: „Nit bös sein, Mamale, dleich freundliches D’sichterl machen!“

Endlich, endlich war das Essen vorbei, ein scharfer Ruf des Vaters wies Fritz hinüber in den Salon, und dort stand er nun vor seinem Richter.

Das böse Gewissen sprach aus seinen unruhig hin und her fahrenden Blicken, doch versuchte er den Unbefangenen zu spielen, konnte sich erst gar nicht erinnern, das Zeugniß nicht gebracht zu haben, versuchte dann mit weltmännischer Leichtigkeit zu sagen: „Ach, das habe ich dann eben ganz vergessen!“ verstrickte sich, während des Vaters Stimme immer drohender klang, in einfältiges Leugnen, und erst, als ihm dieser seine Begleitung für heute ankündigte, um bei dem Direktor jene Unterschrift nachzusehen, da brach seine Keckheit zusammen. Heftig weinend gestand er, aus Furcht vor dem Papa die Unterschrift selbst gemacht zu haben, „denn es hilft ja doch nichts,“ fuhr er heulend fort, „ich kann nicht mit den anderen vorwärts kommen, die haben alle Nachhilfslehrer und ich nicht!“

Außer sich vor Wuth hob Walter den Arm, Emmy aber, die in bitterem Mutterschmerz seither still dabei gestanden hatte, griff nach seiner Hand und zog sie nieder. „Hugo, ich bitte Dich!“

Die flehende Stimme blieb nicht ohne Wirkung.

„Gut denn,“ sagte er mit gerunzelten Brauen und einem verachtungsvollen Blicke auf den vernichtet Dastehenden, „er soll nicht geschlagen werden, der ehrlose Fälscher. Allein strafen will ich ihn, daß er es spüren soll! Kein Vergnügen mehr das ganze Vierteljahr bis zum Schulschluß – hörst Du? – nur noch Arbeit von morgens bis abends. Wenn die anderen spazieren gehen, machst Du Dich hinter die Bücher, um das Versäumte nachzuholen, und am Sonntag bleibst Du daheim, und wehe Dir, wenn Du die Schlußprüfung nicht bestehst!“

Wieder fühlte er den sanften Druck auf seinem Arme, er hielt also mit weiteren Androhungen vorerst inne, betrachtete voll verbissenen Grimms die energielos hängenden Mundwinkel und rothgeschwollenen Augen des armen Sünders und setzte endlich

hinzu: „Mein Sohn wirst Du erst wieder sein, wenn ich Reue

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_157.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2020)