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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)



Blätter und Blüthen.


Zum Gedächtnis Rossinis. Als Sohn eines fahrenden Musikers und einer Sängerin wurde Rossini vor hundert Jahren, am 29. Februar 1792, zu Pesaro im Kirchenstaate geboren. Glücklicher als so mancher reiche Geist, verstand er es, der Begabung den Erfolg, den Blüthen seiner Kunst goldene Früchte zu sichern – in London ließ er sich von seinen aristokratischen Gönnern und Gönnerinnen jede Einladung zum Thee mit 50 Guineen und die Leitung dreier Aufführungen im Theater mit 2500 Pfund bezahlen; von größerer Selbsterkenntniß als viele von denen, die den Ruhm gekostet haben, wußte er sein Schaffen abzubrechen in dem Augenblick, wo für ihn die Höhe erreicht war. Wohl bei keinem anderen hervorragenden Künstler werden sich die produktiven Jahre in einer langen Lebenszeit so auffallend vertheilen wie bei Rossini. Kaum hat er die nothdürftigste theoretische Schulung fürs Komponieren hinter sich, da wagt er sich schon an eine Oper, die 1810 in Venedig über die Bretter geht und wirklich durch eine nicht ungünstige Aufnahme das Wagniß des Achtzehnjährigen rechtfertigt. 1813 wird er durch seinen „Tankred“ berühmt und schreibt nun in den nächsten neun Jahren dreißig Opern, von denen ihn „Othello“ und vor allem der „Barbier von Sevilla“ auf den italienischen, damit aber auf allen europäischen Bühnen zum Herrscher machen. Mit dreißig Jahren scheint er seine Kraft erschöpft zu haben, seine Muse schweigt, bis er plötzlich, 1829, im „Wilhelm Tell“ sein Bestes giebt, um dann, von einigen Kleinigkeiten abgesehen, vierzig lange Jahre - bis zu seinem Tode - zu verstummen.

Zweierlei hat diesem außerordentlichen Komponistenleben den Stempel aufgedrückt: Talent und Klugheit. Die Begabung Rossinis war reich, war vielleicht von Natur dazu angethan, das wahrhaft Große auszuströmen, allein höher als der langsam reifende Lorbeer idealer Bemühung stand ihm der rasch gewonnene goldene Kranz des klug verwendeten Talents. Jeder nennt seine Zeit seine Mutter und erbt von ihr, nimmt Rücksicht auf sie – sei es aus Pietät oder aus kühler Berechnung; Rossini war der Mann der Klugheit und ließ sich durch diese bestimmen, dem Verlangen der Zeit entgegenzukommen. Man war in den blutigen napoleonischen Kriegen des Blutes und des Kriegs, des Ringens um die Existenz müde geworden, man wollte diese Existenz, nachdem man sie gerettet hatte, froh genießen, und so schuf Rossini denn jene sinnlich berauschenden Melodien, die ihm das Entzücken Europas einbrachten, die in Wien Beethoven und Weber verdunkelten. Der junge Komponist schrieb ferner für Italien und besonders für jene Truppe von Virtuosen, welche der Unternehmer Barbaja gesammelt hatte; Italien wollte italienische Musik, und er gab sie, freilich nicht ohne von Haydn und Mozart gelernt zu haben; die Virtuosen verlangten für ihre Rollen Bravourstücke und verwickelte Schnörkel, um ihre Fertigkeit spielen zu lassen – er bot ihnen, was sie suchten. Auf diese Weise fesselte er den Erfolg an seine Werke und doch wäre es gründlich falsch, in ihm nur den zu sehen, der den Effekt geschickt zu berechnen und seine Berechnung in Musik zu bringen verstand; in diesem Falle wäre er nichts geworden als ein Komponist von Namen, aber ohne Originalität, ohne Gehalt. Sein eigenartiges Talent bewahrte ihn vor einem solchen Schicksal, und wieder sein scharfer Verstand, der ihm die Gefahren bloßer Nachahmung deutlich genug zeigte und ihn das Wort sprechen ließ: „Die deutschen Tonsetzer verlangen, ich soll schreiben wie Haydn und Mozart. Wenn ich mir aber auch alle Mühe geben würde, so wäre ich doch ein schlechter Haydn und Mozart. Da bleibe ich lieber ein Rossini. Was der auch sei, etwas ist er doch, und ein schlechter Rossini bin ich wenigstens nicht.“ –

Rossini ist Weltmann auch in der Kunst, mit allem Licht und Schatten, die damit verknüpft sind: im Leben wie in seiner Musik reißt er hin durch geistreiche flüssige Art, durch sinnlich blendende Momente; der gesuchte Plauderer mit den kecken glänzenden Einfällen ist zugleich der Meister anmuthiger Modulation, sangreicher Erfindung; und wie ein viel in Anspruch genommener Plauderer sich nicht scheut, wenn er nur erneuter Wirkung sicher ist, Anleihen bei sich selbst zu machen, seine Pointen noch einmal zu bieten, so wiederholt sich Rossini in seinen Opern. Aber das hebt die Thatsache nicht auf, daß er bei all dem fortzuschreiten verstand. Obgleich er in erster Linie für die lyrische Empfindung, weniger für die erschütternde That, die dramatische Entwicklung den Ausdruck fand, so bedeutet sein Schaffen doch gegenüber den glatten Arbeiten seiner Vorgänger die Anbahnung größeren dramatischen Lebens, größerer Eigenart in der Oper, und sein „Tell“, der allerdings einen starken französischen Einfluß zeigt, erhebt sich zu überwiegender Freiheit von der Schablone, zu kraftvoller Gestaltung. Auf diese Weise hat Rossini der italienischen Oper, die bei seinem Auftreten in Gefahr war, ihre alte Führerrolle zu verlieren, zu neuem Aufschwung und neuen weitreichenden Siegen verholfen. Doch war es Frankreich, wo er den „Tell“ komponierte – er war 1824 als Direktor der Italienischen Oper nach Paris berufen worden und erhielt dort bald darauf die Stelle eines Generalintendanten der königlichen Musik – und auf französischer Erde, in Passy, starb er am 13. November 1868, nachdem er 1836 sein Vaterland wieder aufgesucht hatte, 1855 aber in die französische Atmosphäre zurückgekehrt war.


Das Ende einer Egmonterinnerung. (Zu dem Bilde S. 149.) In der Nacht vom 22. zum 23. Januar ist zu Brüssel ein Theil des Palastes des Herzogs von Arenberg ein Raub der Flammen geworden. Viele Kostbarkeiten und Kunstschätze sind mit verbrannt, vor allem aber ist auch das berühmte Egmontzimmer in den Gluthen untergegangen. In dem abgebrannten Theile des Palastes nämlich – auf unserer Abbildung rechts, zwischen den Säulen des Thores sichtbar – befand sich auch das Zimmer, in welchem Graf Egmont, der kühne Verfechter der niederländischen Freiheit, die letzten Tage vor seiner Hinrichtung am 5. Juni 1568 verbrachte, von dem aus er seinen Gang aufs Schaffot antrat. Es war von der Familie Arenberg, in deren Besitz das Schloß im Jahre 1753 durch Heirath der letzten Erbin aus Egmonts Hause mit einem Arenberg übergegangen ist, ganz in seinem ursprünglichen Zustande gelassen worden.

Um so mehr ist es zu bedauern, daß es jetzt der Vernichtung anheimgefallen ist. Von der Wendeltreppe, die der stolze Gegner des Herzogs Alba herabschritt, um seinen letzten Gang zu gehen, sah man in den Tagen nach dem Brande nur noch ein Stück der Rampe verkohlt im Schloßhof liegen.

Auf dem Platze vor dem Schlosse steht das Denkmal der beiden Märtyrer des niederländischen Freiheitskampfes, der Grafen Egmont und Hoorn. So ist dafür gesorgt, daß das Gedächtniß des edlen Helden an jener Stätte nicht verloren gehe, auch wenn die historischen Räume, die Zeugen seiner letzten Stunden, aus der Welt verschwunden sind. Und dann – Goethe hat ihm in seinem Drama ein Denkmal gesetzt, das dem Namen Egmont allein schon die Unsterblichkeit sichern würde, auch wenn die Geschichte nicht seinen Ruhm verkündigte.


Ein litterarisches Jahrbuch aus Oesterreich. Der Erste allgemeine Beamtenverein der österreichisch-ungarischen Monarchie läßt ein Jahrbuch, „Die Dioskuren“ (Wien, Karl Gerolds Sohn), erscheinen, dessen Reinertrag für den Fonds zur Errichtung einer höheren Töchterschule bestimmt ist. Es liegt uns der einundzwanzigste Jahrgang dieses Jahrbuchs (1892) vor. Ueber die Entwicklung und Thätigkeit des Vereins im Jahre 1890 bringt der Schluß des Jahrbuchs eine eingehende, an statistischen Angaben reiche Abhandlung. Den eigentlichen Inhalt bilden Gedichte, kleine Erzählungen, litterarische und einige naturwissenschaftliche Aufsätze. Besonders reichhaltig ist die Auswahl der Gedichte; der Senior der österreichischen Lyriker, Ludwig August Frankl, hat „allerlei Verse“ beigesteuert, darunter einige Sinnsprüche, so den über Verleumder:

„Verleumder sind wie die gereizten Bienen,
Du bleibe ruhig stehen unter ihnen;
Sie kreisen Honig sammelnd um dich her
und stechen dich nicht mehr.“

Auch Betty Paoli giebt ein lyrisches Lebenszeichen, ein Gedicht „Aufgegeben“, und ein paar Sprüche in Versen, unter denen der folgende bemerkenswerth ist:

„Es scheint wahrhaftig auf der Welt
Aufs beste Jegliches bestellt;
Die Kinder sind alle engelgleich,
Brautpaare alle gnadenreich,
Und scheidet einer aus dem Leben,
Hat’s keinen bessern je gegeben.
Bewundernd möchte man verstummen,
Nur eines wird mir hier nicht klar;
Wenn dem so ist, woher die Schar
Der Schlechten, Häßlichen und Dummen?“

Spruchweisheit ist das eigenste Gebiet der geistreichen Marie Ebner von Eschenbach. Diesmal hat sie einige Parabeln beigesteuert, denen es nicht an überzeugender Beweiskraft fehlt. Sehr treffend ist z. B. „Die Verfehmte“: „Wenn die Freuden Versammlung halten, findet so mancher verlotterte Gesell sich ein. Die hohen, die reinen gehen an ihm vorbei, zürnend gleichgültig, wohl auch mit einem mitleidigen Lächeln. Eine Freude nur wird immer hinausgeworfen, weil sie gar so gemein ist, die Schadenfreude.“ Cajetan Cerri hat Lyrisches und Didaktisches gegeben „Aus dem Wintergarten des Lebens“. Außerdem finden sich Gedichte von Stephan Milow, von W. Constant, August Silberstein, J. Tandler, Wilhelm von Wartenegg und mehreren bisher unbekannten Poeten; Eugenie delle Grazie hat lyrische Bruchstücke einer Herzenstragödie dargebracht und findet dabei Wendungen von schlagender Kürze wie die letzte Strophe des ersten Gedichtes:

„Fahr’ wohl – trifft dieses Wortes Strahl
Dich auch mit herber Pein –
Du wolltest es – mein war die Qual,
Sei nun die Reue dein.“

Von Martin Greif finden sich einige kleine Lieder, von Bertha von Suttner eine keck hingeworfene Salonnovelle, „Zwei Schwestern“. Ernst Gnad hat einen Aufsatz über Grillparzers „Des Meeres und der Liebe Wellen“ geschrieben. Dramatisches hat nur die kroatische Schriftstellerin Mara Cop-Marlet beigesteuert und zwar Scenen aus einem Trauerspiele „Der Bogumile“, das im 15. Jahrhundert in Bosnien spielt. Das Jahrbuch ist ein Zeugniß dafür, daß die Poesie in Oesterreich noch eine Fahne findet, um welche sich ihre Jünger gern versammeln. †     


Brünhilde erblickt Siegfried und Gutrune. (Zu dem Bilde S. 161.) Die Gestalten der Dichtungen Richard Wagners haben schon vielfach auch die bildenden Künstler zu Nachschöpfungen angeregt, und Theodor Pixis hat eine ganze Wagnergalerie geschaffen, von der unsere Leser schon früher, im Jahrgang 1891, S. 557, eine Probe erhalten haben. Auch unser heutiges Bild gehört dieser Reihe an; es ist der „Götterdämmerung“ entnommen und stellt den Augenblick dar, wo Brünhilde an Gunthers Seite der Halle der Gibichungen am Rheine sich naht, wo sie sich von Siegfried verrathen und verlassen sieht, wo sie den „stärksten Helden, den Wälsungensproß“ an der Seite Gutrunes erblicken muß. Aus Wotans Feuerzauber hat Siegfried Brünhilde erlöst und ihre Liebe gewonnen – aber ein Zaubertrank hat ihn ihrer vergessen und von Liebe zu Gutrune, König Gunthers Schwester, entbrennen lassen. Um diese sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 162. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_162.jpg&oldid=- (Version vom 22.5.2020)