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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

dann mit halberstickter Stimme: „Geh doch, Ewald, Du bist’n Filou!“

Die überraschende Wahrnehmung rief in Bettina zunächst ein Gefühl tiefer Verachtung hervor. Wie konnte sich ihr Gatte den Bräunings auf diese Weise wieder nähern; wo blieb sein Stolz, seine Selbstachtung? Als aber ihr Blick die schwankende Haltung, das geröthete Gesicht und die nachlässige Kleidung Ewalds überflog und zu Kathreins roher Gestalt hinüberglitt, da kam ihr der Gedanke, daß das Paar drüben an der Hecke vortrefflich zusammenpasse. „Vögel vom gleichen Gefieder fliegen zusammen,“ sagte sie sich. „Warum habe ich mich in dem thörichten Glauben zwischen die beiden gestellt, diesen Mann in eine höhere Sphäre heben zu können. Er ist so nur seinem Beruf, seiner natürlichen Bestimmung, seiner Lebensweise entfremdet worden. Ich habe mich und ihn elend gemacht, nun muß ich diesen großen Irrthum meines Lebens büßen!“

Ewald ging täglich zum Gasthof hinunter, wo sich die kleine Postanstalt des Ortes befand, weil er auf eine Botschaft aus der Hafenstadt betreffs seiner Barke wartete. Allein Tag für Tag verging, ohne daß ein Brief kam, und da er in der Zeit ungeduldigen Harrens doch nicht zum Arbeiten aufgelegt war, so blieb er meist gleich in der Wirthsstube sitzen, um sich durch Kartenspiel, Rauchen und Trinken die Zeit zu vertreiben. Eines Morgens aber fand er wirklich einen Brief vor, allein die Adresse lautete nicht auf seinen Namen, sondern auf den seiner Frau. Enttäuscht schob er das Schreiben in die Tasche und ließ sich mit dem Wirthe zu einem Spiele im Vorgärtchen des Gasthofs nieder. Spät am Abend erst, als er heimkam und Bettina ihn fragte, ob noch keine Nachricht wegen der Barke eingetroffen sei, zuckte durch seinen schweren Kopf die Erinnerung an den empfangenen Brief und er händigte ihn seiner Frau ein. Sie ließ verwundert ihre Blicke über die Aufschrift gleiten dann erhellten sich ihre Züge und sie sagte leise und zögernd: „Von Lisa!“

Hastig und mit wachsender Erregung überflog sie den Inhalt; dieser war ganz dazu angethan, sie aus ihrer Niedergeschlagenheit aufzurütteln. Die Freundin schrieb, daß Diaz auf zwei Monate nach London gegangen und ihr Kind des Landaufenthalts dringend bedürftig sei. Bei der Ueberlegung, wohin sie sich wenden solle, sei ihr die Freundin in Massow eingefallen und wenn Bettina ein Stübchen für sie und ihr Kind übrig habe, so werde sie mit Vergnügen der früheren Einladung folgen und den stillen Küstenort aufsuchen, wo sie beide als Mädchen so unvergeßlich schöne Tage verlebt hätten.

Bettina reichte ihrem Manne den Brief.

Der Lotse legte die kurze Pfeife aus der Hand und las ihn langsam, dann gab er ihn mit verdrießlicher Miene zurück und setzte seine Pfeife wieder in Brand.

„Lisa wird in der Mansarde wohnen,“ sagte Bettina, mehr zu sich selber als zu dem Gatten, der sein Haupt mit Rauchwolken verhüllte. „Ich will ihr ein behagliches Nest zurecht machen!“ – In ihrer freudigen Erregung achtete sie kaum auf Ewald, der etwas Unverständliches in den Bart brummte und dann sein Schlafzimmer aufsuchte.

Am nächsten Morgen stand Bettina früh auf und in wenigen Stunden hatte sie die beiden Stübchen der Mansarde zur Aufnahme des Besuchs in stand gesetzt. Nachdem dies geschehen war, beantwortete sie Lisas Brief durch einige herzliche Zeilen. Eben wollte sie zur Post gehen, da sah sie, daß Ewalf mit seiner Mutter im Garten eine eifrige Unterhaltung führte. Bei ihrem Erscheinen verstummten die beiden, und Ewald trat ihr mit der Frage entgegen, was sie Frau Diaz geschrieben habe.

„Nun, daß sie uns sehr willkommen sei, selbstverständlich.“

Ewald, aus dessen Mienen ebensoviel Verlegenheit wie Mißmuth sprach, kraute sich im Haar und meinte. „So – und Du hast noch gar nicht gefragt, wie ich darüber denke. Ich aber bin der Herr im Hause und hab’ am Ende doch auch ein Wort mitzusprechen.“

„Dein Hausherrnrecht hab’ ich niemals angetastet, und wenn ich nicht ausdrücklich um Deine Zustimmung bat, so kam das daher, weil ich Dein volles Einverständniß voraussetzen mußte. Du hast gestern abend nichts eingewendet und zudem – die Einladung stammt noch aus unserer Verlobungszeit, Du wirst es selbstverständlich billigen, daß ich als Frau ein Wort einlöse, das ich als Mädchen gegeben habe.“

Ewald schielte unschlüssig zu seiner Mutter hinüber, diese aber feuerte ihn zum Widerspruch an durch die Bemerkung: „Du hettst mi ja noch gar nich seggt, Ewald, wie lang die Gnädge. mit den sbanischen Namen hier bliewen und wat sie betalen will.“

„Ja, ganz recht, Mudding. – Hast Du Deiner Freundin wegen des Preises geschrieben, Betty? Die zwei Stuben können wir im Sommer an Badegäste ganz gut für dreißig Mark monatlich vermiethen, so viel mußt Du Frau Diaz schon abverlangen.“

Ewald hatte, um der Mutter seinen Muth zu beweisen, dieses Ansinnen in so herausforderndem, grobem Tone gestellt, daß Bettina sich tief verletzt fühlte. Heiß stieg ihr das Blut zu Kopf und in zorniger Empörung antwortete sie: „Frau Diaz ist bei mir zu Gast. Damit Dir aber die langersehnte Gelegenheit, ein Geschäft zu machen, nicht entgeht, werde ich den geforderten Preis von meinem Vermögen zahlen.“

Sie wollte stolz an den beiden vorübergehen, allein Ewald, den die alte Monk durch einen Puff in die Seite angespornt hatte, vertrat ihr den Weg und sagte. „Von Deinem Vermögen? Du hast kein Vermögen mehr, daß Du’s nur weißt.“

„Was soll das heißen?“ rief Bettina erbleichend. „Ein großer Theil meines Erbes ist freilich verloren, aber es bleibt mir doch –“

„Ueber das, was Dir geblieben ist, hab’ ich fortan zu bestimmen,“ unterbrach Ewald sie heftig. „Ich hab’s satt, mir von Dir Gnadengeschenke in die Hand drücken zu lassen. Ich bin der Mann und habe mit dem gemeinsamen Gute zu wirthschaften. So ist’s Brauch hier zu Lande, und so soll’s fortan gehalten werden, auf Grund des Schriftstücks, das Du während Deiner Krankheit unterzeichnet hast.“

„Auf Grund – –“ Bettina konnte die Frage nicht aussprechen, die furchtbare Erregung erstickte ihre Stimme. Und sie bedurfte auch keiner weiteren Aufklärung. Der Mann, in dem sie einst das Ideal der Selbstlosigkeit und des sittlichen Muthes erblickte, hatte die Schwäche einer Todkranken benutzt, um sich ihres Vermögens zu bemächtigen.

Mit tiefster Verachtung blitzten ihre Augen Ewald an, und ihre Stimme klang rauh, als sie erwiderte. „So weit wären wir also! Ganz unverhohlen gestehst Du ein, daß Dich, als Du mich sterbend glaubtest, nur der Gedanke an das Geld beherrschte. Ich könnte Euch den Raub streitig machen, denn die mir abgelistete Unterschrift ist schwerlich bindend, da ich ja vom Inhalt des Dokuments keine Kenntniß hatte; aber der Stolz verbietet mir, den Mann, den ich einst geliebt habe, an den Pranger zu stellen. Nimm denn, wonach Du bei Deiner Werbung allein getrachtet hast, es besitzt heute für mich so wenig Werth wie – mein Leben.“

Sie zerriß den Brief an Lisa mit nervös zuckenden Händen und schritt ins Haus zurück.

Ewald blieb bestürzt im Garten stehen, die Scham rang in seiner Brust mit dem Trotze. Vielleicht hätte die bessere Regung gesiegt, denn das Feuer der Liebe glimmte noch in seinem Innern, allein neben ihm stand die Mutter und rief ihm zu. „Wat möt, dat möt! Kriegst Du nich den Kassenslötel rut, dann bliwt sie der Herr und Du – der Döskopp. Resolut, min Jong! In der Srift steiht gesriewen ‚Und er soll Din Herr sein‘.“

*      *      *

Bettina fand erst am Tage nach diesem Streite die Kraft, an Lisa zu schreiben und ihr das beschämende Geständniß ihrer unglücklichen Lage zu machen. Diese Beichte, verbunden mit der Nothwendigkeit, den Besuch abzulehnen, erschien ihr als die größte Demüthigung ihres Lebens – als eine unauslöschliche Schmach. Nachdem sie das Schreiben vollendet und in den Postkasten geschoben hatte, glaubte sie, die letzte Verbindung mit der Welt, in der sie ihre Jugend verlebt hatte, sei nunmehr abgebrochen; keine Menschenseele wußte sie mehr, der sie ihr Leid hätte anvertrauen mögen. Das trostlose Gefühl gänzlicher Verlassenheit trieb sie hinaus auf die einsame Düne; stundenlang irrte sie dort umher.

Müde und zerschlagen kam sie gegen Abend in die Klause zurück und fand Ewald in sehr aufgeräumter Stimmung. „Na, Betty,“ rief er ihr vom Gartenthor aus entgegen, „hast Du ’n Spaziergang gemacht? Das ist recht, das bringt den Menschen auf andere Gedanken. Ich hab’ unterdessen eine Nachricht erhalten. Die Barke ist endlich vom Dock herunter und schwimmt seetüchtig im Hafen sie trägt Deinen Namen am Stern. Nun kann’s losgehen! Morgen reise ich ab.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_171.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2023)