Seite:Die Gartenlaube (1892) 202.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Ah, Sie singen auch? Dacht’ ich mir’s doch gleich, als ich Ihre melodische Sprache hörte! Bitte, bitte, ein Lied!“

Die Gräfin ließ nicht nach, bis sich Bettina vor den Flügel setzte und zwei Lieder von Franz vortrug. Ihre Stimme war leicht umflort und besaß keinen großen Umfang, aber es lag ein eigener Zauber in ihrer Klangfarbe; jeder Ton war von echter weicher Empfindung durchhaucht.

Als Bettina sich mit bescheidener Miene vom Flügel erhob, war es ganz still um sie her. Dann plotzlich fühlte sie sich von den Armen der Gräfin umschlossen, die sie herzlich küßte und sagte: „Die Stille mag Ihnen bezeugen, welche Wirkung Ihr Gesang auf den Hörer hervorbringt. Sie reden die Sprache eines tiefempfindenden edlen Herzens.“

Von diesem Augenblick an ließ sie Bettina nicht von ihrer Seite, und diese athmete auf. Vergessen und versunken waren alle Demüthigungen, Kränkungen und Entbehrungen; sie fühlte sich emporgehoben und las in Rotts glänzenden Augen die Verheißung einer schönen Zukunft.

Bevor die Gäste aufbrachen, zeigte die Gräfin Bettina und Rott ihr anmuthig ausgestattetes Boudoir. Dabei fiel der Blick Bettinas auf das Bild eines Offiziers, der ihr bekannt vorkam und die gleiche Uniform trug wie einst Graf Trachberg.

„Ist dies nicht Baron Leblanc?“ fragte sie.

„Gewiß, kennen Sie ihn?“

„Nur flüchtig; er wurde mir einst von einem seiner Kameraden vorgestellt.“

„Darf ich den Namen desselben wissen?“

„Graf Trachberg.“

„Ah, das ist sein Freund, der unserer Trauung beiwohnen wird. Sie sehen mich beide überrascht an,“ fuhr die Gräfin lachend fort. „Nun denn, Baron Leblanc ist mein Verlobter; ich bin waghalsig genug, mich im Spätherbst dieses Jahres zum zweiten Male in das Joch der Ehe zu fügen. Die Hochzeit soll hier gefeiert werden und ich wünsche das Fest durch künstlerische Genüsse zu verschönen. Darf ich auch auf Sie rechnen?“

„Wenn Sie mir den Tag der Hochzeit rechtzeitig mittheilen, stelle ich mich ganz zu Ihrer Verfügung,“ entgegnete Rott zuvorkommend.

„Und Sie, Frau Monk?“

Bettina gerieth bei der unerwarteten Frage in große Verlegenheit. Um keinen Preis mochte sie mit dem Grafen Trachberg zusammentreffen, sie sagte daher in ängstlich abwehrendem Tone, daß sie nicht Herrin ihrer Entschlüsse sei und als Lotsenfrau wohl auch nicht in aristokratische Kreise passe.

Gräfin Lindström lachte hell auf. „Seien wir doch nicht zimperlich,“ rief sie. Die Kunst giebt jedem Sterblichen einen Geleitsbrief, den auch Fürsten anerkennen. Nun, ich will Ihnen Zeit zur Ueberlegung lassen, aber wenn Sie mich erst näher kennen, werden Sie erfahren, wie wenig von dem Staube aristokratischer Vorurtheile auf mich gefallen ist.“

„Das weiß ich schon jetzt,“ versetzte Bettina herzlich. „Ich weiß, daß Sie hochherzig sind. Haben Sie Dank, innigen Dank für so viel Freundlichkeit ... das war ein Tag, den ich nie vergessen werde.“

Die Gräfin küßte Bettina auf beide Wangen und geleitete sie bis zum Schloßportal, wo für sie, Rott und den Lieutenant von Ellernbrück der Wagen bereitstand. Da Bettina mit Rott im Boote über die Bucht gekommen war, so machte sie schüchtern den Vorschlag, ob sie nicht lieber übers Wasser segeln wollten, dem Wagen bleibe dann die weite Fahrt über die sandige Landenge erspart. Dem Offizier kam der Vorschlag sehr erwünscht, und auch Rott erklärte sich bereit.

Die Fahrt gestaltete sich zu einem schönen Nachspiel des ereignißreichen Tages. Eine träumerische Stille lag über den kühlen Fluthen, die geheimnißvoll unter dem Kiele aufrauschten und sich murmelnd verloren. Noch einmal konnte Bettina alles überdenken, und die Lobsprüche, welche der Schwager des Lotsenkommandanten ihrem Gesang und Spiel nachträglich spendete, schmeichelten sich in ihr Ohr und thaten ihrem Herzen wohl. Als das Fahrzeug vor der Klause endlich auf den Sand lief und der Offizier sich verabschiedete, schreckte sie auf; die harte Wirklichkeit stand wieder vor ihr.

Sie fand die Thür des Hauses verschlossen. Auf ihr Klingeln erschien nach einiger Zeit die alte Monk und leuchtete murrend den beiden ins Gesicht; in ihren Augen war ein flackerndes Licht, das den Ausbruch verhaltener Wuth ankündigte.

Kaum hatte sich Rott entfernt, so machte die Alte ihrer Schwiegertochter heftige Vorwürfe darüber, daß sie zu „nachtschlafender“ Zeit mit einem leichtfertigen Musikanten auf dem Wasser herumfahre; das möchten sich die Stadtdamen erlauben, in Massow aber sei es nicht der Brauch.

Bettina erwiderte kühl, daß auch der Schwager des Lotsenkommandanten mit ihnen über die Bucht gefahren sei und daß sie über ihr Betragen Ewald allein Rechenschaft schuldig sei.

Der Grimm der Alten wurde durch die ruhige Abwehr eher angeschürt als besänftigt. Unter heftigen Drohungen faßte sie Bettina, die sich zum Gehen anschickte, am Arm und wollte sie zwingen, ihre Anschuldigungen noch länger anzuhören.

Nun aber wallte auch in der jungen Frau die Entrüstung heiß auf. Mit einer heftigen Bewegung schüttelte sie die Hand ab und rief in flammendem Zorne: „Hüten Sie sich, mich wieder zu berühren! Und wenn Sie den Tag verfluchen, an dem ich in Ihr Haus gekommen bin, so mögen Sie wissen: ich verwünsche ihn auch und bin entschlossen, Sie in Kürze von meiner Person zu befreien. Hoffentlich kommt Ihr Sohn bald zurück, damit diese unerträgliche Lage zu ihrem Ende kommt.“




16.

Der Wunsch Bettinas erfüllte sich rascher, als sie erwartet hatte. Am nächsten Abend schon, als sie mit Rott von einem Spaziergang über das Wiesengelände heimkehrte, sah sie Ewald mit den beiden Alten auf der Veranda beim Abendbrot sitzen. Sie erschrak so heftig bei seinem Anblick, daß ihr der Feldblumenstrauß, den sie in der Hand trug, zu Boden fiel. Ewald, von seiner Mutter auf Bettina aufmerksam gemacht, sprang vom Stuhle auf, und es lag eine solche Kampfbereitschaft in seiner Haltung, seinen Mienen, daß die junge Frau ihrem Begleiter bebend zuflüsterte: „Er weiß alles. Bitte, laß uns allein – die entscheidende Stunde ist gekommen!“

„Soll ich nicht zu Deinem Schutze –“

„Nein, das würde meine Lage nur verschlimmern.

Bleich und nach Athem ringend stieg sie allein die Treppe hinan.

„Na,“ rief ihr Ewald drohend entgegen, „ich komme der Madame wohl ungelegen? Freilich, wenn man einen Musikanten im Hause hat – –“

„Nicht weiter, Ewald! Ueber das, was in Deiner Abwesenheit geschehen ist, will ich Dir ehrlich Rede stehen, sobald wir ohne Zeugen sind. Vor Deiner Mutter gebe ich auf keine Deiner Fragen Antwort.“

„Man wird Dich zwingen –“

„Wodurch? Glaubst Du, Deine geballte Faust schrecke mich? Ich habe mich noch niemals der rohen Gewalt gebeugt und Du weißt recht gut, daß ich nicht feig bin. Was ich fürchte, ist etwas ganz anderes. Verzehre Dein Abendbrot, Du wirst nach der Reise hungrig sein, und dann laß uns allein miteinander fertig werden!“

Bettina war mit einem Male ruhig geworden. Ewalds Drohung hatte ihren Muth aufgerüttelt, sie fühlte dem zornigen Mann gegenüber ihre innere Ueberlegenheit. Der Lotse brummte etwas in den Bart, setzte sich aber auf den Stuhl nieder und füllte sein Glas mit Branntwein.

„Ist Deine Fahrt unterbrochen worden?“ fragte Bettina und stützte sich auf das Geländer der Veranda.

Ewald antwortete nicht, sondern leerte bedächtig sein Glas. Statt seiner gab der alte Monk Auskunft. „Ja, ja, min Engelken,“ sagte er mit grimmigem Lachen, „uns’ Bark hett all der Düwel holt.“

„Was soll das heißen? Habt Ihr Schiffbruch gelitten? Ich hörte doch nichts von Stürmen in dieser Zeit?“

„Nee, nee, min Düweken, sie is afbrennt.“

„Wie, verbrannt? Mit der Ladung? Wie konnte das geschehen?“

Jetzt schlug Ewald mit der Faust auf den Tisch, daß die Teller klirrten. „Wenn ich den Hund erwische, der mir das gethan hat,“ rief er und schüttelte die Faust gegen Bräunings Gehöft, „dann zerbrech’ ich ihm alle Knochen im Leibe.“

„Willst Du mir nicht ruhig erzählen, wie alles gekommen ist?“

„Was giebt’s da viel zu erklären,“ antwortete Ewald mit einem finstern aber unsichern Blick auf Bettina. „Wir lagen in Danzig vor Anker, und als die Ladung gelöscht war, gingen

Vadding und ich abends ins Wirthshaus, um zu Nacht zu essen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 202. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_202.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2021)