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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und einen Schluck Bier zu trinken. An Bord blieb Gust Henning zurück. Auf dem Quai begegnete uns Karl Bräuning, der sich unten bei den Ausladestellen herumtrieb. Der Kerl drückte sich, wie er uns sah, scheu beiseite. Gegen Mitternacht hörten wir auf der Gasse Feuerlärm. Vadding und ich brachen auf und sahen, daß ein Schiff im Hafen brannte. Es war unsere Barke. Als wir zum Quai kamen, hatten die Matrosen der umliegenden Schiffe das brennende Fahrzeug schon hinausgeschleppt, damit die anderen Schiffe nicht in Gefahr kämen. Ans Löschen dachte niemand, dazu war’s auch wohl schon zu spät, und so ist die Barke bis auf den Kiel niedergebrannt.

„Und wo war Henning unterdessen?“

„Dem Schlingel war die Zeit lang geworden, und er hatte das Schiff verlassen, um ebenfalls einen hinter die Binde zu gießen. Dem hab’ ich’s eingetränkt. Wenn mir aber der Halunke, der Bräuning, in den Wurf kommt, dann schlag’ ich ihn tot, denn er hat das Feuer angelegt – kein andrer.“

„Hast Du Beweise?“

„Daß der Galgenvogel um mein Schiff herumstrich, ist mir Beweis genug.“

„Auf diese zufällige Begegnung hin kannst Du niemand eines schweren Verbrechens zeihen. Es war nicht wohlgethan, das Schiff solange in der Obhut eines jungen Burschen zu lassen. Gust Henning zählt erst sechzehn Jahre, bei ihm konntest Du ein Gefühl seiner Verantwortlichkeit nicht voraussetzen. Wie hoch war die Barke versichert?“

Bei dieser Frage Bettinas schlug Ewald verlegen die Augen nieder. „Da sitzt ja der Haken,“ platzte er endlich heraus, „die Barke war gar nicht versichert!“

Wenn Ewald erwartet hatte, daß Bettina auf das Geständniß hin, die Bark sei nicht versichert gewesen, aufschreien und jammern werde, so irrte er sich. Sie ließ stumm ihre Blicke über die Gruppe der Monks gleiten und sagte dann leise: „Ich hätte mir’s denken können! Meine Ermahnung wurde also wieder einmal in den Wind geschlagen. Das ist eine schwere Einbuße.“

„Vadding meinte, das Versicherungsgeld könnten wir selber verdienen –“ bemerkte Ewald in unsicherem, entschuldigendem Tone.

Um die Lippen der jungen Frau zuckte ein spöttisches Lächeln. „Und Ihr habt’s in der Kneipe verdient, wo Ihr vermuthlich bis Mitternacht hinter den Karten saßet. O, man kann sein Gut nicht gewissenhafter behüten!“

Die beiden Männer schwiegen betreten, aber Mutter Monk übernahm ihre Vertheidigung und bemerkte giftig, ihr Sohn habe sich jedenfalls weniger vorzuwerfen als Bettina, die in ihres Mannes Abwesenheit den ganzen Tag vor dem Klimperkasten verbracht oder sich mit dem hergelaufenen Musikanten herumgetrieben habe.

Die Verklagte biß sich auf die Lippen und schaute aufs Meer hinaus. Als die Alte endlich schwieg, sah Bettina Ewald fest an und sagte mit leisem Beben in der Stimme: „Willst Du jetzt mit mir durch den Garten gehen? Es muß klar werden zwischen uns.“

Sie ging voraus. Langsam senkte sich die Abenddämmerung über Meer und Land, am Himmel flimmerten die ersten Sterne. Bettina blickte zu ihnen auf, preßte die Hände gegen das ungestüm pochende Herz und flüsterte. „O laß mich jetzt die rechten Worte finden, gütige Vorsehung, damit ich ihn überzeuge und nicht verletze; ich möchte in Frieden von ihm scheiden. Frei werden laß mich, sonst geh’ ich elend zu Grunde!“

Hinter ihr wurden schwere Tritte hörbar. Sie wandte sich gegen den Gatten um, ihr Gesicht war weiß wie Marmor.

„Ewald,“ sagte sie mit todestrauriger Stimme, „Du wirst wissen, um was es sich handelt, Du mußt die Wandlung bemerkt haben, die sich seit dem Tode unseres Kindes in mir vollzogen hat. Dein und mein Verhängniß – ich habe es erkannt. Wir glaubten uns zu lieben – wir haben uns getäuscht; es waren falsche Sterne, denen wir vertrauten und folgten.“

Ewald hatte ihr mit soviel Spannung zugehört, daß die Pfeife, welche er kurz vorher in Brand gesteckt hatte, wieder verlöschte. Bettinas feierliches Wesen ließ ihn ahnen, daß ein großer Entschluß ihr Inneres bewege und daß sie beide vor einem Wendepunkt ihres Lebens stünden. Jetzt, da sie aus beklommener Brust tief Athem schöpfte, warf er grollend ein. „Ich hatte Dich gern.“

„Du magst mich gern gehabt haben, so wie ich Dich, Ewald,“ sagte sie sanft, „aber wir liebten uns nicht. Muß ich Dir die Beweise dafür erst aufzählen? Komm, laß uns auf und abgehen und höre mich ruhig an! Das Unabänderliche ist ja doch stärker denn wir.“

Sie wanderten durch den breiten Mittelgang des Gartens, während die Johanniskäfer leuchtend von Busch zu Busch flogen, während die Blumen mit ihrem Dufte die laue Abendluft würzten und im Geäst der jungen Obstbäume ein Vogel von Zeit zu Zeit sein leises Gezwitscher vernehmen ließ. Und Bettina enthüllte dem schweigenden Manne an ihrer Seite jede Falte ihrer Seele. Wie im Selbstgespräch entwarf sie ein Bild ihrer Lage nach dem Tode des Vaters, forschte der eigenen Thorheit nach und den Mitteln, durch welche Ewald ihre Hand gewonnen hatte. Ohne Bitterkeit, aber klar und bestimmt wies sie die Gründe nach, durch welche das Freundschaftsgefühl ihrem Gatten gegenüber – nur diese und keine andre Empfindung habe sie mit ihm verbunden, wie sie jetzt erkenne – zerstört worden sei. In dem Wahne, unter Naturmenschen freier und glücklicher leben zu können als in den gewohnten Verhältnissen, sei sie nach Massow gekommen, hier aber habe man sie der Willensfreiheit beraubt, ihre geistige Natur in einen unerträglichen Zustand der Knechtung und Stumpfheit herabzudrücken versucht. Da sei in dem Augenblick, in welchem die Verzweiflung sie zu überwältigen gedroht, Franz Rott erschienen und mit ihm – die Liebe. Ewald müsse sich erinnern, wie heftig sie sich gegen die Aufnahme dieses Mannes in ihr Haus gesträubt habe, eine seltsame Ahnung dessen, was kommen werde, sei schattengleich in ihr Inneres gefallen. Nun habe sich ihr Schicksal doch erfüllt, sie sei fortgerissen worden von jenem höchsten Gefühl, das göttlich und unzerstörbar sei. Nun müsse geschehen, was nothwendig sei, um die unselige Scheinehe zwischen ihnen zu lösen. Nicht bloß an sich selbst denke sie dabei, auch für Ewald gebe es keinen andern Weg zum Frieden. So wenig es ihr persönlich gelungen sei, ihn zu beglücken und zu veredeln, so wenig habe ihn ihr Geld zufriedener gemacht. Wenn er in die Scheidung willige, so wolle sie ihm alles lassen, was sie an Geld und Gut besitze, er werde eine Lebensgefährtin finden, die ihm sein könne, was ihr, der so ganz anders Gearteten, verwehrt gewesen, die ihn dauernd beglücke. Sie aber werde ihm bis ans Ende ihres Lebens dafür danken, daß er ihr die verlorene Freiheit wiedergegeben habe.

Sie sprach in zitternder Erregung, und als sie beide auf dem Hügel am Ende des Gartens anlangten, wandte sie ihm voll das Gesicht zu, erhob bittend die Hände und schloß mit den Worten „Wir haben uns getäuscht, Ewald; laß uns ohne Groll scheiden und auf neuen Wegen den Frieden suchen!“

Der Schein des Mondes fiel auf ihre leidvollen Züge, der Lotse sah, daß zwei heiße Thränen sich von ihren Wimpern lösten. Und wie aus den feuchtschimmernden Augen flehende Blicke zu ihm herüberdrangen, so sprach aus ihrer Stimme die ganze Sehnsucht nach Erlösung von unerträglichen Fesseln. Aber Ewald verschloß sich der Gewalt dieses Eindrucks mit einer unwilligen Bewegung. Ihr Bekenntniß hatte seine Eigenliebe verwundet, aus ihrer beweglichen Rede hörte er nur das eine heraus, daß sie den „Musikanten“ ihm vorziehe. Und wie mußte sie den Fremden lieben, daß sie – die Stolze – Thränen vergoß! Der Gedanke rührte alle bösen Leidenschaften in Ewald auf und machte ihn unzugänglich für ihre Bitten. Und nie zuvor war ihm Bettina so schön und begehrenswerth erschienen als jetzt, da er sie verlieren sollte. Lange sah er ihr in das thränenfeuchte Gesicht, und als sie nochmals die Hände zu ihm erhob und fast schluchzend seinen Namen rief, antwortete er rauh und barsch: „Du hältst mich wohl für einen Narren?“

„Ewald!“

„Ja, ‚Ewald!‘ Du kannst mich lange anrufen und angucken als wär’ Dir der Himmel eingefallen, ehe ich auf Deinen unsinnigen Vorschlag eingehe. Ewald Monk ist kein Tropf, der in jede Grube springt, wenn Du nur den Wunsch danach aussprichst. Wir beide sind Mann und Frau, das scheinst Du in meiner Abwesenheit vergessen zu haben. Hier zu Lande läuft man nicht zusammen, um sich wieder zü trennen, wenn eins von beiden verdrießlich wird oder wenn ein Dritter ins Haus kommt, der eine glatte Larve hat und ein wenig gebildeter schwatzen kann als der eigene Mann. Hier zu Lande hat die Frau bei dem angeheiratheten Manne in allen Lagen des Lebens auszuhalten, und wenn sie das nicht thut, so erkennt man dem Manne das Recht zu, sie zur Pflicht zu zwingen. Das könnte Dir gefallen, jetzt, wo es mir ohne mein Verschulden schlecht geht, Dich davon

zu stehlen und es einmal mit dem Musikanten zu versuchen!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_203.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2020)