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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

von Alt-Merseburg. Denn Otto – der vorher die Merseburg zwei Monate lang hatte belagern müssen, um seinen aufrührerischen jüngeren Bruder Heinrich daraus zu vertreiben, und der darauf den Bau eines neuen Schlosses begann – er hatte vor jener Hunnenschlacht auf dem Lechfeld im Angedenken an den Merseburger Hunnensieg seines Vaters gelobt, falls auch ihm ein solcher Sieg würde, ein Bisthum in Merseburg zu stiften. Der Sieg wurde ihm, und nun baute Otto das Schloß als Kaiserpfalz und Bischofssitz aus. Wohl wurde das von ihm gegründete Bisthum auf Grund bischöflichen Konkurrenzneides nicht lange danach wieder aufgehoben; aber der 1002 zum Kaiser gewählte Heinrich II., welcher Merseburg mit seiner Gemahlin Kunigunde sehr gern besuchte und es „ein Paradies“ zu nennen pflegte, stellte die Stiftung wieder her. Sein zum Bischof ernannter Kaplan Wigbert gründete die noch heute bestehende Stiftsbibliothek, in der sich viele wichtige Handschriften darunter auch die berühmten „Merseburger Zaubersprüche“ aus dem zehnten Jahrhundert befinden, einige der wenigen uns erhalten gebliebenen althochdeutschen Sprachdenkmäler.

Die schon erwähnte alte Kirche ließ Heinrich gänzlich umbauen; den Grundstein zum Neubau legte der hochberühmte Bischof Tiethmar, Merseburgs ältester Chronist, und über diesem Grundstein erhob sich eine Kirche, die nach vielfachen weiteren Um- und Ausbauten der altehrwürdige, noch heute stehende Merseburger Dom wurde. Als eine architektonische Schönheit kann der Bau ja nicht gelten, aber durch sein hohes Alter und durch seine archäologische Bedeutung, durch die werthvollen, seltenen und wohl auch seltsamen Schätze, welche er in sich birgt, ist er zu hohem Ruhme gelangt.

In der Gewandkammer des Domes ist z. B. die Hand aufbewahrt, welche dem Gegenkaiser Heinrichs IV., Rudolf von Schwaben, 1080 in der Schlacht bei Mölsen abgehauen wurde; droben im alten Merseburger Schlosse war er an seinen Wunden gestorben und im Dome hatte man ihn unter einem außerordentlich prachtvollen Grabmal beigesetzt. Auch sein Gegner Heinrich sah diese Hand als er sieben Jahre nach der Schlacht zu einem Reichstag wiederum nach Merseburg gekommen war und vom Schlosse zum Gottesdienst in den Dom ging; er sah dort auch das herrliche Grabmal Rudolfs und las darauf die für ihn selber nicht gerade schmeichelhafte lateinische Inschrift. „In dieser Gruft ruht König Rudolf, der, mit Recht zu beweinen, für der Väter Gesetz fiel. Hätte er in Friedenszeit geherrscht, es wäre kein König seit Karl ihm an Weisheit und Schwertkraft gleich gewesen.“

Aber als man Heinrich in niedriger Liebedienerei anging, er möge doch nicht dulden, daß seinem Feinde solch ein prachtvolles Ehrenmal errichtet bleibe, sondern es niederreißen lassen, da soll er in grimmigem Spotte das Wort gesprochen haben: „O daß doch alle meine Feinde so herrlich begraben lägen!“

Das Hauptportal des nördlichen Schloßflügels.

Das alte Schloß hatte schon vor Heinrich IV. mehr als einem Kaiser zum Heerlager bei den in Merseburg abgehaltenen Reichstagen gedient; die größte kaiserliche Prunkentfaltung aber sah es doch erst 1152, als Friedrich Barbarossa hier im Beisein der deutschen Fürsten und Herren den Erbfolgestreit zwischen den Dänenprinzen Sven und Kanut schlichtete und Sven zum König von Dänemark krönen ließ, während Kanut der Würde entkleidet wurde. Der neue Dänenherrscher mußte dem deutschen König und römischen Kaiser Rothbart damals den Lehnseid schwören und ihm dann als Friedrich Barbarossa, die Krone auf dem Haupte, an der Spitze all der Fürsten und Herren in feierlichem Zuge sich zum Dome begab, das Reichsschwert vorantragen.

Waren die Kaiser nicht anwesend, so saßen auf dem Schlosse allein die Bischöfe und regierten von da aus Merseburg. Zwar hielten sie die Stadt in starker, zeitweise drückender Abhängigkeit; dennoch blühte sie auf, namentlich als Handelsstadt durch ihre ausgedehnte „Marktgerechtigkeit“, ihre Messen. Sind doch die später so wichtig gewordenen Leipziger Messen eigentlich aus denen Merseburgs entstanden! Nach dem großen Brande von 1323 – dem ersten von vielen – sahen sich die Kaufleute, die bis dahin nach Merseburg gekommen waren, gezwungen, erst nach Grimma, dann nach Leipzig sich zu wenden, so daß, wie eine handschriftliche Stadtgeschichte sagt, „der Jahrmarkt seither ganz zurückblieb und der Leipziger sich erhob“.

Der berühmteste der Merseburger Bischöfe und obenein der besten einer war der seit 1249 regierende Thilo von Trotha. Er ist es auch, der für die Geschichte des Schloßbaues am meisten in Betracht kommt. Denn wie er überhaupt für Merseburg sehr viel that – „ohne Beschwerung der Unterthanen“, da er nach Chronistenzeugniß „ein guter Herr“ war – wie er besonders der Domkirche im wesentlichen ihre jetzige Gestalt gab, so war er auch der eigentliche Bauherr des heutigen Merseburger Schlosses. So viele An-, Um- und Ausbauten das Schloß in den sechs Jahrhunderten seit Thilo auch erfahren hat, noch heute verräth es, wie damals, selber dem Besucher, wer es errichtet hat, durch des Bischofs in Stein gemetztes Wappen, „das der gute Herr gar oftmalen anzubringen liebte“, den Raben, der einen Ring im Schnabel trägt. Unsere Leser kennen aus dem Artikel „Unschuldig verurtheilt“ in Halbheft 24 des Jahrgangs 1890 die Legende, welche sich an dieses Wappenbild knüpft, von dem treuen Diener Johannes, der auf eines böswillig abgerichteten Raben Zeugniß hin auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, von der Reue seines Herrn, als die Unschuld des Hingerichteten zutage kam. Der tief zerknirschte Bischof soll aus diesem Anlaß den Raben mit dem Ringe in sein Wappen aufgenommen, eine Stiftung für Witwen und Waisen errichtet und die fortdauernde Unterhaltung eines lebendigen Raben im Schloßhof angeordnet haben.

In der That ist das Wappen, in Stein gehauen, vielfach im und am Schlosse zu sehen, die Witwen- und Waisenstiftung ist noch heute in Kraft; und auf Generalunkosten krächzt heutigen Tages noch ein lebendiger Rabe in einem schönen großen Käfig auf dem äußeren Schloßhof – und dennoch erheben sich gegen den geschichtlichen Werth dieser Lokalsage gewichtige Bedenken. Nachweislich führte Thilos Zweig der noch heute blühenden Familie Trotha den Raben bereits im Wappen, lange bevor Thilo Bischof wurde. Die Unterhaltung eines lebendigen Raben auf dem Schlosse geschah eben deshalb, weil der Rabe Wappenthier war, wie ja auch sonst noch Fürsten und selbst Städte „lebendige Wappenthiere“ hielten und halten; z. B. die Fürsten von Reuß Kraniche, die Stadt Bern Bären.

Thilos unmittelbare Nachfolger bauten ebenfalls dies und das am Schlosse, wenn sie nämlich Geld dazu im Beutel und nicht andere, wichtigere Dinge im Kopfe hatten. Ein größerer Umbau ward indeß erst wieder unternommen, als der Administrator Kurfürst Johann Georg I. vom Stiftstage eine „reichliche Beisteuer“ zum Ausbau des damals schon wieder arg vernachlässigten Schlosses erhielt. Bei Gelegenheit dieser 1650 begonnenen Umänderung rückte übrigens mit schier unglaublicher und schon damals scharf getadelter Ungeschicklichkeit der Schloßbaumeister Melchior Brenner den Ostflügel so dicht an den Dom, daß er das Domfenster, durch welches der hohe Chor Licht bekam, völlig „zusetzte“.

So sehr sich nach diesem Umbau auch „das neue, gewaltige Schloß durch Größe, Geschmack, Pracht und Geräumigkeit der Gemächer auszeichnete“, es unterlag kaum länger als ein Jahrhundert danach doch wieder einer neuen starken Umgestaltung, bei der es im wesentlichen sein jetziges Aussehen erhielt.

Zwischendurch war es Zeuge schlimmer Zeiten gewesen denn der Dreißigjährige Krieg ging auch in Merseburg nicht ohne furchtbare Greuel und Unthaten vorüber. Erst plünderte General Pappenheim mit einem kaiserlichen Heere Stadt und Schloß, dann eroberten die Schweden ihrem Bundesgenossen Johann Georg seine „gute vnd getrewe Statt“ zurück, bis Wallenstein sich mit 1500 Mann zum Herrn der Stadt und des Schlosses machte; und schließlich verwüsteten die Schwedengenerale Bannér und Torstenson die „stiftischen Lande“ des ihnen nach Gustav Adolfs Schlachtentod abtrünnig gewordenen Johann Georg. Die Zeiten wurden erst wieder besser, als des Kurfürsten dritter Sohn, Christian der Aeltere, Herzog und damit Begründer der Linie Sachsen-Merseburg wurde, das Schloß um neue Gemächer bereicherte, im Innern prächtig ausschmückte und dort eine fürstlich glanzvolle Hofhaltung einrichtete.

Einen etwas närrischen, aber von Herzen guten Fürsten beherbergte das Schloß später in dem „Geigenherzog“ Moritz Wilhelm, der alle Räume mit Musikinstrumenten mannigfacher Art anfüllte, stets eine Geige unter dem Arme trug, selbst während des Ministerrathes und in der Kirche, und häufig einen Satz, den man mit ihm sprach anstatt durch Worte durch ein paar Griffe oder Bogenstriche zustimmend, abwehrend, zweifelnd oder fragend beantwortete und nachts sehr oft sentimentalisch thränenreiche Totenklagen auf den Gräbern verstorbener Diener anstimmte.

Mit seinem Sohne starb das Haus Sachsen-Merseburg im Jahre 1738 schon wieder aus und die Administration des Hochstifts wurde „für ewige Zeiten“ mit der sächsischen Kurwürde verknüpft – was leider zur unmittelbaren Folge hatte, daß im Schlosse eine schreckliche Plünderung begann. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, wurde nach Dresden geschleppt, darunter natürlich auch der große Schatz an werthvollen silbernen Geräthen, das Tafelzeug, sämmtliche in fast fünf Jahrhunderten zusammengebrachten Kunstgegenstände wie überhaupt alle Kostbarkeiten ja sogar die schönen gepreßten Ledertapeten und die künstlerisch gewirkten Wandbekleidungen wurden herabgenommen und nach der Residenz an der Elbe geschafft.

Große Zeiten und sehr verschiedenartige Gäste sah das Schloß im Siebenjährigen Kriege. Es beherbergte damals z. B. den Prinzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_224.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)