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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Auf schwankendem Stege überschritt Haymo den tiefen Hirschgraben, in dem ein Rudel Hochwild friedlich äste. Die Thiere sahen elend und verkümmert aus; ein Hirsch, auf dessen Haupt schon das neue Geweih zu sprossen begann, war bis zum Rande des Grabens emporgestiegen und drückte die Stirne gegen das hölzerne Gitter – er sah durch die Lücken der Stäbe in der Ferne den freien Bergwald blauen. Haymo wandte sich ab, bewegt von Erbarmen; es dünkte ihm ein hartes Unrecht, solch ein edles Thier gefangen zu halten in traurigem Kerker, nur zu müßiger Augenweide.

Als der Jäger an der Klosterpforte den Hammer rührte, sagte ihm der Pförtner, daß Haymo nach der Messe in der Amtsstube des Klostervogtes sich einzufinden hätte; doch solle er neben Dienst und Pflicht auch seines irdischen Leibes gedenken und den Umweg über die Küche nicht scheuen. „Freu’ Dich, Junge, heut’ ist großer Fasttag!“ flüsterte der Pförtner und schnalzte mit der Zunge.

Haymo gab die Armbrust und den Bergstock in Verwahrung und schritt der Kirche zu, durch deren offenes Thor der Weihrauch duftete und die brennenden Kerzen flimmerten. Stehend, die Kappe zwischen den verschlungenen Händen hörte er die Messe. Im Beichtstuhl hatte er ein schweres Viertelstündlein; er besann und besann sich, aber es fiel ihm keine Sünde ein, die er etwa begangen hätte! Das ganze Jahr hindurch mit sich allein in Berg und Wald, nichts anderes im Herzen als die stille Freude an der schönen Gotteswelt, nichts anderes im Sinn als die Jägersorgen, die der Morgen weckte und der Schlaf vergessen machte – wie soll man da zu einer Sünde kommen? Es macht ja kein Gebet, kein Glaube die Menschen frömmer als die Einsamkeit des rauschenden Waldes, als die freie Himmelsnähe auf den Gipfeln der Berge. Aber sündigen muß doch der Mensch – wozu wäre sonst die Beichte da! Haymo sann und sann … der Pater im Beichtstuhl wurde schon ungeduldig … und Haymo, dem der Angstschweiß auf die Stirn trat, stotterte: „Hochwürdiger Vater, ich bitt’ Euch, habt nur ein Weilchen noch Geduld, es wird mir gewiß noch eine Sünde einfallen!“ Und richtig … der heiße Zorn, der ihm stets über die Lippen strömte, so oft er droben in seinem Revier die verdächtige Spur eines Menschen fand, das war doch Sünde! Und der Wunsch, daß er Flügel haben mochte, um die entflohenen Raubschützen verfolgen und fassen zu können? Wieder eine Sünde! Denn dieser Wunsch war so viel wie ein versteckter Zweifel an der Weisheit Gottes, der die Menschen nun einmal ohne Flügel erschaffen hatte! Haymo athmete erleichtert auf; der Anfang war ja nun gemacht, und da ging es prächtig weiter, so daß er schließlich ein ganz gewichtiges Päcklein Sünden zusammenbrachte. Der Pater lächelte, als er diesem so schwer beladenen Beichtkind die Absolution ertheilte; Haymo aber war völlig zerknirscht und hielt die kleine Buße, die er zu beten bekam, für unverdiente Milde. In wahrer, tiefer Andacht genoß er den Leib des Herrn und verließ die Kirche, er meinte wahrhaftig: besser, als er sie betreten hatte.

Beim Pförtner holte er seine Armbrust; der öffnete ihm das Thor des Klosters, zwinkerte ihm freundlich zu und sagte. „Geh’ nur! In der Küche wissen sie schon, daß Du kommst! Geh’ nur!“ Haymos eisenbeschlagene Schuhe klapperten auf den Steinfliesen des langen Kreuzganges, den er zu durchschreiten hatte. Durch hohe Bogenfenster fiel das goldene Sonnenlicht und machte die Farben der frommen Bildnisse leuchten, mit denen die weißen Wände geziert waren. Aus einer Thür hörte er summende Stimmen, dazu ein lautes Klappern und Klirren. Er öffnete und betrat die Klosterküche. Feuchte Hitze umfing ihn und angenehme Düfte quollen ihm entgegen. Ein großmächtiger Raum mit sechs hohen und breiten Fenstern; die Wände schneeweiß getüncht, der Boden mit rothen, spiegelblanken Marmorplatten belegt. Ueberall weißgescheuerte Tische, Kasten, Schreine und Truhen; alle Wände funkelten von kupfernen Pfannen und zinnernen Schüsseln; an den Fensterpfeilern hingen die aus Blech getriebenen Kuchenformen in Gestalt von Sternen, Herzen, Blumen und allerlei Gethier. In der Mitte des Raumes stand der riesige Herd, dessen Inneres, nach den vielen Kupferthürchen zu schließen, ein wahres Labyrinth von Feuerhöhlen und Bratröhren enthalten mußte; die Platte des Herdes war dicht bestellt mit dampfenden Pfannen und Kesseln, und über offenem Kohlenfeuer wurde am langen Spieß ein Seeferch gebraten, der wohl an die dreißig Pfund wiegen mochte.

Und welch ein emsiges Leben in all diesem Dampf und Duft! Rings um den Herd und um die Zurichttische standen und gingen die Küchenbrüder, mit nackten Armen, mit weißen Schürzen über den schwarzen Kutten, jeder betraut mit einem hochwichtigen Amte. Hier wurden Hechte, Forellen und Saiblinge gereinigt, dort knetete einer mit derben Fäusten an einer ellenlangen Teigstulle, hier wurden Zwiebeln geschnitten und Citronenschalen gewürfelt, dort schlug einer mit langer Birkenruthe einen ganzen Teich von Eiweiß zu schneeigem Schaum, Mehl wurde abgewogen und Gewürz sortiert, und zwischen den Brüdern tummelten sich die Laufbuben, Holz tragend, das Feuer schürend, die gebrauchten Kessel scheuernd und das zinnerne Geschirr spülend. Hohe Stöße von Tellern wurden durch einen Schalter hinausgeschoben, durch den man das weite Refektorium mit seinen blüthenweiß gedeckten Tischen gewahrte. und in all diesem Klappern, Klirren, Zischen und Brodeln ein ununterbrochenes Rufen, Plaudern und Lachen und alle Gesichter rothbrennend von Hitze.

Die Fäuste in die Hüften gestemmt, mit gebieterischer Ruhe wie ein Feldherr, schritt Frater Friedrich, der Küchenmeister, auf und nieder, alles überblickend, alles überwachend. Breit lag ihm das Doppelkinn auf der Brust, die kleinen Aeuglein versanken fast in den Fettpolstern der Backen, und bei seinem Umfang mochten fünfzehn Ellen Tuch wohl kaum genügen für die Kutte! Ja, das Fasten! Das Fasten!

Als Haymo die Küche betrat, weckte sein Erscheinen einen ganzen Aufruhr. „Der Jäger! Der Jäger!“ rief es auf allen Seiten, die Brüder kamen auf ihn zu, die Laufbuben stellten ab, was sie in den Händen hielten und rannten ihm entgegen. Mit glotzender Neugier umstanden sie ihn, der eine griff nach Haymos Weidmesser, der andere streichelte die Armbrust, der dritte griff in den Bolzenköcher und prüfte die Schärfe einer Bolzenspitze am Finger. Und so viele Fragen gab es auf einmal, daß der Jäger sie in einer Stunde nicht hätte beantworten konnen. Haymo wurde verlegen, ihm war zu Muth wie der Wildtaube im Hühnersteig. Da kam der Frater Küchenmeister … herbeigegangen? … nein, herbeigerollt wie eine Tonne. „So? Bist Du da? Hast Deine Seel’ gestärkt? Brav, mein Sohn, brav! Das ist Christenpflicht! Jetzt aber komm und stärke Deinen Leib!“ Er nahm den Jäger unter dem Arm und führte ihn in eine kleine Stube, welche neben der Küche lag und halb einer Mönchszelle, halb einer Speisekammer glich. Im Erker war ein Tischlein säuberlich gedeckt, und neben dem Zinnteller stand eine Holzkanne, bis zum Rande gefüllt mit schäumender „Güte Gottes“.

Die beiden setzten sich und ein Laufbube trug auf; Schüssel um Schüssel kam; Haymo machte immer größere Augen. Er hatte noch niemals im Leben so herrenmäßig … nein, das will zu wenig sagen, so klosterwürdig getafelt; der Frater Küchenmeister schien den schmucken Jäger ins Herz geschlossen zu haben; er hatte die Arme breit über den Tisch gelegt und schaute dem Schmausenden mit zufriedenem Lächeln zu.

Da gab es zuerst eine Erbsensuppe mit gerösteten Schnitten, dann kamen Pastetchen, mit Forellenbacken gefüllt; es folgte ein gesottener Hecht, der sich, wie der Frater scherzte, aus Freude darüber, daß er gar so schön blau gerathen, in den eigenen Schwanz biß; er hatte zwei grüne Rosmarinzweiglein in den Nasenlöchern stecken und ein paar absonderlicher Augen: aus gelber Citronenschale geschnitten und in der Mitte ein Pfefferkorn; und rings um den Rand des Tellers lag ein Kranz von Zwiebelscheibchen, darin der geputzte Fisch so prächtig anzusehen war, daß Haymo erst nach langem Zureden das Herz hatte, diese Pracht zu zerstören. Dann folgten gedünstete Froschschenkel in kostlicher Tunke mit gebackenen Krapfen. Und nun kam gar ein richtiger Braten – ein Braten am Fasttag!

Haymo blickte verlegen auf den Frater. „Darf ich denn das essen?“

Der Küchenmeister lachte lustig auf und tätschelte die Hand des Jägers. „Iß nur, Bub, iß nur! Glaubst Du denn, ich möchte Deine frisch gescheuerte Seel’ mit einer Sünde beflecken! Iß nur! Das ist Fastenspeise, wie Fisch und Frosch!“

Zögernd kostete Haymo; doch gleich wieder legte er die Gabel nieder und schob den Teller kopfschüttelnd von sich. „Nein, Herr, das ist Fleisch!“

„Freilich Fleisch!“ lachte der Frater, „aber Fleisch von einem Biber!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 238. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_238.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2023)