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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Erschöpft setzte sich Kinkel und sah abermals eine Zeit lang vor sich hin. Mit seinen weichsten Tönen begann er dann wieder:

„Aber man hat es wohl vergessen, daß ich damals schon sagte: ‚Wenn das alles erreicht wird, und mein Volk erwiese mir nochmals die Ehre, mich zu seinem Vertreter zu wählen, ich würde einer der ersten Abgeordneten sein, die frohen Herzens riefen: ‚Es lebe das deutsche Kaiserthum, es lebe das Kaiserthum Hohenzollern!‘ Und jetzt ist es erfüllt, der ‚Alte‘ geht wohl bald zur Ruhe, sein Vaterlaud aber hat seiner nicht mehr bedurft! Es hat ihn beiseite stehen lassen, weil – weil er mit anderen Mitteln das erstrebte, was andere mit Blut und Eisen erreicht haben. Aber ich fühle mich deshalb nicht weniger Patriot als diese, ich habe gebüßt, weil ich vielleicht zu früh erstrebte, was bis heute das Ideal der ganzen Nation war.

Und nun, mein Freund, ein Glas auf unsern Rhein, auf Deutschlands Strom, nicht Deutschlands Grenze, auf ihn, der uns jetzt erst gewonnen ist für immer!“

Nochmals erhob er sich leuchtenden Auges, und hell stießen die Gläser zusammen.

„Habe ich mich doch einmal ausgesprochen – zürnen Sie mir nicht ob der Reminiscenzen eines alten Dichterkopfes!“ sagte er nun wieder mit seiner gewinnenden heiteren Miene. „Aber es giebt stille Stunden, vielleicht vorzugsweise im Alter, wo man die Welt anders anschaut als im vollen Lebensgetriebe. So eine Stunde ist heute über mich gekommen. Belächeln Sie mich nicht, beurtheilen Sie mich nicht falsch! Als ich gestern über den Rhein fuhr, streifte mein ganzes Leben an mir vorüber – – war’s ein verlorenes? – Und nun, Freund, gute Nacht! Gedenken Sie immer mit Liebe Ihres ‚Alten‘, der heute vielleicht zu redselig war! Gute Nacht!“ – –

Wir schieden! Ich habe ihn nicht wiedergesehen, denn er starb kaum sechs Monate darauf. Ich aber – voll des Eindrucks dieser merkwürdigen Stunde, fand, als ich um vier Uhr heimgekehrt war, den Schlaf nicht. Meiner Gewohnheit folgend, setzte ich mich an den Schreibtisch, und da fand mich noch der helle Tag – ich bannte fest auf das Papier, was ich soeben erlebt und erfahren. Schon früher, bald nach Kinkels Tode, wollte ich die wundersame Nacht in der „Gartenlaube“ schildern. Ich hielt es damals nicht für angebracht. Heute, nach vollen zehn Jahren und nachdem ich mit Freunden und Geistesgenossen des Dichters mich darüber ausgesprochen, mögen diese Mittheilungen eine klärende Erinnerung bieten an den Dichter, dessen Schicksal so tragisch zwischen ihm und seinem heißgeliebten Volke stand.




Was uns der Garten lehrt.


Man hat Karl den Großen den ersten Kunstgärtner Deutschlands genannt: mit vollstem Rechte, denn was vor ihm in Germanien an Gärten zu sehen war, das erhob sich nicht über die niedrige, auf alle Barbarenvölker zutreffende Stufe. Karl der Große war überhanpt der Kulturträger des Nordens, und noch bis heute ist manche seiner Einrichtungen in Kraft geblieben. Wenn wir das Mittagessen, die Hauptmahlzeit, im Gegensatz zu vielen anderen Völkern um 12 Uhr einnehmen, so ist das eine Sitte, welche auf die Verordnungen Karls des Großen zurückzuführen ist. Was der deutsche Garten jahrhundertelang trug, was an Kindern der Flora noch heute in Bauerngärten alten Schlages gezogen wird, entspricht durchaus den Vorschriften des ersten deutschen Kunstgärtners. In seinen Verfügungen über den Betrieb der königlichen Meiereien findet man eine ganze Anzahl von Blumen, Arzneipflanzen, Küchenkräutern, Gemüse- und Obstarten genannt, welche in seinen Gärten gepflegt werden sollten. Da werden bereits die beiden Königinnen der mittelalterlichen Gärten, Rosen und Lilien, erwähnt, da lesen wir von Rosmarin, Liebstöckl, Mohn, Eibisch, Brunnenkresse, von Anis, Salbei, Schnittlauch, von dicken Bohnen und Kohl, von Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Pflaumenbäumen, von Kastanien, Quitten und Mispeln, ja sogar von Mandel-, Lorbeer- und Feigenbäumen.

Kaiser Karl war aber ein durchaus praktischer Mann, und man würde irren, wenn man glauben wollte, daß er die duftenden Blumen nur der Augenweide und des Wohlgeruchs wegen hätte pflanzen lassen. Zu jener Zeit, da die Gewürze und Spezereien der fernen Welttheile noch selten waren, mußten die heutigen Schmuckpflanzen zu Heilzwecken und Leckereien verarbeitet werden. Da wurde der Lilie mannigfache heilende Kraft zugeschrieben, da hieß es im späteren Mittelalter vom Zuckerrosat, d. h. von dem mit Zucker angemachten Rosensaft: „Er überhebt dich viel pfenning in der apoteken“, da wurden zu ähnlichen Zwecken auch Violsirupe und Violöl bereitet. Durch die Klöster wurden die Anregungen Karls des Großen weiter verbreitet, und so entstanden überall Würzgärten für heilkräftige Kräuter und Gewürze, Krautgärten für Gemüse sowie Obstgärten und Weinberge. Viele Landapotheker im Anfang unsres Jahrhunderts haben noch ihre Gärten genau nach den Vorschriften des Gründers des heiligen römischen Reichs gehalten. Mancherlei Blumen und Kräuter wurden vom deutschen Wald und Feld in den Garten verpflanzt, viele aber, die jetzt zu den allgemein bekannten Gewächsen zählen, sind erst im Zeitalter Karls des Großen über die Alpen zu uns gekommen. Von diesen ältesten Pflanzeneinwanderern nennen wir nur Gurken und Kürbisse, Lavendel, Rosmarin und Raute, die Lilie, Levkoje und Gartennelke.

Als dann der Wohlstaud zunahm und die Sitten sich verfeinerten, da begnügte man sich nicht mehr mit Nutzgärten, sondern

schuf auch Ziergärten, welche die Höfe der Fürsten, die Burgen der Ritter und die Landhäuser der Patrizier umgaben. Die Lustgärten des Orients dienten dabei zum Vorbild, und der Orient versorgte auch die ersten Blumenliebhaber mit neuen Pftanzen. Es ist interessant, weiter zu verfolgen, wie der Gartenstil sich dem Kunstgeschmack anpaßte, wie die Renaissance lange Zeit herrschte und wie dann der gebundene Gartenstil später durch die freien englischen Parkanlagen, eine Nachahmung der chinesischen Gärten, ersetzt wurde.

Ein Gärtnerspruch lautet:

„Gärten sind Visitenkarten:
Wie der Herr, so der Garteb“,

und so ist in der That in der Enwicklungsgeschichte des deutschen Gartens ein Stück Kulturgeschichte enthalten. Ein von dem als Aesthetiker und Kunsthistoriker bekannten Dr. [[Alexander Kaufmann]] herausgegebenes Buch „Der Gartenbau im Mittelalter und während der Periode der Renaissance“ bietet sehr hübsche Einblicke in die Wechselbeziehungen zwischen dem Volksleben und dem Garten, und wir können es aus diesem Grunde jedem Gartenfreund empfehlen.

Zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts begann der große Eroberungszug des europäischeu Handels über weite Länder und Meere. Durch ihn wurde im Laufe der Jahre eine ungeheure Einwanderung fremder Pflanzen nach Europa bewirkt, und diese wiederum veränderte das Aussehen unserer Gärten.

„Wenn plötzlich, während wir hier versammelt sind, eine Gigantenhand über unsre Stadt führe und mit einem Schlage von Pflanzen alles entfernte, was nicht schon seit Menschengedenken von selbst bei uns gewachsen ist, da würden wir dann hinaustreten in eine abschreckende Wildniß. Leer würden nicht bloß die Blumentische reicher Leute, fort wären auch alle die bescheidenen Töpfe von den Fenstern der kleinen Wohnungen, weg wären aus den Vorgärten und Promenaden Sträucher und Bäume, ja stundenweit könnten in der Landschaft große pflanzenleere Lücken entstanden sein. Denn fast alles, was der Mensch zu seiner Freude, vieles, was er zum Nutzen von Gewächsen in seine nächste Umgebung und eigenhändige Pflege genommen, das hat er aus fremden Welttheilen, zumal aus Asien und Amerika, erst heimgebracht.“

Mit diesen Worten eröffnete Professor G. Kraus einen Vortrag „Ueber die Bevölkerung Europas mit fremden Pflanzen“[1], und es ist in der That keine Uebertreibung, wenn man sagt, im Pflanzenreich habe sich gewissermaßen der umgekehrte Prozeß wie in der Menschenwelt vollzogen, Europa sei von den Wilden erobert worden.

Die Gärten, namentlich die seit der Errichtung des Pflanzengartens

  1. Vergl. Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte (Leipzig, F. C. W. Vogel. 1891)
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_243.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2021)