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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Was zum Henker geht Sie meine Frau an?“

„Sehr viel, denn ich achte Bettina; das ist etwas, was Sie nie gethan haben.“

„Wer sagt Ihnen das?“

„Sie selber, Herr Monk. Wer eine Frau achtet, macht sie nicht zur Sklavin, die alle Launen und Mißhandlungen des Mannes schweigend ertragen muß. Hat die Frau die gleichen Pflichten, so hat sie auch das gleiche Recht mit dem Manne.“

„Das mag bei Euch Großstädtern gelten, die Ihr weder nach Brauch und Sitte noch nach Gott und Teufel fragt, auf dem Lande aber ist die Frau dem Manne unterthan und hat ihm zu gehorchen – denn so steht es in der Schrift.“

„So wollen Sie uns zum Aeußersten treiben? Bettina liebt mich und wird mir folgen.“

Ewald nahm hastig die Pfeife aus dem Munde, sein Gesicht wurde dunkelroth und seine Augen funkelten vor Zorn. „Hüte Dich,“ rief er mit geballter Faust, „hüte Dich, Musikant, mein Weib zu einem leichtsinnigen Schritte zu verleiten, das könntest Du mit Deinem Leben bezahlen müssen!“

Rott erschrak beim Anbltck der entstellten Züge und der wüthenden Gebärde des Mannes. Er zitterte nicht für sein, sondern für Bettinas Leben. In Ewalds ungezügelter Natur lag etwas Gefährliches; gewiß, der Lotse scheute im Nothfall auch nicht vor einem Verbrechen zurück. Es galt also, sehr klug zu handeln, um Bettina seiner Wuth zu entziehen.

Ruhig und schweigend wandte sich Rott daher von seinem Gegner ab und schritt dem Gasthof zu. Hier schrieb er sofort an die Gräfin Lindström und fragte an, ob er nun doch im Laufe der nächsten Tage ihre Gastfreundschaft in Anspruch nehmen dürfe. Den Brief sandte er durch einen besondern Boten ab. –

Frühling.
Nach einer Zeichnung von Marie Laux.


Am Nachmittag desselben Tages, während sich Ewald mit seinem Vater auf dem Felde befand, um Roggen zu schneiden, sammelte sich die Jugend des Dorfes um die gräfliche Kutsche, welche von der Klause zum Gehöft des Lotsenkommandanten hinüberfuhr. Mutter Monk hatte gerade mit der Lehrersfrau ihre Ansichten über die Kartoffelernte ausgetauscht, als der Wagen in Sicht kam. – Beim Anblick ihres Schwiegersohnes, welcher stolz die Kutsche lenkte, gerieth sie ist neugierige Aufregung. „Na, Jehann,“ rief sie und lief zu dem Wagen hin, „wo geiht et? Wo hast Du Dine Gnädige?“

„Afladen – vor Ewalds Klause.“

Die Alte schlug vor Verwunderung die Hände zusammen, dann forschte sie nach, was wohl die Frau Gräfin im Hause ihres Sohnes zu suchen habe.

Ueber das dicke Gesicht des Kutschers breitete sich ein überlegenes Lächeln. Er brachte sein Gespann stolzer Apfelschimmel zum Stehen und antwortete dann in gespreiztem Tone: „So’ne hochen Heschaften hebben absonderliche Kapriolen.“ Er erklärte sich außer stande, über die wahren Absichten seiner Herrin Aufschluß zu geben, neigte indessen der Ansicht zu, daß es sich um einen Besuch beim Musikanten handle. Wahrscheinlich wolle ihn die Gräfin mit sich aufs Schloß nehmen, damit er ihr etwas vorspiele.

Frau Monk schüttelte den Kopf und murmelte: „Dat is ja ganz unmäuglich, dat uns’ gnä’ge Gräfin mit so’n Fiedler Umständ’ mackt.“

„Je, je, hoche Heschaften sünd tauweilen wunnerlick.“

Nach diesem Ausspruch erhob der Kutscher die Peitsche und fuhr dem Wagenschuppen zu, der sich ans Landhaus des Kommandanten anschloß. Frau Monk aber eilte zur Klause, sie mußte sofort ergründen, was die Gräfin, welche als Besitzerin einer großen Herrschaft und mehrerer Millionen ein wahrhaft fürstliches Ansehen in Massow genoß, unter dem Dache ihres Sohnes zu schaffen habe. Eine Begegnung mit Kathrein Bräuning, der sie in aller Eile über die wunderbare Begebenheit Bericht erstatten mußte, verzögerte die Erreichung ihres Ziels. Die Nachbarin legte ein ebenso großes Interesse für den hohen Besuch an den Tag wie Frau Monk und schloß sich dieser an, um das Neueste gleich aus erster Quelle zu erfahren.

Der Respekt vor der Gräfin verbot den beiden Weibern mit der Thür ins Haus zu fallen; sie umschlichen daher vom Garten her die Klause, und als sie nach einer Weile Musik vernahmen, zogen sie die Holzschuhe von den Füßen und stiegen leise und vorsichtig zur Veranda hinauf, von der sie durchs offene Fenster vorsichtig ins Innere des Salons blicken konnten.

Das Bild, welches sich ihnen bot, war überraschend freundlich und anmuthig. Bettina saß am Flügel und spielte die Begleitung zu einem Stücke, welches Rott auf der Geige vortrug.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 245. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_245.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)