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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Zu Anfang des Monats September traf Bettina heimlich Anstalten, um Massow für immer zu verlassen. Sie gedachte, nichts mit sich zu nehmen, als Kleider und Wäsche und einige Andenken an die glückliche Zeit ihrer Jugend. Diese Dinge fanden in einem Koffer Platze, ihre ganze übrige Habe wollte sie Ewald zurücklassen. An dem Morgen, an welchem sie ein Billet von Rott empfangen hatte mit der Aufforderung, sich für den nächsten Tag zur Flucht bereit zu halten, brütete die Sonne heiß über Land und Meer. Die Luft war schwül und unbewegt, am Himmel zeigte sich kein Wölkchen. Bettina rang nach Athem, als sie aus ihrem Zimmer trat, um Ewald aufzusuchen Sie hatte während der letzten Zeit kein Wort mit ihm gewechselt. Nun pochte ihr das Herz, als sie seinen kurzgeschorenen Kopf auf der Veranda sah. Er saß vor einem Bogen Papier und schrieb. Die ungewohnte Arbeit mochte ihm wohl sauer geworden sein, denn als er Bettinas ansichtig wurde, legte er seufzend die Feder nieder und wischte sich mit dem Handrücken die Schweißtropfen von der Stirne.

„Ewald,“ sagte Bettina, und ihre Stimme klang mild und flehend, „ich komme noch einmal zu Dir mit der Bitte: gieb mich frei! Laß uns in Frieden scheiden!“

Er blickte in ihr edles, blasses Gesicht, und bei dem Gedanken, daß dies Weib ihn verlassen wolle, krampfte sich sein Herz zusammen. Es dauerte eine Weile, bevor er sich zur Antwort aufraffte. „Laß uns ins Zimmer treten,“ sagte er endlich und erhob sich, „es braucht niemand zu erfahren, was zwischen uns vorgeht.“

Als sie sich in dem schattigen Raume gegenüberstanden, deutete Ewald auf die Stelle, die einst der Flügel eingenommen hatte, und bemerkte: „Ich wollte Dir das da ersetzen – der Schulmeister meinte, man könne in Berlin billige Klaviere auf Abzahlung erhalten, und er verschaffte mir die Adresse eines Fabrikanten. Ich wollte eben an den Mann schreiben ...“

„Bemühe Dich nicht, Ewald! Es freut mich, daß Du in versöhnlicher Stimmung bist, allein Dein Entschluß, die letzte der mir zugefügten Kränkungen zu sühnen, kommt zu spät. Wie ich Dir schon einmal sagte, gehöre ich nicht mehr mir selber an und ich maß elend zu Grunde gehen, wenn Du mich zwingst, hier in Massow auszuharren.“

„In Massow auszuharren?“ wiederholte der Lotse, und seine Hoffnung flackerte neu auf, „dazu will ich Dich nicht zwingen. Wenn Dir der Ort zu einsam oder meine Verwandtschaft zu unbequem ist, so verkaufen wir das Haus und ziehen weg, um anderswo ein neues Leben zu beginnen.“

„Auch dazu ist es leider zu spät,“ entgegnete sie unsicher; sie gehörte zu den weichen Naturen, welche einer Bitte schwer widerstehen können und ihre volle Kraft nur ungerechter Kränkung gegenüber finden. „Sieh, Ewald,“ fuhr sie in gepreßtem Tone fort, „Du hättest es leicht gehabt, mich mit unzerreißbaren Banden an Dich zu fesseln – ein wenig Güte, nur halb soviel Rücksicht auf meine Wünsche und Neigungen, als ich den Deinigen erwies, und was ich während unsrer Verlobungszeit für Dich empfand, hätte zur unbesieglichen Liebe werden müssen. Du hast auf meine Gefühle nicht geachtet, hast mir gezeigt, daß Du Deine Befriedigung außer dem Hause finden könnest, hast mich um leidiger Vorurtheile willen Eltern und Nachbarn gegenüber preisgegeben. Ich sage das ohne jeden Groll, Ewald, sage es nur, weil ich gezwungen bin, mich zu vertheidigen. Ich will Dich nicht kränken ...“

„Ich weiß das,“ entgegnete Ewald, und ein Abglanz jener Treuherzigkeit, welche Bettina während der ersten Begegnungen mit ihm so sehr bestochen hatte, lag wieder auf seinen Zügen. „Du bist gut, das hab’ ich stets gewußt; ich sehe auch ein, daß Deine Klagen berechtigt sind. Und doch hatte ich den redlichen Willen, Dich glücklich zu machen – weiß der Henker, was alles dazwischen kam, um es zu hindern. Jetzt, wo ich zurückblicke, scheint es mir fast, als hätten böse Geister ihren Spuk mit uns getrieben. Denn wenn zwei Menschen sich gut sind und sie kommen trotzdem nicht zu Fried’ und Eintracht, so muß man wohl annehmen, die Geschichte geht nicht mit rechten Dingen zu.“

Ueber Bettinas Gesicht flog ein mattes Lächeln, dann erwiderte sie herzlicher: „Die Hindernisse lagen in der Verschiedenheit unsres Charakters, unsrer Bildung und unsrer Lebensanschauung. Ich beging den schweren Fehler, das zu übersehen.“

„Mag sein, mag sein!“ entgegnete Ewald und rieb sich die Stirne, als wollte er die wirren Gedanken ordnen. „Aber jetzt, da wir das alles wissen und einsehen, könnten wir ...“ das Wort erstarb ihm auf der Lippe und er warf im Gefühl seiner Hilflosigkeit einen bittenden Blick auf Bettina.

Diese rang in peinlicher Erregung die Hände. „Zu spät, zu spät! Ich bin nicht mehr mein eigen,“ rief sie. „Du weißt es, wie heftig ich mich gegen die Aufnahme von Rott sträubte, denn die Ahnung von dem, was kommen würde, fiel in meine Seele. Du hörtest nicht auf mich, hattest nur den Vortheil im Auge. Da glaubte ich mich von Dir aufgegeben und in mir erwachte die brennende Sehnsucht nach geistigem Leben, nach einem warmfühlenden Menschenherzen. Und Rott verstand meine Wünsche, errieth meine Gedanken, als ob er mein Inneres durchschauen könne ... Dazu kam die Musik – Du ahnst nicht, Ewald, welche Gewalt in den Tönen liegt. So überraschte uns die Liebe wie die Frühlingssonne die schlafende Erde, sie war da, bevor mein Gewissen sich regte, sie verwandelte diesen öden Fleck Erde in einen Zaubergarten, sie durchglühte und entflammte mein ganzes Wesen. Vergebens sträubte sich meine Vernunft gegen ihre Gewalt, vergebens klammerte ich mich an die Pflicht – das Gefühl in meinem Herzen war übermächtig. Und so kam’s, daß – –“

„Daß die Leute im Dorfe heute von mir wie von einem Gebrandmarkten reden,“ warf Ewald mit großer Bitterkeit ein. „Daß Euer Glück meine Schande werden müsse, daran habt Ihr nicht gedacht. Was ist Euch feinen Leuten auch an einem armen Teufel von Seemann gelegen!“

„Ewald, Du hast kein Recht, so niedrig von mir zu denken!“ rief Bettina und ihre blassen Wangen rötheten sich, ihre Augen flammten. „Ich kann Dir frei in die Augen sehen, meine Ehre ist rein. Boshafter Verläumdung kann freilich niemand entgehen. Noch einmal bitte ich Dich, laß mich meines Weges ziehen!“

Des Lotsen Blicke hafteten auf ihrer rührenden Gestalt und ein wilder Aufruhr durchtobte sein Inneres, daß er sie einem andern lassen sollte. Mit rauher Stimme und heftig abwehrender Gebärde antwortete er: „Ich kann es nicht – kann es nicht!“

„So zwingst Du mich, Dich heimlich zu verlassen?“

„Wenn Du das wagst, dann mag er sich in acht nehmen, Dein Musikant! Ich verfolge und finde ihn, und dann – geht einer von uns beiden aus der Welt, er oder ich.“

Bettina starrte den Gatten mit großen, erschrockenen Augen an, dann wandte sie sich von ihm ab und schritt langsam dem Ausgang zu. Noch hatte sie die Schwelle nicht erreicht, da rang sich ein Schrei der Verzweiflung aus ihrer Brust. Hastig umkehrend, warf sie sich vor Ewald nieder und umfaßte dessen Knie. Die Thränen, welche sie bisher gewaltsam zurückgehalten hatte, flutheten jetzt heiß über ihre Wangen. „O, sei nicht so wild, so grausam! Ich habe an Dich geglaubt, Ewald, an Dein gutes Herz, habe Dir jahrelang gedient mit der ganzen Hingebung des Weibes ... Du kannst mich nicht vernichten wollen! Und ich müßte verzweifeln, wenn einer von Euch beiden den andern mordete um meinetwillen. – Ewald, sieh, ich hatte die redliche Absicht, Dich zu beglücken, aber das Glück floh unsre Schwelle – es war nicht meine Schuld. So sei menschlich um der Liebe willen, die Du einst zu mir empfunden hast, treibe mich nicht zum Wahnsinn und laß mich frei!“

Ihre Klagen verstummten, aber ihre Thränen versiegten nicht und ihr Körper bebte wie im Fieber. Und in Ewalds Brust verwandelte sich der Zorn in Mitleid. Dem Gefühl des Erbarmens nachgebend, beugte er sich zu ihr nieder und stotterte: „Nicht so ... steh’ auf, Betty! Ich bin kein Unmensch, wahrhaftig nicht. Unglücklich sollst Du bei mir nicht werden – geh’, wohin Dein Herz Dich treibt! Ich will Dir’s nicht nachtragen, daß Du mich verlassen hast. Geh’!“

Er half ihr in einen Sessel, und als sie die thränenfeuchten Blicke auf ihn richtete und einige Worte des Dankes stammelte, drohte ihn die innere Bewegung zu übermannen; rasch verließ er das Haus und ging zum Strande hinunter.

Meer und Luft waren unbewegt, die fernen Ufer des Festlands umsäumte ein bläulicher Dunst. Die Schwüle des Tages lastete schwer auf Ewald; er wußte nicht, was in ihm vorging, er fühlte nur das Bedürfniß, in heulendem Sturme und tosender

Brandung allein zu sein auf dem Meere und sein Leben in die

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