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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Amtsstube. Wer mit Frau Cäcilia, die der Vogt seine „gestrenge Hausehre“ zu nennen pflegte, nur einmal in seinem Leben zu schaffen hatte, der begriff auch wohl, daß Herr Schluttemann täglich zum mindesten fünf geschlagene Stunden im Kellerstüblein des Klosters sitzen mußte, um sein Hauskreuz zu vergessen. Das gelang ihm nur, wenn er nach der zehnten Bitsche in eine Stimmung gerieth, in welcher er alles vergaß, überhaupt alles, und ganz besonders das Nachhausegehen. Pünktlich mit sinkender Nacht schickte Frau Cäcilia die Knechte. Mit dem Herrn Vogt war um diese späte Stunde nicht mehr zu reden. Das heißt, Frau Cäcilia redete wohl – Anselmus aber hörte nicht. Doch was der folgende Morgen brachte, das war so Tag um Tag die Ursache zu Herrn Schluttemanns übler Laune. Zwischen dem Erwachen und der Morgensuppe war Frau Cäcilia unbesiegbar. Und so mußten es die Klosterbauern und Salzkäufer in der Amtsstube büßen, daß des Herrn Vogtes „gestrenge Hausehre“ voll Haaren einen ganzen Urwald, nicht auf dem edlen Haupte, wohl aber auf den Zähnen trug.

Kaum eine Stunde war vergangen, seit Herr Sehluttemann im Sturmschritt ... er selbst nannte diese Eile „lobesamen Diensteifers“ . . . seinem häuslichen Herd entflohen war, um sich in die Amtsstube zu retten. Da war in seiner Laune noch die erste Ofenwärme. Die Thür zitterte vom Hall seiner Stimme wie der Resonanzboden einer Brummgeige.

Haymo lauschte diesem Stubengewitter, und ihm wurde ganz bang zu Muthe. Er hatte wohl ein reines Gewissen, aber zwei gestohlene Steinböcke und dazu die Laune des Herrn Vogts, das konnte ein böses Viertelstündlein absetzen. Er stellte den Bergstock in eine Ecke und ließ sich nieder. Allein gleich wieder sprang er auf, freudig betroffen. Ihm gegenüber, schüchtern eingedrückt in einen Winkel, saß Gittli, das Körbchen mit den Schneerosen auf ihrem Schoß. Und wie schmuck sie sich aufgeputzt hatte! Das war wohl ihr Feiertagsgewand: ein blaues Röcklein mit grüner Borte, ein schwarzes Mieder, zwar ohne Silberschmuck, aber knapp und kleidsam. Wie frischgefallener Schnee war das Linnen, das die Arme und den Hals umschloß. Die schwarzen Haare waren in zwei dicke Zöpfe geflochten und gleich einem Krönlein um die Stirn gelegt. Dazu noch der im Mieder steckende Primelnstrauß, der sie mit seinen goldgelben Blüthen lieblicher schmückte, als es irgend ein blitzendes Geschmeide vermocht hätte.

Haymo ging mit raschen Schritten auf das Mädchen zu.

„Grüß’ Dich Gott, Gittli!“

Sie nickte nur und schaute lächelnd zu ihm auf.

„So gieb mir doch Deine Hand! Wir haben uns ja ewig lang nicht gesehen!“

„Ewig lang! Ich weiß gar nimmer, war’s heuer, oder war’s voriges Jahr . . . oder gar erst heute in der Früh.“ Und kichernd legte sie ihr kleines schmales Händchen in seine braune Jägerhand.

„Wie hast denn geschlafen heut’ nacht?“

„Wie ein Mankerl[1]! Aber beim Aufwachen, Du, da war’s kalt! Ich hab’ mich schier kaum zusammenklauben können aus dem Heu! Und dann bin ich gelaufen wie ein Härmlein[2], nur daß ich wieder warm geworden bin. Ja, drunten erst am See . . .“ Sie stockte. Ein halb ängstlicher, halb sinnender Ausdruck malte sich in ihren Zügen. „Gelt, Du hast ihn auch gesehen . . .“ Sie blickte scheu um sich, und ihre Stimme dämpfte sich zum Flüstern, „den selbigen, den Schwarzen? Ich bin völlig erschrocken! Du! Ich fürcht’ mich nicht so leicht . . . aber der! Ich glaub’, der kommt mir noch im Traum vor! Hast ihn angeschaut? Gelt, ein Gesicht wie ein Gestorbener!“ Ein Gruseln flog über Gittlis Schultern.

„Dirn’,“ sagte Haymo ernst, „wenn Du von mir einen Rath hören willst, dann geh’ ihm aus dem Weg, dem Schwarzen! Aber sorgen brauchst Dich nicht. Da sei Du ganz ruhig! Ich laß Dir nichts geschehen.“

Sie schaute zu ihm auf mit traulichem Blick und sagte: „Das weiß ich!“ Doch als sie den raschen Druck verspürte, mit dem er ihre Finger umschloß, befreite sie hastig, fast erschrocken ihre Hand.

Haymo wurde roth bis über die Stirn. Nach einer Weile fragte er. „Weswegen bist denn da hergekommen? Was willst denn?“

Sie saß verlegen mit gesenkten Augen, und erwiderte leise: „Die Schneerosen will ich dem Kloster bringen. Und ... und mit dem Vogt soll ich reden von meines Bruders wegen. Aber ich werde wohl noch lang verweilen müssen.“ Sie überflog mit einem Blick die Reihe der Wartenden. „Und ich sollt’ schon lang wieder daheim sein. Weißt, ich hab’ ein krankes Bäslein, und meine Schwäh’rin ist siech und kann nicht schaffen.“

„Nein, Gittli, da darfst nimmer warten! Komm’ nur!“ Er nahm sie bei der Hand, und obwohl sie sich unter stammelnden Worten sträubte, zog er sie mit sich gegen die Thür der Vogtstube. „Leut’!“ rief er die Wartenden an. „Die Dirn’ da hat zwei Kranke daheim und kann nimmer warten. Gelt, ja sie darf zuerst hinein?“

Eine Antwort bekam er nicht. Aber nur deshalb, weil im gleichen Augenblick die Thür von innen aufgerissen wurde. Drinnen sah man einen Bauern stehen, der verlegen seinen Filzhut zwischen den Fingern drehte; und vor ihm, mit weit gespreizten Beinen, stand Herr Schluttemann, der Vogt, eine derb gedrungene Gestalt in einem Koller aus braunem Hirschleder, eine steife Krause um den Hals. Wie zwei Dolche stachen die Schnauzbartspitzen aus seinem dunkelrothen Gesicht, und die borstigen Haupthaare starrten wirr durcheinander wie die Stoppeln eines Aehrenfeldes, auf dem eine Herde geweidet hat. War das etwa die Frisur, mit welcher Frau Cäcilia Herrn Schluttemann aus ihren Händen entlassen hatte?

„Wir sind fertig, Eggebauer, fertig miteinander!“ schrie der Vogt und schüttelte den Kopf wie ein Roß, das nimmer ziehen will. „Ihr seht, da warten die Leute. Ich habe noch mehr zu thun, als mit Euch zu hecheln. Weiter! Weiter! Die Thür steht offen, und ich kann den Zug nicht leiden.“

„Herr Vogt,“ stotterte der Bauer, „wenn ich den Acker schon nimmer haben soll, dann habt doch Erbarmen mit meinem armen Weib und . . .“

„Euer Weib hat die Krapfenkrankheit!“ donnerte Herr Schluttemann. „Mit drei Ellen um den Bauch herum hab’ ich kein Erbarmen! Euer Weib soll die Schmalznudeln und den Meth lassen, soll Schlappermilch essen und Schwarzbrot, dann braucht sie kein Bibergail und kein Herzkreuzl vom Steinbock. Das sind Medikamenta für andere Leute! Punktum!“

Der Eggebauer stand vor der Thür, er wußte nicht wie; es war ihm nur einen Augemblick so vorgekommen, als hätte ihn Herr Schluttemann beim Kragen gefaßt. Und während der Bauer wie ein begossener Pudel dem Ausgang zutrollte, hatte der Vogt schon ein neues Opfer seiner Laune gefunden: den Jäger.

„Soooo?“ gröhlte Herr Schluttemann und machte, denn er wollte höhnisch sein, eine tiefe Reverenz. „Belieben schon da zu sein?“

„Ja, Herr Vogt,“ sagte Haymo und schob das Mädchen, das an allen Gliedern zitterte und mit jedem Athemzug die Farbe wechselte„ vor sich hin. „Aber da ist eine Dirn’ . . .“

„Natürlich!“ Herr Schluttemann machte mit ausgebreiteten Armen eine noch tiefere Reverenz. „Seine fürstlichen Gnaden von der Wildschur belieben sich in der Klosterküche festzupflanzen. Der Vogt kann ja warten! Natürlich! Da muß man erst Pastetlein speisen, Saibling’ und Forellen!“

„Nein, Herr Vogt,“ sagte Haymo lächelnd, „es war Hecht und Biberschwanz. Aber da ist eine Dirn’ . . .“

Herr Schluttemann stutzte und richtete sich straff in die Höhe. „Biberschwanz?“ wiederholte er, und sein ganzes Wesen war auf einen Streich verwandelt; im freundlichsten Ton der Neugier fragte er: „Heute giebt’s Biberschwanz?“

„Ja, Herr Vogt! Aber da ist eine Dirn’ . . .“

„Dirn’! Dirn’!“ Herr Schluttemann hatte sich wiedergefunden. Er schnaubte und zeigte das Weiße im Auge. Gittlis lieblicher Anblick rührte ihn nicht; er hatte ja ein Theilchen von jener Hälfte des menschlichen Geschlechtes vor sich, zu welcher Frau Cäcilia gehörte! und das war Ursache genug für den Ton, in dem er Gittli anschnauzte: „Was will das Weibsbild?“

Gittli rührte die Lippen, aber sie brachte keinen Laut aus der Kehle.

„Also? Wird’s bald? Was will man?“

  1. Murmelthier.
  2. Wiesel.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_262.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2021)