Seite:Die Gartenlaube (1892) 266.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Seht das arme Ding nur an, es giebt kein Tröpflein Blut und zittert am ganzen Leibe.“

Das rothe Gesicht des Herrn Schluttemann schwoll wie der Kamm eines gereizten Gockels. „Bitte, in aller Weisheit zu bedenken, Reverendissime,“ sagte er in einem Latein, bei dessen bedenklichem Klang Herr Heinrich nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte, „bitte zu bedenken, daß man den Leuten die Fuchtel zeigen muß. Sonst ist man verloren und betrogen alle Stund’!“

„Auch ich liebe die falsche Milde nicht. Allein auch Strenge muß geübt werden mit Maß und Ziel!“ Herr Heinrich musterte Gittli mit einem ruhigen Blick … sie erbebte vor dem dunklen Glanz dieser Augen wie Espenlaub im Abendwinde und duckte sich und zog das Köpfchen ein, als möchte sie sich so klein machen wie ein Mäuschen. Herr Schluttemann wollte sprechen, der Propst aber winkte ihm zu schweigen und sagte, immer noch in lateinischer Sprache: „Der Bruder dieses Dirnleins ist der Sudmann Wolfratus? Ich kenne den Mann, er hat ein furchtloses muthiges Herz. Als wir das letzte Mal unter den Wänden des Watzmann jagten, holte er einen weidwunden Steinbock von der schwindelnden Wand herunter, die kein andrer zu betreten wagte. Forschet nach, Herr Vogt, ob das Mägdlein die Wahrheit gesprochen bat! Trifft den Mann kein Verschulden, dann soll ihm das Lehent erlassen sein für dieses Jahr. Höret Ihr aber, daß dieser Wolfratus ein Säufer ist und ein Würfelspielcr, dann büßet ihn mit aller Strenge! Und jetzt schicket das Dirnlein heim und lasset den Jäger kommen.“ Herr Heinrich wandte sich zum Fenster, von welchem aus man einen herrlichen Blick genoß über Thal und Berge.

Zitternd und bangend war Gittli die ganze Zeit gestanden; der Klang der fremden Sprache hatte sie noch mehr verwirrt, noch ängstlicher gemacht; ihr furchtsam lauschendes Ohr hatte unter den ihr unverständlichen Lauten zweimal den Namen ihres Bruders aufgefangen, und nach den bärbeißigen Drohungen, die Herr Schluttemann ausgestoßen, glaubte nun das arme Ding nicht anders, als daß mit dieser lateinischen Zwiesprach’ ihres Bruders Schicksal und Strafe beredet wurden und beschlossen wäre: zahlen … oder das Lehen verlieren und verjagt werden von Haus und Hof. Ihre Angen wurden heiß, aber sie konnte nicht mehr weinen; an ihrer Kehle würgte die Angst, und ihr war, als stünde sie versteinert am ganzen Leib und vermöchte keinen Finger mehr zu rühren. Sie wich auch keinen Schritt zurück, als Herr Schluttemann jetzt mit dunkelrothem Gesicht und rollenden Augen auf sie zugeschossen kam; nur ihre thränenfeuchten Lider öffneten sich noch weiter, und ihre Lippen zuckten.

„Marsch jetzt, fort mit Dir!“ knurrte der Vogt, welcher trotz der Vermahnung, die ihm geworden war, seiner Würde nichts vergeben wollte. „Und sage Deinem Bruder, wenn er nicht kommt am Ostermontag, dann schick’ ich die Knechte!“ Da sich Gittli noch immer nicht rührte, versetzte ihr Herr Schluttemann einen gelinden, durchaus nicht ernst gemeinten Puff; sie zuckte aber doch zusammen, als wäre das Richtschwert über ihr geschwungen worden. Wortlos wandte sie sich um und schlich der Thür zu, Schrittlein um Schrittlein. Dieser Abschied währte Herrn Schluttemann zu lange, er faßte Gittli am Arm, schob sie hurtig vor sich her, und da die lateinische Lektion, die er empfangen, sein Wohlwollen für den Sudmann Wolfratus gerade nicht gemehrt hatte, konnte er sich nicht enthalten, dem Mädchen noch ins Ohr zu brummen: „Und sag’ ihm nur, daß ich einstweilen meinen Stecken in Salzwasser legen will, damit er besser pfeift … huitt!“ Das war nun freilich wieder nicht gar so schreckhaft gemeint; denn in Wahrheit hatte Herr Schluttemann bis zur Stunde noch kein lebendes Wesen geprügelt, nur Tote: nämlich die „Schwarzreiter“, die geräucherten Saiblinge, welche geklopft werden mußten, bevor man ihnen die rauchgeschwärzte Haut vom rosigen Fleische zog.

Aber Gittli sah und hörte mit den Augen und Ohren eines Kindes, und was sie hörte, jagte ihr den Schreck in alle Glieder, und was sie sah, war trostlose Finsterniß. Noch ein Puff, und sie stand vor der Thür.

Haymo, der draußen gelauert hatte wie der Teckel vor dem Dachsbau, trat ihr hastig entgegen.

„Bist schon fertig, Gittli? Und hast Du …?“ Da sah er ihr verstörtes, thränennasses Gesicht und ihre kummervollen Augen. Das ging ihm ins Herz wie ein Messerstich, und über seine Lippen fuhr es mit erschrockenem Laut: „Gittli! Was ist Dir?“

Sie schüttelte nur traurig das Köpfchen und entwand sich seinen Händen.

„Gittli!“ stammelte er und wollte ihr Nacheilen; aber da klang aus der Amtsstube die Stimme des Herrn Schluttemann: „Haymo! Wo steckst Du denn? Herr Heinrich wartet!“

Einen Blick noch, heiß und sorgenvoll, warf Haymo dem Mädchen nach; dann wandte er sich aufseufzend der Thür zu, zog die Kappe und trat zögernd ein.




6.

Als Gittli ins Freie trat, that ihr der helle Glanz der Sonne in den Augen weh. Und so müde war sie, so zerschlagen an allen Gliedern, daß sie sich eine Weile an die Mauer lehnen mußte. Dann raffte sie sich auf, trocknete das nasse Gesicht mit den Armen und floh davon wie ein gescheuchtes Reh, über den Marktplatz, den Klosterberg hinunter und dem Sudhaus entgegen. Vor dem Thor aber hielt sie stille und besann sich. Nein! Weshalb es dem Bruder jetzt schon sagen? Sie wollte ihm den Kummer ersparen bis zum Abend; er erfuhr ja noch immer frühe genug, was ihm drohte.

Ueber die Brücke eilte sie einem Sträßlein zu, welches, bachaufwärts, am Ufer der rauschenden Albe dahinführte. Nach kurzer Weile gelangte sie zu einem umhegten Garten, in dessen Mitte, von kümmerlichen Obstbäumen umgeben, ein kleines armseliges Häuschen stand. Zwei enge Stübchen, ein schmaler Raum, welcher Flur und Küche zugleich war, und ein kleiner Schuppen – mehr hatte das bemooste Schindeldach vor Sturm und Regen nicht zu schützen. Das Haus mit dem Garten war Klostergut, welches Wolfrat Polzer, der Sudmann, seit zehn Jahren zu Lehen hatte. Seine Heimath war ein niederbayerisches Dorf; als fünfzehnjähriger Bursche war er von Hause weggelaufen, der eisernen Haube zulieb. Das Kriegshandwerk hatte ihn tüchtig umher geworfen, von Burg zu Burg, von Stadt zu Stadt. Zuletzt hatte er bei der reisigen Schar des Erzbischofs von Salzburg gestanden und unter dem Heerbann Friedrichs des Schönen die Schlacht bei Ampfing[1] mitgeschlagen. Dann war er des Hauens und Stechens müde geworden und in die Heimath zurückgekehrt. Während des gleichen Jahres noch hatte er in einer Seuche, welche nach all dem Brennen und Morden das Land heimsuchte, den Vater und die Mutter an einem Tag verloren; da führte ihm der Zufall einen Salzkärrner in den Weg, der im Auftrag des entlegenen Klosters gesunde und kräftige Leute für das Salzwerk zu werben hatte. Wolfrat ließ sich bereden, und auf dem Salzkarren traf er in Berchtesgaden ein; doch kam er nicht allein; er brachte die fünfjährige Schwester mit, und zumeist um dieses Kindes willen geschah es, daß Wolfrat das erste freie Lehen erhielt. Unter den Sacknäherinnen des Salzhauses fand er ein verwaistes Mädchen, das dem finsteren, verschlossenen Mann gut wurde; er hatte sie einmal vor Mißhandlung geschützt, als ihr ein fremder Fuhrmann das allzu schlagfertige Nein, das sie auf eine zudringliche Frage zur Antwort gegeben, mit der Peitsche vergelten wollte. Ein Jahr später wurden sie Mann und Weib. Sie fingen zu Dreien an, Wolfrat, Sepha und Gittli, hielten fest zusammen und waren mit ihrem kargen, stillen Los zufrieden; erst kam ein Knabe, darauf ein Mädchen, und dann kamen Krankheit, Sorgen und Noth. In diesen schlimmen Zeiten wurde Gittli der gute Geist des kleinen Hauses; ihr sanftes Wesen milderte den verdrossenen Groll des Bruders, ihr herzlicher Frohsinn tröstete und erheiterte das kranke Weib, und bei ihren fünfzehn Jahren schaffte sie wie eine Alte, damit die kümmerliche Wirthschaft nicht ganz zerfiel, und sorgte mit so hingebender Liebe für die beiden Kleinen, daß die Kinder fast zärtlicher an ihr als an der Mutter hingen.

Von dem Gang, den sie ins Kloster gethan, brachte sie ein recht schweres Herz mit heim. Doch als sie am geflochtenen Gartenhag das hölzerne Thürchen öffnete, wurde der große Kummer, der sie bedrückte, gemildert und verdrängt durch die Sorge im kleinen. Mit forschenden Angen schaute sie umher; hier schien alles in bester Ordnung; die sieben Hennen stolzierten

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 266. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_266.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)
  1. Am 28. Sept. 1322.