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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

über den Rasen, scharrten glucksend in den Maulwurfshügeln und schüttelten das Gefieder in der Sonne; friedlich grasten die beiden Ziegen im Bogen um die Bäume, an welche sie mit langen Stricken gebunden waren. Jetzt gewahrte sie im Gras ein ploderndes Hemdlein, aus welchem zwei in der Luft schlenkernde Beinchen hervorragten; ein fünfjähriger blonder Knabe lag bäuchlings auf den Rasen gestreckt und grub und wühlte mit beiden Händchen in der schwarzen Erde, als gält’ es, einen Schatz ans Tageslicht zu fördern.

„Ja Lippele,“ rief Gittli, „ja was machst denn da?“

„Mausi fangen!“ flüsterte der kleine Maulwurfsjäger geheimnißvoll und wollte sein Graben und Wühlen von neuem beginnen.

Gittli aber zankte: „Ja bist denn gescheit? Da hinliegen auf den kalten Boden! Gleich stehst auf!“

Lippele erhob sich schmollend, und da schlug das Mädchen entsetzt die Hände ineinander.

„Ja Lippele! Aber, aber! Wie schaust denn aus! Ja schau Dich nur an! Sooo! Da wird die Dittibas’ gleich weinen!“ Dittibas’ . . . diesen Namen hatte der lallende Kindermund erfunden, der es nicht fertig brachte, „Base Gittli“ zu sagen.

Die Dittibas’ wird weinen! Das war für Lippele die wirksamste aller Drohungen. Er verzog das Mäulchen zu einem Pfännlein, streckte die Aermchen mit gespreizten Fingern auseinander und schaute mit starren Augen an sich hinunter. Dem langen Hemdlein, welches sein ganzes Gewand war, hätte es der schärfste Blick nicht mehr angesehen, daß es Gittli am Morgen weiß und frisch aus der Truhe genommen hatte. Und diese Hände! Und ein Gesicht dazu, als hätte Lippele den Versuch gemacht, die Maus mit den Zähnen aus der Erde herauszubeißen!

„O mein Gott, mein Gott!“ jammerte Gittli. „Gelt? Jetzt schaust? Jaaa! Und die Dittibas’ kann morgen wieder am Wasser stehen und Pfaidi[1] waschen! Gleich sagst es jetzt: was bist Du für ein Bubi?“

„Suggibubi!“ bekannte Lippele mit rühmenswerther Selbsterkenntniß, während seine Augen sich nit Thränen füllten.

„Gelt, ja!“ pflichtete Gittli bei, faßte das Bürschlein am Ellbogen und ging der offenen Hausthür zu, so rasch, daß Lippele mit Hopfen und Stolpern kaum nachzukommen vermochte.

Es war eine ärmliche Stube, welche sie betrat, mit dem dürftigsten bäuerlichen Hausrath bestellt; aber alles sauber in stand gehalten. Tisch und Bänke blank gescheuert. Hinter dem weißgetünchten Lehmofen stand das große Doppelbett, und in dem Winkel zwischen Bett und Mauer ruhte Sepha, das Weib des Sudmannes, in einem aus Weidenruthen geflochtenen Lehnstuhl. Sie schien zu frieren, denn ein dickes Tuch war um ihre Schultern geschlungen und eine Lodendecke über den Schoß gebreitet. Das blonde Haar war gelöst und hing in dünnen, mattschimmernden Strähnen um das bleiche, verkümmerte Gesicht mit den stillen, krankhaft glänzenden Augen. An ihrer Haltung sah man die Schwäche; ganz zerfallen lag sie zwischen den Lehnen des Stuhles, den ihr Wolfrat an einem freien Tag geflochten hatte, da ihr das Liegen so schlecht bekam.

Eine Kranke als Krankenwärterin! In den mit grober Leinwand bezogenen Kissen des Bettes lag ein dreijähriges Mädchen; in üppigen Ringeln floß das goldblonde Haar rings um das kleine süße Gesichtchen, dessen Wangen in fieberhafter Röthe brannten. Die dünnen, zitternden Fingerchen spielten über der Bettdecke mit den schon halb verwelkten Primeln und Veilchen, welche Gittli dem Kinde gebracht hatte, bevor sie das Haus verließ.

Und als das Mädchen nun die Thür öffnete, leuchteten die Augen des Kindes freudig auf. „Dittibas’!“ lispelte es und streckte ihr die Aermchen entgegen.

„Ja, mein Mimmidatzi, ich komm’ schon!“ sagte Gittli mit zärtlichem Lächeln und Nicken. Sie stellte den kleinen Verbrecher, den sie gefangen herbeigeführt, mitten in die Stube. „Schau nur, Schwäh'rin, wie das Bürschlein wieder ausschaut!“

Ueber Sephas Züge flog ein mattes Lächeln. Und als der kleine Schlingel gewahrte, daß sein Aussehen die Mutter nicht schelten, sondern lachen machte, schrie er jauchzend auf, als hätte er eine stolze Heldenthat zu verkünden, und wie eine toll gewordene Hummel surrte er tanzend durch die Stube.

Gittli hatte sich auf das Bett gesetzt; sie hielt das Kind umfangen, das ihren Hals mit seinen dünnen Aermchen fest umklammerte, so aneinander geschmiegt, Wange an Wange gelehnt, wiegten sie sich hin und her, und die Kleine sang dazu mit schmeichelnden Lauten.

Durch das niedere Fenster fiel ein leuchtender Sonnenstrahl, der in dem trüben Raume tausend fliegende Stäubchen flimmern machte. Wollte nach hartem Winter der Frühling nun auch Einkehr halten unter diesem Dach? An der Zeit wär’ es wohl gewesen! . . .

Gittli machte sich an die Arbeit. In ihrer kleinen Kammer vertauschte sie das „gute“ Gewand mit ihrem abgetragenen rothen Röcklein. Erst las sie draußen im Garten die den Hühnern ausgefallenen Federn zusammen, damit das kranke Kind eine neue Kurzweil hätte. Dann kam Lippele in die Kur. Gittli kniete auf den Dielen, neben sich eine kleine Holzwanne mit kaltem Bachwaser; mit einem linnenen Lappen bearbeitete sie dem kleinen Burschen Gesicht und Hände, daß ihm die Haut zu glühen begann. Ließ er nur einen Muckser hören, dann hieß es gleich: „Schön brav sein, Lippele, oder die Dittibas’ thut weinen!“

Sepha schaute ihr eine Weile schweigend zu; dann sagte sie: „Hast den Herrn Vogt daheim gefunden?“

„Ja freilich.“

„Ist er gut mit Dir gewesen? Und . . . hat er eine Freid’ gehabt mit den Röserln?“

„,Das glaub’ ich!“ sagte Gittli, während sie sich tief über die Wanne beugte, um den Lappen auszuringen. „Ah, ah, hat er gesagt, die sind aber schön! Ja, Du . . . so schöne hab’ ich schon bald nicht gesehen, hat er gesagt! Komm her, Lippele!“

„So? So? . . . Umd was hast denn sonst noch mit ihm geredet?“

„So halt . . . wie man halt redet . . . von allerhand . . . ja! Aber weißt, gar lang hab’ ich mich ja nicht verhalten dürfen! Was da die Leut’ warten . . . einer am andern!“

Eine Weile war Stille; dann wieder sagte Sepha, mit scheuem Klang in der Stimme: „Geh’, sag’ mir’s, Gittli . . . hast sonst gar nichts zu schaffen gehabt beim Herrn Vogt?“

„Ja was denn?“ fragte Gittli und schüttelte den Kopf.

„Ich mein’ halt so . . .“ Sepha athmete schwer. „Gittli . . . sag’ mir’s . . . hat der Polzer das Lehent schon beisammen?“

„Aber freilich!“ lachte Gittli, doch mit abgewandtem Gesicht, denn sie fühlte, daß sie roth wurde bis über die Stirn.

„Gott sei Dank!“ Und ein befreiender Seufzer löste sich aus Sephas Brust.

Lippeles Kur war beendigt; er wurde noch in sein starrendes Lederhöschen gesteckt wie die Grille in ihr Häuschen; und dann hieß es: „So, Lippele, brav – jetzt bist aber wieder schön!“ Er bekam einen Kuß, als Dreingabe noch einen Klaps und sprang zur Thür hinaus, um die Verwandlung in seinen Urzustand mit frischem Eifer zu beginnen.

Gittli trug die Wanne aus der Stube. Draußen blieb sie schwer athmend stehen und schüttelte in rathlosem Kummer ihr Sorgenköpfchen.

Nun mußte sie die bescheidene Mahlzeit herrichten. Hinter dem Haus lag ein mächtiger Stoß dürren Holzes; den hatte Gittli während des Winters zusammengetragen; hier stand sie jetzt und zerbrach über dem Knie die morschen Aeste; immer wieder ließ sie die Hände sinken und starrte vor sich hin. Wie sollte sie es dem Bruder sagen, wenn er heimkam nach Feierabend? Und wenn er es wußte ... wo sollte er Hilfe finden? Da schoß ihr eine heiße Welle zum Herzen. Einen wußte sie . . . der würde helfen, das hätte sie beschwören mögen ... Haymo, der Klosterjäger! Weshalb ihr gerade dieser Eine in den Sinn kam? Sie wußte keine Antwort auf diese Frage. Aber das Herz war ihr mit einmal ganz leicht geworden! Und wie glatt und einfach der Weg war! Ein einziges Wörtlein zu Haymo . . . und Haymo sprach ein Wörtlein mit Herrn Heinrich . . . und Herr Heinrich konnte doch dem Haymo nichts abschlagen! Ihr war, als sähe sie den Jäger schon daherkommen, lachend und mit beiden Armen winkend: „Gittli! Gittli! Ich hab’ mit ihm geredet, und er hat gesagt, Dein Bruder soll sich Zeit lassen mit dem Lehent und soll zahlen, wann er kann! Sorg’ Dich nimmer! Ich hab’ alles gerichtet! Gelt, weißt schon, ich laß Dir nichts geschehen!“

  1. Hemdchen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_267.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2021)