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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Proklamationen wurden erlassen, welche die Gesammtbevölkerung zur Hilfe ausriefen, ihr Muth und Vertrauen einsprachen und an den schon so oft bewährten Bürgersinn: „Alle für einen und einer für alle!“ appellierten. Die eindringliche Mahnung war nöthig, denn gegen Abend erlahmte mit den sinkenden Kräften der Muth, und der Beistand von auswärts war noch nicht zur Stelle.

An ein Löschen der brennenden Häuser durch die Spritzen war längst nicht mehr zu denken; höchstens konnte man die letzteren da, wo sich mehr Wasser in den Fleeten vorfand, für die nächsten Straßen verwenden, um vornehmlich die Decken auf den Dächern naß zu halten, aber es waren zumeist ohnmächtige Versuche. Man mußte zu schärferen und großartigeren Mitteln greifen.

Ein furchtbarer, lufterschütternder Knall, der sich von Viertelstunde zu Viertelstunde immer neu und immer gewaltiger wiederholte, verkündete, daß man begonnen hatte, die Häuser mit Pulver in die Luft zu sprengen, und zwar zunächst nach Westen hin, um den Brand von der Neustadt abzuhalten. Englische Ingenieure leiteten die Sprengungen, die nach dieser Seite hin den erwünschten Erfolg hatten; aber in der Richtung nach Nordosten war selbst dieses äußerste Mittel so gut wie vergebens.

Hier jagte der Sturm das Funken- und Gluthmeer unaufhaltsam weiter, und auf dem Burstah und an der Mühlenbrücke standen fast auf einmal über fünfzig hohe Häuser zugleich in Flammen.

Die Nacht – es war die erste, und zwei andere standen uns noch bevor! – die alle Schrecknisse und vollends Feuersgefahr doppelt schrecklich erscheinen läßt, war eine entsetzliche und spottet jeder Beschreibung. Bis auf zehn Meilen im Umkreis sah man den blutrothen Feuerschein am Himmel, und sogar Schiffer in der Nordsee, also in einer fast doppelten Entfernung, sollen ihn am Rande des Horizontes gesehen haben. Schon zählte man nicht mehr die niedergebrannten Häuser, sondern nur noch die zerstörten Straßen. Aber mit der wachsenden Noth kehrte gottlob der gesunkene Muth, bei vielen freilich der Muth der Verzweiflung, zurück, denn einige tausend Mann von der Bürgerwehr, die nicht zur öffentlichen Sicherheit nöthig waren, griffen thatkräftig mit ein.

Am Morgen des 6. Mai wurden die Alte Börse, das „Commercium“ und die Börsenhalle von den Flammen ergriffen; der „Alte Krahn“, ein cyklopischer Bau und eines der Wahrzeichen Althamburgs, lag bereits zertrümmert im Fleet, und von den brennenden Häusern an der Trostbrücke drohte dem nahen Rathhaus die unabwendbare Vernichtung.

Die Petrikirche in Flammen.

Das schöne mittelalterliche Gebäude, in welchem die Väter der berühmten Hansestadt ein halbes Jahrtausend in Freud’ und Leid getagt, wurde in die Luft gesprengt, aber die steinernen Kaiserbilder der Hauptfassade blieben unversehrt und wurden glücklich geborgen, um jetzt, nach fünfzig Jahren, das im Bau begriffene neue Rathhaus zu schmücken.

In langem feierlichen Zuge verließen Bürgermeister und Senatoren ihr ehrwürdiges Heim, schmerzerfüllt, aber ungebeugt, und auf ihrem schweren Gange allen Trostesworte zusprechend und die Hoffnung neu belebend. Sie zogen nach Westen in das große städtische Waisenhaus, wo sie ihre Sitzungen fortsetzten und sich bis zum Bau eines neuen Rathhauses dauernd einrichteten.

Der Fall des Rathhauses hatte den der Bank nach sich gezogen, aber die wichtigen Bücher und Papiere waren beizeiten in Sicherheit gebracht und die Keller mit ihren Silberbarren im Werthe von mehr als zwölf Millionen unter Wasser gesetzt worden, so daß hier der Verlust ein verhältnißmäßig geringer war.

Hinter dem zerstörten Rathhaus lag auf dem Adolfsplatz das prächtige neue Börsengebäude, das man erst vor einigen Monaten bezogen hatte. Allgemeines Jammern und Wehklagen! Man hielt es bereits für verloren, und doch wurde es durch die übermenschlichen Anstrengungen einer Anzahl wackerer Bürger gerettet. Schwerlich wird einer dieser Ehrenmänner noch am Leben sein, denn die ganze damalige ältere Generation ist ja längst dahingestorben, aber ihr Andenken lebt noch bis auf den heutigen Tag im Gedächtniß der Hamburger fort.

Der moralische Eindruck dieser an ein Wunder grenzenden Rettung war ein außerordentlicher.

Allein wie wenn sich der Brand für das eine ihm entrissene Opfer hundertfach entschädigen wollte, wüthete er am 6. und 7. Mai und in der dazwischenliegenden Nacht mit verdoppelter Wuth fort und erlangte am Morgen des 7. Mai seine größte Ausdehnung. Man berechnete, soweit eine solche Berechnung überhaupt möglich war, daß in jener Nacht, der fürchterlichsten von allen, über dreihundert Häuser vernichtet wurden.

Zwischen dem Alten und dem Neuen Wall lag ein breites Fleet, das auch von der sogenannten Kleinen Alster mit Wasser hinreichend versorgt war, aber der Kanal war seiner ganzen Länge nach mit Hunderten von großen und kleinen Kähnen aller Art angefüllt, auf welche die Bewohner der angrenzenden Straßen sich mit ihren Habseligkeiten geflüchtet hatten. Diese Fahrzeuge wurden von dem Funkenregen, den der Sturm wie ein Feuerwerk von vielen tausend Raketen heulend vor sich her trieb, in Brand gesetzt; kaum, daß die darauf befindlichen Menschen sich an das Ufer retten konnten. Mehrere sollen dabei ertrunken oder verbrannt sein. Bald stand das ganze Fleet in Flammen, eine Viertelstunde darauf die Hinterseite des Neuen Walls, und damit war auch diese große und schöne Straße zu zwei Drittheilen verloren. Nur das Stadthaus und das Stadtpostamt blieben verschont.

Man hatte also von der Neustadt das Feuer nicht fern halten können; nicht allein die Hütten der Armen und die bescheidenen Wohnungen der Handwerker und des kleinen Gewerbestandes der Altstadt waren der Brandfackel zum Opfer gefallen, jetzt traf auch die prächtigen Häuser der Reichen und Vornehmen dasselbe schreckliche Los.

Der herrliche Alte Jungfernstieg, die auch im Ausland berühmte schönste Promenade Hamburgs mit den ersten Gasthöfen der Stadt, mit ihren Luxusläden und so manchem fürstlich ausgestatteten Palast der Kauf- und Handelsherren brannte vollständig nieder. Nur weniges konnte in der allgemeinen, alle Begriffe übersteigenden Noth und Verwirrung gerettet werden; der Verlust an Kunstschätzen und kostbarem Hausrath betrug hier allein mehrere Millionen. Aber schon bevor das Feuer die ganze Häuserreihe ergriffen, hatte man ein verzweifeltes Mittel zur Abwehr beschlossen: die letzten westlich gelegenen großartigen Gebäude, Streits Hotel und das stattliche Wohnhaus des Bankiers Salomon Heine, des reichsten Mannes von Hamburg, wurden in die Luft

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 306. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_306.jpg&oldid=- (Version vom 19.4.2024)