Seite:Die Gartenlaube (1892) 308.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

tags vorher von seinen gefährlichen Insassen geräumt worden, weshalb das Feuer nur leere Räume und nackte Wände vorfand[1]; aber der daranstoßende Holzdamm, eine neue Straße mit prächtigen Häusern war nicht zu retten und wurde gleichfalls ein Raub der Flammen.

So war nach drei fürchterlichen Tagen und Nächten der vierte Morgen angebrochen, ein Sonntag!

Das Flugfeuer der im äußersten Norden brennenden Straßen hatte allerdings noch das letzte an der dortigen Wallpromenade liegende große Stadtgefängniß, das sogenannte „Detentionshaus“, entzündet und vollständig eingeäschert, als ob der Brand noch einmal seine ganze Wuth auslassen wollte, aber dann sanken die Flammen, weil sie nichts mehr zu verzehren und zu verwüsten vorfanden. Auf der weiten Brandstätte selbst loderten sie freilich hier und da sogar noch tagelang fort.

Am Nachmittage dieses unvergeßlichen Sonntages zog einschweres Gewitter aus Südwesten herauf und sandte einen Wolkenbruch über die Stadt – wäre die köstliche Himmelsgabe nur vierundzwanzig Stunden früher gekommen! – und bald darauf stand ein heller Regenbogen im Osten: ein Friedens- und Versöhnungszeichen!

Um dieselbe Stunde erließ der Senat jene Proklamation, die noch heute im Gedächtniß aller Hamburger fortlebt.

„Freunde! Mitbürger!“ hieß es darin, „mit des Allmächtigen Hilfe und der anstrengenden Thätigkeit und der eisernen Ausdauer unserer Bürger und Angehörigen und unserer wohlwollenden Freunde und Nachbarn ist der ungeheuren Feuersbrunst Einhalt gethan ...

Unser geliebtes Hamburg ist nicht verloren, und unsere regsamen Hände werden, wenn auch allmählich und in Monaten und Jahren, das schon wieder aufzubauen wissen, was das furchtbare Element in Stunden und Tagen so hastig zerstörte.

Gott mit uns!“


Plan von Hamburg im Jahre 1842.
Der schwarz ausgefüllte Raum bezeichnet die abgebrannten Stadttheile.



Nach der schon einige Tage später vorgenommenen amtlichen Erhebung waren in 52 Straßen und Gassen 2007 Häuser vollständig niedergebrannt, 219 Häuser dergestalt beschädigt, daß über die Hälfte von ihnen abgebrochen werden mußte; gegen 33000 Einwohner waren obdachlos geworden. Der Gesammtschaden wurde rund auf hundert Millionen Mark Banko = 50 Millionen Thaler geschätzt. Der Verlust an Menschenleben konnte nicht genau angegeben werden. Von 75 aufgefundenen Leichen wurden 54 nach ihrer Persönlichkeit festgestellt, und vielleicht sind ebenso viele in den Flammen umgekommen oder von einstürzenden Mauern erschlagen worden.

Der Hafen mit den vielen tausend Schiffen aller seefahrenden Nationen der Erde blieb glücklicherweise völlig verschont: ein Hafenbrand hätte vielleicht die Zerstörung von ganz Hamburg nach sich gezogen.

Die durch das Unglück hervorgerufene Theilnahme war ebenso groß wie allgemein, zunächst in Deutschland selbst, dann in ganz Europa und sogar über Europa hinaus. Fürsten wetteiferten mit ihren Völkern in Liebesgaben. Der König von Preußen sandte 50000 Thaler und ordnete Kirchenkollekten im ganzen Lande an: ein schönes Beispiel, dem alle übrigen deutschen Herrscher folgten. Der Großherzog von Mecklenburg gab gar 100000 Thaler, und die hannoversche Ständeversammlung bewilligte eine gleiche Summe. Der Kaiser von Oesterreich, die Könige von Bayern, Württemberg und Sachsen, von Dänemark und Schweden sandten wahrhaft königliche Gaben. Der Kaiser von Rußland schickte 50000 Rubel, die kaiserliche Familie die doppelte Summe, und der Petersburger Adel ebensoviel. Die Schwesterstädte Lübeck, Bremen und Frankfurt schlossen sich hochherzig an und überboten sich gegenseitig. Aus London allein kamen gegen 40000 Pfund Sterling. Die „Kölnische Zeitung“ brachte schon am 11. Mai einen erschütternden Aufruf, der in Rheinland und Westfalen Hunderttausende eintrug. Die Pariser Bankiers schickten eine bedeutende Summe, Louis Philippe stand mit 25000 Franken an der Spitze. Und so ging es weiter und weiter – wer könnte alle die Geber nennen!

Aber auch der gesammte Kaufmanns- und Bürgerstand, vor allem in Deutschland selbst, blieb nicht zurück, und schon nach einigen Wochen gab es kaum eine deutsche Stadt bis zum kleinsten Städtchen, wo sich nicht ein Hilfsverein gebildet hätte, der Beiträge sammelte, fast immer mit wahrhaft erhebendem Erfolge. Da durfte Hoffmann von Fallersleben wohl mit Recht ausrufen: <poem> „Niemals trat in schön’rer Reinheit Noch hervor zu einer Zeit Solch Gefühl von deutscher Einheit, Solch Gefühl für deutsches Leid!“

So flossen Millionen zusammen, die der in Hamburg eingesetzten Unterstützungsbehörde überwiesen wurden, und die begüterten und von der Heimsuchung verschont gebliebenen Bürger der Stadt gaben gleichfalls mit vollen Händen. Aber es galt nicht allein die augenblickliche Noth von vielen tausend verarmten Familien zu lindern, sondern auch für ihre nahe und ferne Zukunft zu sorgen.

  1. „Schon am Morgen des 7. Mai,“ berichtet ein Augenzeuge, „wurden die Gefangenen, schwere Verbrecher, 73 an der Zahl, in ihren grauleinenen Kitteln, kurzen grauen Hosen, weißwollenen Strümpfen und hölzernen Pantoffeln, mit ihren eisernen Blöcken an den Beinen, unter starker Bedeckung von Kavallerie und Infanterie der Garnison, über den Wall und die Esplanade zum Dammthor hinausgeleitet. Ruhig, fast ängstlich zogen die Sträflinge mit ihren blassen und ernsten Gesichtern die Straße entlang bis zum Hafen, wo sie vorläufig an Bord der ‚Vesta‘ untergebracht wurden.“
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_308.jpg&oldid=- (Version vom 14.7.2020)