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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

zu inniger Befriedigung. Es gelang ihm auch, Stevenhagen, für den das Beamtenwesen ein Buch mit sieben Siegeln war, in einer längeren Rede, die keinen Anspruch auf besondere Klarheit machen konnte, auseinanderzusetzen, daß es verschiedene Klassen von Beamten im Staate gebe: aktive, zur Disposition gestellte, pensionierte, entlassene u. s. w. ... und endlich solche, denen als besondere Auszeichnung ein „Charakter“ beigelegt worden sei, ohne daß damit eigentliche amtliche Verpflichtungen verbunden wären.

„Das sind die glücklichsten von sämmtlichen Beamten,“ erklärte der Doktor, „denn sie haben alle Ehren und Vorrechte der wirklich Angestellten und keine der Lasten: weder Vorgesetzte noch Arbeiten. Und zu dieser glücklichen Klasse von Beamten gehörst auch Du!“

Stevenhagen fühlte sich immer mehr in seiner eigenen Achtung steigen.

Die Frage, welchen Rang ein Kommissionsrath auf der Stufenleiter der Beamten einnehme, wußte der Doktor, in dessen Absicht es durchaus nicht lag, Stevenhagens Meinung von der ihm verliehenen Würde zu verkleinern, dadurch zu umgehen, daß er sagte, diejenigen, denen „der Charakter“ einer Stellung verliehen worden sei, könnten nicht wie die Unteroffiziere, Lieutenants und Hauptleute genau klassifiziert werden. „Du mußt Dir genügen lassen,“ fuhr er fort, „daß Du nächst dem Landrath der einzige Rath hier bist, also gewissermaßen der Höchstgestellte nach diesem.“

„Und wie verhält es sich mit der Uniform?“ fragte Stevenhagen weiter, Mathilde erkundigte sich danach bei mir; ich konnte ihr keine Antwort geben. Habe ich das Recht, eine solche zu tragen, und wenn ‚ja‘, bei welchen Gelegenheiten würde ich sie anlegen müssen?“

Es wurde dem Doktor recht schwer, auch bei dieser Frage ernst zu bleiben. – „Uniformen werden von Civilbeamten nur bei Gelegenheiten getragen, die sich bei uns kaum darbieten können. Ja, wenn der König uns einmal besuchen würde, dann müßtest Du in zweifarbigem Tuche erscheinen. Aber bis dahin könnte der bunte Rock längst von den Motten zerfressen sein. Laß Dir vorläufig keine Uniform machen; dazu wird sich immer noch Zeit finden.“

„Habe ich einen Dankbesuch bei dem Herrn Landrath, Antrittsvisiten bei den anderen Beamten hier zu machen?“ war Stevenhagens nächste Frage.

„Selbstverständlich,“ antwortete der Doktor. „Und da ich dies voraussah, so habe ich hier noch ein unbedeutendes Geschenk für Dich, das ich Dir eigentlich heute bringen wollte, das Du aber nun gleich mitnehmen kannst.“

Er stand auf und nahm vom Schreibtisch ein kleines Paket, das er seinem Freunde überreichte und das dieser sofort öffnete, während Nehring ihn mit wohlwollender Aufmerksamkeit beobachtete. Es enthielt hundert Visitenkarten „Konstantin Stevenhagen, Königlicher Kommissionsrath.“

Die Karten waren in der Buchdruckerei des Städtchens angefertigt worden und zwar „mit Liebe“. Sie waren aus schönem Karton, Primaqualität, mit Goldschnitt und goldener Einfassung; und Name und Titel des Herrn Stevenhagen erschienen nicht etwa in den üblichen ordinären schwarzen Buchstaben, sondern in röthlich goldenen Lettern.

Der Buchdrucker hatte sich gedacht, daß man für einen Kommissionsrath etwas Außerordentliches thun müsse, und es war ihm auch gelungen, etwas ganz Außergewöhnliches zu Tage zu fördern. Karten von ähnlicher Schönheit hätte man nicht in der ganzen Provinz, ja selbst nicht in der Hauptstadt vorgefunden. Der Buchdrucker war mit Recht stolz auf das Kunstwerk und Herr Stevenhagen dadurch in hohem Grade erfreut. Der Doktor rieb sich schmunzelnd die Hände.

„Das muß ich sogleich Mathilden zeigen,“ sagte Stevenhagen, und er entfernte sich von seinem Freunde, nachdem er mit ihm verabredet hatte, daß man sich am Abend zur üblichen Stunde wieder in der Kegelbahn treffen werde.

Herr Stevenhagen erschien während des ganzen Tages nur für wenige Minuten im Laden; nothwendig war seine Anwesenheit daselbst überhaupt nicht. Fritz konnte alles besorgen. Bei Tische war er zerstreut und aß weniger als gewöhnlich; am Abend in der Kegelbahn schob er so schlecht, daß der Postmeister, der sein Partner war, ihm heftige Vorwürfe machte. Unter gewöhnlichen Umständen würde Herr Stevenhagen sich dadurch gekränkt gefühlt haben, heute hörte er es kaum.

(Fortsetzung folgt.)




Die „Reichsunmittelbaren“ in Preußen.

Von Dr. J. Jastrow.


Im Königreich Preußen ist kürzlich die Einkommensteuer durch ein Gesetz geregelt worden, welches die Heranziehung des vollen Einkommens aller Staatsbürger zum angesprochenen Zwecke hat. Dieses Gesetz ist bereits in Kraft getreten, und die im ganzen Königreich von den Bürgern eingeforderten Steuererklärungen bilden gegenwärtig das allgemeine Tagesgespräch. Nun wird von dem jetzigen Landtag ein ferneres Gesetz erwartet, durch welches auch die „Reichsunmittelbaren“ in Preußen zur Einkommensteuer herangezogen werden und für das Aufhören ihrer Steuerfreiheit eine Entschädigung erhalten sollen.

Manche unter unseren Lesern haben wohl bei dieser Gelegenheit zum ersten Male das Wort „Reichsunmittelbare“ gehört; andere, die sich erinnern, es schon früher vernommen zu haben, vermögen nicht zu sagen, was darunter verstanden wird. Giebt es Staatsbürger, welche zu dem Deutschen Reiche in einer mehr unmittelbaren Beziehung stehen als alle anderen? Und wenn dies der Fall ist, woher kommt es, daß auf diese unmittelbare Beziehung eine Steuerfreiheit sich gründet? Wie ist es möglich, daß ein Staatsangehöriger für die Verpflichtung, Steuern zü entrichten, noch erst entschädigt werden soll?

Um diese und andere ähnliche Fragen zu beantworten, muß man etwas weit in die Vergangenheit zurückgehen. Es handelt sich hierbei um Einrichtungen früherer Zeiten, deren letzte Ausläufer sich bis in die unserige herein erstrecken. Derartige Einrichtungen darf man nicht beurtheilen, bevor man versucht hat, sie geschichtlich zu verstehen. – –

Im alten Deutschen Reiche, wie es sich bis in die ersten Jahre unseres Jahrhunderts erhalten hat, stand der habsburgische Kaiser an der Spitze von etwa vierzig geistlichen Fürsten, siebzig weltlichen Fürsten und fünfzig Reichsstädten. Diese waren dem Reiche unterthan. Wenn das Reich für die Unterhaltung des Reichskammergerichts Geldbeiträge brauchte, so wurden dieselben von jenen einhundertundsechzig „Gliedern“ des Reiches eingefordert. Wenn eine Reichsarmee auf die Beine gebracht werden sollte, so wurden nach demselben Verzeichniß die Reichsaufgebote verlangt. Wie die einzelnen Reichsfürsten und Reichsstädte die Gelder aufbrachten, wie sie dieselben von den Einwohnern ihrer Lande erhoben, das war ihre eigene Angelegenheit. Denn diese Einwohner waren ihre Unterthanen und standen zu dem Reiche nur in „mittelbarer“ Beziehung, während die Beziehung der Fürsten zum Reiche eine direkte, eine „unmittelbare“ war.

Das ist der Unterschied zwischen mittelbaren und unmittelbaren Reichsangehörigen, wie ihn das alte Reichsrecht kannte.

Die Reichsunmittelbaren erfreuten sich der ausgedehntesten Privilegien. Ein jeder übte in seinem Lande das Recht der Gesetzgebung, der Rechtsprechung, der Steuerausschreibung, kurzum im weseutlichen das Recht der Staatshoheit. Die reichsunmittelbaren Fürsten und Städte zusammen bildeten die Versammlung des Reichstages, welcher im Laufe des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts zu einem dauernden Senat neben dem Kaiser wurde und in der alten Reichsstadt Regensburg seinen ständigen Sitz hatte.

Innerhalb jedes einzelnen Landes wiederholte sich dasselbe Verhältniß im kleinen Maßstabe. Der Landesherr hatte „unmittelbar“ unter sich Prälaten, Ritter und städtische Magistrate. Die Hintersassen und die einzelnen Bürger dagegen standen zum Landesherrn wiederum nur in mittelbarer Beziehung. Auch im Landesstaat waren die „Landesunmittelbaren“ in reichem Maße bevorrechtet. Jeder Ritter und Prälat übte auf seinem Gute oder auf seiner Abtei wenigstens die niedere Gerichtsbarkeit und die Polizei, wie in den Städten der patrizische Magistrat. Auch sie konnten die vom

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_348.jpg&oldid=- (Version vom 25.8.2020)