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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Café Bauer ebenso gut wie in einem lebhaften Bräu der Friedrichstraße, in einem einfachen Weißbierrestaurant wie in dem stark besuchten Rathhauskeller, in dem lauten Menscheugewirr der Passage wie in den stillen Sälen eines Museums. Daneben bevorzugen allerdings viele von ihnen, sei es aus Gewohnheit, sei es, um ungestörter mit den Gefährten zusammen zu sein, gewisse Nachtcafés in den vom Centrum entfernter gelegenen Stadttheilen; mit einer schäbigen Eleganz eingerichtet, mit Wiener Kellnerbedienung und einem Berliner robusten Hausknecht, der, wenn nöthig – und das ist oft der Fall – persönlich eingreift, um Lärmmacher an die frische Luft zu befördern, zeigen diese Cafés uns zu später nächtlicher Stunde die zweifelhaftesten Besucher und geben oft den Hintergrund ab zu den widerwärtigsten Scenen. Falschspieler, Bauernfänger, Taschen- und Ladendiebe, allerhand andere Gauner und Betrüger trifft man besonders häufig an, und der Polizei ist hier schon mancher gute Fang gelungen.

Im Asyl: Ankunft der Obdachsuchenden und Austheilung der Abendsuppe.

Noch eine Stufe tiefer stehen die sogenannen „Verbrecherlokale“; wir betonen absichtlich das „sogenannt“, denn eigentliche Verbrecherlokale, mit anderen Worten Gaststätten, wo ausschließlich Verbrecher verkehren, giebt es nur noch wenige in Berlin, und auch jene „sogenannten“ sind mehr und mehr aus den kurz vorher erwähnten Gründen im Abnehmen begriffen, so daß sich ihre Gesammtzahl auf etwa dreißig belaufen wird, während sie noch vor wenigen Jahren das Doppelte und mehr betrug. Fast immer liegen diese Lokale im Keller, hin und wieder auch zu ebener Erde, damit nöthigenfalls die Flucht beim Nahen der Polizeimannschaften nicht mit Schwierigkeiten verbunden ist; aus dem nämlichen Grunde besitzt ein Theil derselben, und zwar gewöhnlich diejenigen, die sich in einem Eckhause befinden, zwei vordere Eingänge von zwei verschiedenen Straßen aus, so daß der Unbetheiligte keine Ahnung von ihrem Zusammenhange hat. Auch sonst lieben diese Lokale es nicht, die besondere Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich zu ziehen, selten zeigen sie ein Schild und eine Laterne und selten dringt ein verstohlener Lichtschimmer hinter den dunklen Vorhängen der kaum über den Erdboden hinwegragenden Fenster und aus der auf steiler schmaler Treppe zu erreichenden, tief gelegenen Thür hervor. Ein „Unberufener“ wird sich daher schwerlich in diese Schankstätten verirren und die „Berufenen“ kennen den Weg sehr wohl, ebenso wie sie den Wirthen und Gästen hinlänglich bekannt sind. All diese Lokale ähneln sich untereinander: ein langer, niedriger, dumpfer Raum, trübe beleuchtet durch matt brennende Gasflammen oder Petroleumlampen, an den kahlen Wänden eine schmutzige, vielfach zerrissene Tapete, oft auch nur ein zerbröckelnder, in den räthselhaftesten Farben schimmernder Anstrich, in der Mitte oder in einer Ecke ein fadenscheiniges Billard, dann einige Dutzend wackelige Stühle und kleine Tische – das ist alles. Der Schankraum befindet sich gewöhnlich abgesondert in einem Gemach, in welches man zunächst von der Treppe aus eintritt; hier schaltet hinter dem mit gekochten Eiern, Würsten, Schinken, kalten „Klöpsen“, mit verschiedenen, unter einer Glasglocke aufbewahrten Käsesorten, sowie mit Butter und Brot besetzten „Buffet“ der behäbige, mit blauer Arbeitsschürze versehene Wirth, der je nachdem pfiffig, dumm, grob, freundlich, harmlos, durchtrieben, herrisch, unterthänig aussehen kann, ganz wie es die Sachlage verlangt. Mit seinen Gästen steht er auf vertrautem Fuß, trotzdem er viele nur mit ihren Spitznamen kennt – desto besser weiß er freilich ihre „Beschäftigung“; was sie außerhalb seiner vier Wände thun und treiben, kümmert ihn nichts, falls er nicht, was selten geschieht, mit ihnen unter einer Decke steckt und wohl gar den Hehler für die gestohlenen Waren abgiebt; er ist mit Umsicht und Bereitwilligkeit auf ihre leibliche Pflege bedacht, allerdings auch nur gegen baare Bezahlung, denn vom Borgen ist er kein Freund und kündigt dies deutlich durch allerhand recht verständliche Plakate an.

Die Gesellschaft in diesen Lokalen ist bunt zusammengewürfelt und besteht größtentheils aus vorbestraften Personen; aber selbst ihnen wohnt ein gewisser Corpsgeist inne und sie sondern sich wieder in einzelne engere Kreise ab, die streng zusammenhalten und sich in bestimmten Lokalen treffen, um in mündlichem Austausche von früheren gemeinsamen Thaten zu plaudern und neue zu verabreden. Wie die Mienen der „Stammgäste“ dieser Restaurants, so weisen auch ihre Kleidungen die mannigfachsten Abstufungen auf, von dem mit auffälliger Eleganz gekleideten Falschspieler und Bauernfänger an bis zu dem strolchenhaft ausehenden Bodendieb, dessen Kostüm aus den verschiedensten gestohlenen Sachen zusammengesetzt ist und eine wahre Musterkarte von Geschmacklosigkeit bildet. Die Unterhaltung wird in reinstem „Berlinisch“ geführt, vermischt mit den zahllosen Ausdrücken der Verbrechersprache, so daß ein Uneingeweihter einen vollständig fremden Dialekt zu hören vermeint.

Die Kriminalpolizei kennt natürlich all diese Lokale ganz genau, hat aber keine Veranlassung, sie aufzuheben, da sie ja das Ergreifen gesuchter Verbrecher erleichtern. Je nach Bedarf werden wöchentlich oder monatlich ein oder mehrere Male Razzias durch diese Kneipen unternommen. Eine Anzahl Kriminalbeamter, acht, zehn, fünfzehn, zwanzig, trifft sich zu abendlicher Stunde an einem bestimmten vom regsten Verkehr etwas abgelegenen Punkte Berlins, und der leitende Wachtmeister oder Kommissar ertheilt die erforderlichen Anweisungen, die sich auf Umstellung der zu durchsuchenden Lokale, auf die Persönlichkeiten der zu verhaftenden Verbrecher, auf Signalements zugereister Schwindler etc. beziehen; selbst bei diesen nächtlichen Fahrten verschmähen häufig die Kriminalbeamten die Mitnahme eines Revolvers und verlassen sich ganz auf ihre Körperkraft und den stets mitgeführten, zuweilen bleiausgegossenen Stock. In kleineren Trupps begiebt sich die Schar, der man nicht das geringste Auffällige anmerkt, nach den einzelnen Lokalen, deren Ein- und Ausgänge, auch die nach dem Hofe zugehenden, besetzt werden. Dann erst betreten mehrere Beamte das Innere. Ihr Erscheinen, selbst in den überfülltesten Lokalen, erregt nie größeren Aufruhr; dieser und jener, dessen Gewissen nicht ganz frei ist, erblaßt wohl im ersten Augenblick, faßt sich aber schnell wieder und nimmt ein möglichst gleichgültiges Wesen an, die übrigen lassen sich kaum in ihrer nur etwas gedämpfter als vorher geführten Unterhaltung, in ihrem Trinken und Kartenspielen stören, sie begrüßen in aller Gemüthlichkeit die ihnen persönlich bekannten Beamten, und auch letztere treten diesen „guten Freunden“, denen sie schon manches Jahr stiller Zurückgezogenheit

hinter Gefängnißmauern verschafft haben, keineswegs streng dienstlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 367. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_367.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)