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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

des ganzen Abends auf dem Kopfe. Der Deutsche allein zieht ehrfurchtsvoll vor den Penaten jedes fremden Hauses seine Kopfbedeckung und setzt sie nicht eher auf, als bis er wieder auf dem Flur ist. Dasselbe gilt von einem Besuch im Geschäftszimmer. Beim Essen unterhalten sich unsere Landsleute für italienisches Anstandsgefühl zu laut. Das Lärmen, das Anstoßen, die deutsche Fidelitas gilt in Italien nicht für fein, und in einem halbwegs guten Restaurant geht es viel geräuschloser zu als bei uns. Bezeichnend ist auch die Stellung zu den Kellnern. Der Italiener ist mit den Speisen viel wählerischer als wir, und oft sendet er einen Theil der Gerichte, welche ihm aufgetischt wurden, als nicht nach seinen Wünschen wieder nach der Küche; aber er streitet niemals laut mit der Bedienung, sondern die Verhandlungen werden ganz leise, ich möchte sagen freundschaftlich geführt. Man erkennt nur an dem eigenthümlichen Spiel der Hände, um was es sich handelt, und mit der lächelndsten Miene der Welt nimmt der Kellner die verschmähte Ware zurück. Das „Anschnauzen“ ist überhaupt eine im Auslande recht auffallende Eigenthümlichkeit vieler Deutscher, welche auch dem Engländer fremd ist. Ein Bettler stellt sich in den Weg. Der Engländer sieht über ihn hinweg, als wenn er Luft wäre: er giebt aus Grundsatz nichts. Der Italiener bewegt den Finger hin und her, was so viel heißt wie „Nein“, oder er sagt einige verbindliche Worte und schreitet weiter. Der Deutsche runzelt die Stirn, fährt den Lästigen mit ein paar groben Redensarten an, die sich um so komischer machen, als sie gewöhnlich nicht richtig sind, und greift dabei doch nach seinem Geldbeutel.

Während der Amerikaner und Engländer sich selten abmüht, der Sprache Herr zu werden, meint es der Deutsche sehr ernst mit seinem Sprachstudium, und er bringt es nach einigen Jahren auch dahin, die Sprache fertig zu sprechen und zu verstehen. Freilich bleibt ihm die besondere Art der Aussprache meist sein Lebtag treu. Im einsamen und romantischen Kloster Trefontane bei Rom wurden wir von einem Mönch empfangen und herumgeführt, dessen Italienisch eine mir ganz sonderbar vorkommende Färbung trug. Ich äußerte meiner Frau gegenüber auf deutsch, wie interessant es doch sei, daß sich die gleiche mundartliche Unregelmäßigkeit, die des Fallenlassens der Endkonsonanten und Endvokale und das eigenthümliche Singen, in jeder Sprache wiederhole, und daß, wenn man nicht genau wüßte, dieser Frate sei hier geboren und erzogen, man glauben könnte, einen Rheinhessen italienisch sprechen zu hören. Da sah uns der Italianissimo groß an und sagte: „Bin ich auch, meine Herrschafte! In Heppeheim hat mei Wiek gestande! Leb’ aber scho dreißig Jahr in Italie!“

Uebrigens hört man in Rom auf Schritt und Tritt deutsch sprechen. Alle Fremden befinden sich ja auf der Straße, in den Museen, in den Kirchen. Die großen, noch immer prunkvollen Feste in St. Peter oder dem Lateran sind ein Stelldichein aller Kolonien, und während derselben hört man fast ausschließlich englisch und deutsch reden; Frankreich reist sehr wenig. Außerdem spricht die schweizer Ehrengarde den unverfälschten schweizer Dialekt. Deutsche Klänge dringen uns ferner vertraulich ins Ohr in der Nähe der deutschen und österreichischen Botschaften, von Schülern des kaiserlich deutschen archäologischen Instituts, welches in neuerer Zeit auch Rundreisen von deutschen Gelehrten durch das antike Italien veranstaltet; von den in langen Trupps, stets zu zwei und zwei, durch die Straßen ziehenden deutschen geistlichen Alumnen im scharlachrothen Gewande; von den zahlreichen deutschen Kunststipendiaten, welche sich in dem Lande der Schönheit mit Anschauungen für ihr Leben vollsaugen, übrigens kein gemeinsames Heim haben wie die auch sonst viel besser gestellten Kunstschüler Spaniens und Frankreichs. Deutsche Predigten hört man in der Kirche Santa Maria dell’ Anima zu Rom, in welcher auch der deutsche Papst Hadrian IV. begraben liegt, und in der deutschen Botschaftskapelle im Palazzo Caffarelli.

Wie wenig man aber beispielsweise in Neapel, trotz seiner deutschen Klubs und deutschen Schulen, trotz des bedeutenden Antheils der Deutschen am Handelsleben der Seestadt, auf den Straßen deutsch reden hört, dafür spricht, daß uns ein junges deutsches Mädchen an der Via di Roma, dem früheren Toledo, ohne weiteres anredete, weil sie nach unserem Sprechen in uns ein landsmännisches Gefühl voraussetzte, nachdem sie stundenlang vorher in heller Verzweiflung nach solcher Hilfe umhergesucht hatte. Sie hatte sich auch nicht geirrt: das arme Ding, welches durch Empfehlung eines Bureaus als Bonne in ein italienisches Haus gekommen war, hatte ihre dortige Stellung infolge von Eifersüchteleien der Frau wieder verlassen müssen, ehe sie Zeit gehabt hatte, einigermaßen die Sprache des Landes zu erlernen; nun wurde sie durch Bemühungen einiger deutschen Freunde, an welche wir sie empfehlen konnten, gut untergebracht.

Man darf aber dieses Vorkommniß nicht über Gebühr verallgemeinern. Für stellungsuchende junge Mädchen ist natürlich alle Vorsicht geboten, sonst genießen indessen unsere Landsleute ein gutes Ansehen. Man bringt ihnen allerseits auch im Volke, welches allerdings die Fremden germanischer Herkunft oft unter dem Gesammtnamen „Inglesi“, Engländer, zusammenfaßt, einen großen Respekt, wenn auch nicht gerade immer Verständniß für ihr innerstes Wesen entgegen. Die deutsche Musik findet z. B. jenseit der Alpen nicht allzu großen Widerhall. Im Salon sind wohl Beethoven, Mozart, Schumann und Schubert heimisch, in der Oper errangen einige Wagnersche Musikdramen Erfolg; aber in den breiten Massen des italienischen Volkes hat die deutsche Musik keinen festen Fuß gefaßt.

Ueber die Schicksale der deutschen Handwerker in Italien machte ein schon zwanzig Jahre dort lebender Deutscher eine auffallende Beobachtung. In der ersten Zeit ihres Daseins überflügeln sie ihre italienischen Kollegen und lassen ihre Mitbewerber schnell hinter sich. Das kommt daher, daß sie von Hause aus an eine größere Strenge des Arbeitens, an mehr Stetigkeit und Ausdauer gewohnt sind. Die Italiener sind, wie unser Gewährsmann sich ausdrückte, mehr „geniale Pfuscher“, welche ohne Schulung mehr nach dem Instinkte drauf los arbeiten und, wenn sie nicht den scharfen Wettbewerb eines Ausländers zu bestehen haben, damit auch vorwärts kommen können. Nach mehreren Jahren aber pflegt sich das Blatt zu wenden. Der größte Theil unserer Landsleute wird dann, sei es durch den Einfluß des Klimas, sei es durch den leichteren Erwerb, nachlässig und schlaff, und da sie von Hause aus gewohnt sind, besser zu leben, auch manchmal einen Tropfen über den Durst zu trinken, so geht es mit ihnen, wenn sie sich nicht mit Aufbietung aller Kräfte obenauf halten, schnell bergab.

Eine Stätte giebt es im Süden Italiens, wo deutscher Geist zweifellos die Führung erhalten hat, die Insel der Maler, Capri. Dieses wonnige Eiland, dessen reizvolles Profil neben dem rauchenden Vesuv das charakteristische Wahrzeichen des Golfes von Neapel bildet, ist wie eine schimmernde Perle, welche die Götter der deutschen Malerzunft in der Schale des blauleuchtenden Weltmeers als Geschenk dargebracht haben. Ein Deutscher, August Kopisch, hat vor Jahren die blaue Grotte, dieses Oceanwunder, und damit einen Hauptanziehungspunkt der Insel entdeckt, und eine ungeheure Palme kündet weithin aus dem steinernen Häusergewirr der Insel die Stelle des Albergo Pagano, der berühmten Künstlerherberge, deren Wandflächen bis in die obersten Stockwerke Fresken und Inschriften tragen, mit denen fröhliche Maler und Dichter sich verewigt haben. Nach alter Ueberlieferung wird hier zu musterhaft billigen Preisen zweimal des Tages gespeist, und etwa achtzig Theilnehmer, fast ausschließlich Landsleute, aber von den verschiedensten Berufsarten, bilden eine so ungezwungene und von der Großartigkeit der Natur immer wieder aufs neue angeregte Tafelrunde, wie sie wohl kaum ein zweites Mal auf der Welt besteht. Im Gegensatz zu Neapel ist auf dieser Felseninsel alles blanksauber. Die armen Bewohner zeigen eine Formenschönheit, wie man sie sonst nirgends in Italien findet, und die schlanken Gestalten der Knaben und die vollbärtigen Köpfe der Männer bilden das Entzücken der Künstler. Kleine Buben, welche den Malern in der Rolle von Farbenreibern oder Trägern bei ihren Jagden auf schöne Veduten als Gefolge dienen, haben gelehrig deutsche Laute aufgeschnappt, und das erste Lied, welches ein vor mir hertänzelnder schwarzlockiger Junge mir lachend vorsang, hieß: „Du bist verrückt, mein Kind“.

In Capri schweigen selbst die Krittler, und die sauertöpfigsten Reisenden gehen zur Partei der Schwärmer über. In diese beiden Feldlager kann man nämlich die Deutschen in Italien scheiden. Die einen fühlen sich fortwährend unglücklich, beleidigt, angewidert. Der Lärm der Räder und Ausrufer macht sie nervös, das Oel der Speisen verdirbt ihnen den Magen, die Bettelei empört sie, das Vordringen moderner Kultur in die alten Heimstätten klassischer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_371.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2024)