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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Ja, Sünde frißt sich ein! Wie hier in das Holz, so in die Herzen. Das ist wie Rost auf Stahl; laß’ Du nur erst den bösen Flecken und tilg’ ihn nicht zur rechten Zeit, so frißt er weiter, und die gute Waffe ist zerstört, unbrauchbar für alle Zeit, und Du kannst sie ins alte Eisen werfen“ – Herr Heinrich blickte auf – „oder ins Feuer! Wasche, Wolfrat, wasche! Thu’ es dem Unglücklichen zu lieb, der das heilige Bild so schwer entweihte. Denke nur ... da läuft er umher unter den Menschen und keinem wagt er mehr ins Auge zu schauen; jeder Schritt, den er hört, macht ihn zittern; jedes Wort, das sein Ohr vernimmt, weckt seine Furcht. Das raschelnde Laub, der flüsternde Wind, das murmelnde Wasser, die stille Nacht wie der lärmende Tag – alles ist sein Feind geworden. Was er hört, alles klingt wie der Seufzer, mit dem sein Opfer zusammenbrach; was er sieht, alles hat einen blutigen Schein. Und in seiner einsamen Noth nicht Trost noch Hoffnung! Sein Herz möchte aufschreien zum Himmel – doch er sieht nur immer Gottes Bild vor sich, das er befleckt und entweiht hat, und seine Lippen haben kein Gebet mehr .... Nun? Wollen die Flecken weichen?“

„Nein, Herr!“ Die Worte klangen, als läge eine würgende Hand an Wolfrats Kehle, und die Arme sanken ihm wie gelähmt.

„Mußt nur nicht ablassen! Plag’ Dich nur noch ein lützel! So! So! Weißt, Du thust es ja für einen, der sich selber doppelt straft, weil er meint, er könne der Strafe entlaufen, die nun einmal gesetzt sein muß auf alles, was bös und unrecht ist. Laß ihn nur! Gottes zürnende Gerechtigkeit hat noch flinkeren Gang! Da läuft er ... und die Strafe ist ihm doch schon an die Füß’ gehängt wie eine lange Kette, und er läuft und läuft und schlägt dabei mit der Kette nach allen Seiten und reißt noch andere mit sich in seinen Fall! ... Warum hörst Du zu waschen auf? So! Laß nur nicht nach! ... Sag’, Wolfrat, hast Du ein Kleefeld?“

„Ein halbes Gras[1] – für meine Gaisen,“ stammelte der Sudmann.

„Hast schon einmal den Kleefraß im Feld gehabt?“

Wolfrat nickte.

„Gelt, da hast Du’s halt übersehen, wie der Krank das erste Stäudlein angepackt hat. Hättest Du es nur gleich ausgerissen! So aber hast Du es stehen lassen, und wie Du nach einer Woche wieder hingekommen bist, da war das halbe schöne Feld schon aufgefressen! Gelt, ja? Und schau! Der das gethan hat“ – Herr Heinrich deutete nach den Flecken, an denen Wolfrat mit zitternden Händen rieb – „der trägt jetzt auch einen solchen Schaden in sich herum. Zuerst frißt es in ihm alles auf, was noch gut und gesund ist, und dann kriecht es aus ihm heraus, und hat er Vater und Mutter, so frißt es an denen, und hat er Weib und Kind . . . Was hast Du, WOlfrat? Ist Dir übel?“

Der Sudmann schüttelte den Kopf und schöpfte Wasser mit den Händen.

Herr Heinrich schwieg eine Weile, dann fragte er: „Wollen die Flecken noch allweil nicht weichen?“

„Zur Hälft’ sind sie weg,“ murmelte Wolfrat mit versunkener Stimme, „aber die andern ... die andern halt ...“

„Wasch nur! Laß Dich die Zeit nicht verdrießen, ich wart’ schon, jawohl. Und jenen andern ... den kann ich auch noch abwarten, bis er kommt und die rothen Händ’ herzeigt. Wenn’s nur dann nicht zu spät ist zum Waschen. Und wenn er gar nicht reden wollt’ ... einer ist doch allweil da, der in einer bösen Stunde gegen ihn reden wird!“

Zögernd, mit scheuen Augen blickte Wolfrat auf die Lippen des Propstes.

„Einer, der es gesehen hat!“ sagte Herr Heinrich und deutete zum Kreuz empor. „Der da, Wolfrat?“

„Der?“ Ein irres Lächeln zuckte um Wolfrats Lippen, während er langsam die Augen hob. Dann schüttelte er den Kopf. „Es hat noch nie kein Holz gered’t!“

Ein Wolkenschatten flog über den Grund.

„Meinst Du?“ lächelte Herr Heinrich.

Schwer athmend beugte sich Wolfrat über die Kanne, um mit den hohlen Händen Wasser zu schöpfen. Da klang aus den Lüften ein dumpfes Murren, welches zum rollenden Donner wuchs, um mit einem krachenden Schlag zu enden. Eine Lawine hatte den letzten Schnee von den Wänden gestürzt.

Der Sudmann stand mit fahlem Gesicht, ein Schauer hatte ihn gerüttelt, und von seinen zitternden Händen tropfte das Wasser.

„Hast Du gehört, Wolfrat?“ sagte Herr Heinrich, während zwischen den Felsen der Widerhall verzitterte.

„Eine Lahn war’s ... nur eine Lahn ist gegangen ...“

„Und wer hat sie reden lassen und hat ihr Füß’ gemacht?“

„Die Sonn’!“

„Weil sie scheint, gelt? Und wer läßt die Sonne scheinen?“

Wolfrat schlug die Hände vor das Gesicht, und sein ganzer Körper erbebte wie ein Baum vor dem Sturz. Dann warf er die Arme auseinander. „Ich kann’s nimmer heben, es muß heraus!“ stöhnte er, brach in die Knie und schlug mit den Fäusten seine Brust. „Ich .. ich ... ich hab’s ja gethan! Ich bin’s gewesen, der ihn gestochen hat!“ Mit starren Augen blickte er auf; er hatte wohl gefürchtet, daß der Propst nun aufspringen würde in Zorn und mit rauhen Worten.

Herr Heinrich aber blieb ruhig sitzen. „Und weshalb hast Du’s gethan?“ fragte er.

„Weil er mich hat fassen wollen!“

„Es war seine Pflicht, denn Du hast Raub getrieben. Weshalb?“

„Für mein Kindl! Weil mir einer gesagt hat, daß die Schweißbluh’ noch helfen thät’!“

Herr Heinrich blickte betroffen auf. Nach einer Weile fragte er: „Wer hat Dir das gesagt?“

Wolfrat schüttelte den Kopf und wehrte mit der Hand. Er konnte sich selbst verrathen, doch keinen anderen.

Und Herr Heinrich fragte nicht weiter. „Sag mir nur ... hat’s auch geholfen?“

„Ach du mein Gott, das Kindl war ja schon verschienen, wie ich heimgekommen bin.“

„Ja, Wolfrat, alle Sünd’ ist umsonst! Hat Dir das, wie Du mit der blutigen Hand an das Bett getreten bist, das stumme Mündlein Deines Kindes nicht gesagt?“

Wolfrat schlug die Hände vor das Antlitz und brach in dumpfes Schluchzen aus. Mit einem Blick des tiefsten Erbarmens ruhten die Augen des Propstes auf dem Sudmann. Als Herr Heinrich sich erhob, schaute Wolfrat mit banger Frage zu ihm auf.

„Herr? Was geschieht mit mir?“ Und als er keine Antwort erhielt, stammelte er: „Er ist ja doch lebig, Herr!“

„Ist es Dein Verdienst? Du hättest ihn liegen und verbluten lassen, nur daß er nimmer reden möchte.“

Dem Sudmann sank das Haupt aus die Brust. „Was geschieht mit mir?“

„Das weiß ich nicht!“ sagte Herr Heinrich. „Das mußt Du selber wissen! Es war ja nicht Dein Fürst und Lehensherr, zu dem Du gesprochen hast, es war Dein Beichtiger! Was Du auch sagtest ... ich gehe von hier und hab’ es vergessen.“ Er bedeckte das Haupt und ging mit langsamen Schritten davon.

Wolfrat sprang auf, drückte die Faust an die Stirn und starrte dem Propste nach. Als Herr Heinrich die Tiefe des Steinthals erreicht hatte, blickte er nach dem Kreuz zurück. Er sah den Sudmann zur Quelle gehen, um frisches Wasser zu holen.

Bei der Jägerhütte angelangt, rief der Propst nach Haymo. Aber die Antwort kam nicht aus der Hütte, sondern vom Berghang her, über welchen der Jäger, von der flinken Hel begleitet, langsam herabstieg, in der Hand ein Bündel ausgegrabener Wurzeln tragend.

„Wo warst Du, Haymo?“

„Nieswurz hab’ ich gegraben für den Frater Küchenmeister,“ sagte der Jäger mit müder Stimme.

„Hat er wieder Athemnoth und Herzkrämpfe? Ein Wunder wär’ es freilich nicht. Aber Du ... Du hättest diese Arbeit einem andern überlassen sollen.“

Haymo hielt die Augen gesenkt. „Ich hab’s ihm versprochen.“

  1. Ein Flächenmaß, nach welchem in früheren Zeiten in den Alpen gerechnet wurde; ein „Gras“ d. i. soviel Feld oder Weide, als ein Stück Hornvieh das Jahr oder den Sommer über zur Nahrung braucht.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 426. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_426.jpg&oldid=- (Version vom 12.1.2022)