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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Hier machte sich nun seine Unkenntniß der Papiertechnik fühlbar. Er hatte bisher noch keine Papiermühle gesehen und kannte aus technischen Schriften die Arbeitsweise in einer solchen nur in groben Umrissen. Wie die Werkzeuge beschaffen, woher sie zu beziehen waren, das wußte er nicht. Dennoch machte er sich an die unbekannte Arbeit, fertigte nach eigenem Ermessen einen Schöpfrahmen und schöpfte damit größere Papierblätter. Diese legte er zwischen Tuchlappen und preßte sie in einer Hobelbank aus. Indessen hatten diese Versuche mit den ganz ungenügenden Hilfsmitteln kein zufriedenstellendes Ergebniß.

Aber Keller ließ sich durch den ersten Mißerfolg nicht abschrecken, sondern ging daran, bessere Werkzeuge herzustellen. Zunächst brachte er einen grobkörnigen Schleifstein der in einem Wassertroge ging, an einer Drehbank an, um auf solche Weise den Faserstoff schneller erzeugen zu können; an diesem Steiue schliff seine Frau den Stoff. Aus Messingdraht sertigte er einen großen Schöpfrahmen mit siebartigem Boden, die Filze zu dem größeren Format schnitt er aus einem alten Tuchrocke; um die feuchten Papierblätter auszupressen brachte er an der Decke seiner Stube einen starken Pfahl an, der auf untergelegte Bretter drückte, und zwischen diese kamen dann die Blätter zu liegen. Die jetzt gefertigten Papiere von der Größe eines Viertelbogens fielen schon erheblich besser aus und konnten als brauchbare Muster gelten

Somit war die Ausführbarkeit der Erfindung bewiesen, und es war für Keller nur noch wichtig, zu erfahren, ob die Erfindung auch geschäftlich Vortheil gewähre, und sich zu unterrichten, wie sich der Preis des Holzpapiers im Vergleich zum Hadernpapiere stelle. Zu diesem Zwecke begab er sich in die Loßnitzer Papiermühle bei Freiberg, zog dort Erkundigungen ein und kam alsbald zu der Ueberzeugung, daß Holzpapier beträchtlich billiger herzustellen sei als Hadernpapier. Nunmehr trat er mit seiner Erfindung offen hervor und versuchte, sich Kapitalunterstützung zur geschäftlichen Ausbeutung derselben zu verschaffen. – Hier wiederholt sich nun die alte und immer wieder neue Geschichte: die Erfindung war in den Grundzügen gemacht, der Erfinder konnte sie jedoch wegen Mangels an Geld nicht zu Ende führen, nicht geschäftlich verwerthen, und die Kapitalisten erkannten die Tragweite derselben nicht. Zunächst wendete sich Keller an geistig rege Privatleute, in der Hoffnung, mit deren Hilfe größere Versuche anstellen zu können – jedoch vergebens. Hierauf richtete er ein Gesuch um Unterstützung an das königlich sächsische Ministerium – er erhielt eine freundliche Antwort, lobende Anerkennung seines Strebens, aber kein Geld. Es mit Papiertechnikern zu versuchen, welche den Werth der Erfindung erkannt haben würden, unterließ Keller vorläufig noch, da er fürchtete, dabei um den Ertrag seiner mühevollen Arbeit zu kommen.

F. G. Keller.
der Erfinder des Holzschliffpapiers.

Unter diesen Umständen hatte Keller keine andere Wahl, als mit eigenen Mitteln weiter zu arbeiten. Er baute einen großen Schleifstein und begann, mit Hilfe seiner Frau, die ihm treulich zur Seite stand, eine große Menge Holzschliff herzustellen. Diese anstrengende Arbeit verrichtete das Ehepaar während der Nachtzeit, da die Tageszeit den Berufsarbeiten gewidmet war, die Keller zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes ohne Unterbrechung fortsetzen mußte. Nach vielen durchwachten Nächten war eine entsprechende Stoffmenge geschliffen, und diese schaffte Keller in die Papiermühle nach Alt-Chemnitz, wo er den Holzschliff, mit dem dritten Theile Hadernstoff vermischt, zu Papier formen ließ. Er erhielt sechs Ries großes Schreibpapier, das theilweise zum Druck des „Frankenberger Kreisblattes“ verwendet wurde. Im Jahrgang 1845 dieses Blattes findet sich also das erste zum Drucken verwendete Holzpapier.

Da Keller trotz dieses Erfolges noch keine Kapitalunterstützung fand, so unternahm er im Spätherbst das Wagniß, mit seinen geringen Mitteln die Papiermühle in Kühnhaide bei Marienberg zu pachten, um dort seine Erfindung geschäftlich auszubeuten. Im November 1845 leistete er die vereinbarte Kaution, übernahm die Werkzeuge und Vorräthe käuflich und bezog mit seiner Familie die gepachtete Mühle. Allein das Unglück verfolgte ihn auch hier. Einige Wochen später gerieth der Eigenthümer der Mühle in Konkurs, Keller stand wieder auf dem alten Flecke und sah alle seine Hoffnungen gefährdet. Seine geringen Mittel waren durch den Werkzeugkauf aufgebraucht, die Kaution war verloren, und der Winter verging, ohne daß er in der Mühle arbeiten konnte. Da boten ihm einige Freunde eine kleine Kapitalunterstützung an, und Keller erwarb das Grundstück für 4000 Thaler. Aber nachdem er die Anzahlung geleistet und die nöthigen Ausbesserungsbauten ausgeführt hatte, ergab sich, daß die übrigbleibenden Geldmittel nicht genügten, um die Einrichtung zum Holzschleifen treffen zu können. In dieser Noth kam dem Erfinder ein unerwartetes Anerbieten zu Hilfe.

Ein auf Holzpapier geschriebener Brief Kellers war in die Hände Heinrich Völters, des Direktors der Bautzener Papierfabriken, gekommen. Dieser trat mit Keller in Verbindung und erbot sich, die Erfindung anzukaufen, sofern er die Ueberzeugung erhalte, daß dieselbe geschäftlichen Nutzen gewähre. Nach einem halbstündigen Probeschleifen, welches Keller in der Bautzener Papierfabrik vornahm, hatte Direktor Völter nicht nur die praktische Durchführbarkeit, sondern auch mit geschäftlichem Scharfblick den unschätzbaren Werth der Erfindung erkannt. Er schloß mit Keller einen Vertrag, zahlte ihm 700 Thaler für die Mittheilung des Fabrikationsgeheimnisses und verpflichtete sich, den Gewinn, welchen er durch Verkauf des Geheimnisses an andere Fabriken erzielen würde, mit Keller zu theilen. Letzterer behielt sich noch das Ausnutzungsrecht der Erfindung in seiner eigenen Papiermühle vor. Demnach hatten sich beide verbunden, die Erfindung gemeinsam auszunutzen, und Völter übernahm es nun, unter großen Mühen und Opfern das Holzschleifverfahreu durch den Bau geeigneter Maschinen für den Fabrikbetrieb nutzbar zu machen, die Erfindung patentieren zu lassen und allgemein einzuführen.

Wider Erwarten begegnete indessen das Holzschleifverfahren in der ersten Zeit großem Mißtrauen, und Völter mußte alle Thatkraft aufbieten und große Geldopfer bringen, um gegen das Vorurtheil der zeitgenössischen Papierfabrikanten anzukämpfen. Die Einnahmen entsprachen nicht den Ausgaben, und als nach fünf Jahren die Patente abliefen und erneuert werden sollten, war das geschäftliche Ergebniß so gering gewesen, daß Keller nicht imstande war, seinen Antheil an den Kosten der Verlängerung der Patente zu zahlen. Mit schwerem Herzen mußte er auf die weitere Ausnutzung seiner Erfindung verzichten. Diese war von da ab für ihn verloren.

Völter, dem nunmehr alleinigen Inhaber der Patente, gelang es allmählich, das Vorurtheil zu besiegen; die Erfindung brach sich Bahn, und jetzt ist die Herstellung des Holzschliffes und des daraus gefertigten Papiers eine mächtige und kapitalkräftige Industrie geworden. In Deutschland giebt es über dreihundert, auf der ganzen Erde etwa tausend Holzschleifereien, deren jährlicher Umsatz viele Millionen Mark beträgt. Der Holzschliff hat in der Gegenwart ungeheure Bedeutung gewonnen, er ist in der Papierfabrikation unentbehrlich geworden. Obwohl er zur Papiererzeugung nicht ausschließlich dient, ist er doch als billiger Zusatzstoff sehr geschätzt, und die meisten billigen Papiere enthalten mehr oder minder große Holzschliffmengen, welche mit zäheren Faserstoffen vermischt sind. Durch die Kellersche Erfindung auf die vortheilhafte Verwendbarkeit des Holzes zur Papierherstellung aufmerksam geworden, ging man später zur chemischen Behandlung über, befreite die Fasern durch Säure von ihren inkrustierenden Theilen und bereitete auf diese Art einen Holzstoff, der selbst zur Erzeugung von besseren Papieren verwendbar ist. So führte Keller dem Papiergewerbe nicht nur den werthvollsten Ersatzstoff zu, sondern er schuf auch eine neue Verwendung des Holzes, kurz, er begründete eine bis dahin unbekannte, großartige Industrie.

Keller hat aus seiner Erfindung keinen erheblichen Geldnutzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_443.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2021)