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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Ja! Einen Schimpf hat er mir angethan, an dem ich erstick’! Und jetzt laß mich in Ruh’ und frag’ nimmer!“

Jörgi trat vor die Hütte. Ringsumher, mit leise klingenden Glocken, lagen die wiederkäuenden Rinder im Gras. Sie hatten alle den Kopf nach dem Jäger gewendet, der in der sinkenden Dämmerung über den Almenhang emporstieg. Jörgi ballte die Fäuste. „Wart’, Du – wir zwei, wir wachsen zusammen!“ zischte es durch seine Zähne, und seine funkelnden Blicke folgten der Gestalt des Jägers, bis sie im schwarzen Schatten des Waldes verschwand.


24.

Zwei Monate waren seit dem Ostertag vergangen, und es kam der Abend vor dem Sonnwendfeste. Walti, der dem Jäger frische Zehrung gebracht, hatte am Morgen die Hütte verlassen. Auf die Botschaft, daß Herr Heinrich dem Jäger gestatte, am Tag nach Sonnwend, am Fronleichnamsfeste, in das Kloster zu kommen, um dem feierlichen Umzug beizuwohnen, hatte Haymo kopfschüttelnd erwidert: „Ich kann nicht fort, das Hochwild ist in der Setzzeit, ich muß auf die jungen Kälber acht haben, daß mir keiner darüber kommt, der vier Füß’ hat oder weniger.“ Dann hatte er die Armbrust auf den Rücken genommen, hatte die Hütte gesperrt und war hinaus gewandert in die vom Sonnenduft des Morgens umflimmerten Berge.

Müde, aber mit Augen, die sich nach keinem Schlummer sehnten, kehrte er abends in die Hütte zurück. Er bereitete sich den Imbiß, löschte das Feuer und zog, gewaffnet, wie er gekommen, wieder hinaus in die sinkende Nacht. Nicht allzufern von der Hütte, auf einer Felskuppe, die das weite Steinthal beherrschte, ließ er sich nieder. Das war ein Lieblingsplätzchen seiner schlummerlosen Nächte.

Tausend Sterne funkelten über ihm, aber ihr Glanz erblaßte schon vor dem Schimmer des steigenden Mondes, dessen Scheibe voll und groß emporschwamm über die wie mattes Silber glänzenden Firnen des „Steinernen Meeres“. In zartem Grau, als wären sie nicht körperlich, sondern gebildet aus erstarrtem Nebel, hoben sich alle Grate, Zinnen und Kuppen der Berge mit duftverschwommenen Linien in den mondbleichen Himmel, und über sie alle hinaus ragte der Watzmann mit seinem schneebedeckten Haupt wie ein greiser Ahn inmitten seiner Kinder.

Haymo saß, die Arme um die aufgezogenen Knie geschlungen, das Haupt an den kühlen Fels gelehnt. Mit heißen Augen blickte er hinweg über alle Berge, weit, weit in die verschleierte Ferne, wo zwischen Göhl und Untersberg das finstere Thal gegen das ebene Land hinauskroch wie eine schwarze riesige Schlange. Dort draußen konnte Haymo, wenn es Tag und reiner Himmel war, die Thürme von Salzburg blinken sehen. Jetzt aber zeigte ihm die Ferne nichts als ein unentwirrbares, eintöniges Grau, in das der steigende Mond weder Helle noch Schatten brachte. Doch nein ... je länger Haymo in die Ferne starrte, desto deutlicher sah er ein sanftes Leuchten, wie von zwei Sternen, die ein dünner Nebel umflossen hält ... und immer näher schienen sie zu kommen, immer heller wurde ihr Glanz, und nun standen sie vor ihm, zum Greifen nahe, zwei große, schöne, räthselhafte Augen in einem schmalen, blassen Gesichtchen, das ihn anlächelte, selig und traurig zugleich.

„Gittli! Gittli!“ Er schrie den Namen mit schluchzenden Lauten in die Nacht hinaus und barg das Gesicht in den zitternden Händen.

Stunde um Stunde verging. Es mochte Mitternacht vorüber sein, als ein Geräusch den Jäger lauschen machte. Aus dem Steinthal klangen Schritte, welche immer aussetzten und nach einer Weile, gedämpft und näher, sich wieder hören ließen. Da kam einer emporgestiegen, der für seine Schritte die grasigen Stellen des Pfades zu suchen schien ... er mußte also Gründe haben, nicht gehört zu werden.

Lautlaus glitt Haymo über den Hang herab und barg sich im schwarzen Schatten eines Gebüsches. Da sah er einen dunklen, unförmlichen Klumpen langsam durch das Thal empor schwanken. Haymo vermochte lange nicht zu erkennen, was das wäre; endlich sah er: es war ein Mensch, der einen gewaltigen Pack von dürrem Reisig auf dem Kopfe trug. Nun erreichte der Fremde den freien Platz, auf welchem die Hütten standen, und legte vorsichtig den Pack zu Boden. Da erkannte Haymo im Mondlicht den nächtlichen Besucher ... es war Zenzas Hüter, der Kropfenjörgi.

„Was will denn der Unverstand?“ murmelte Haymo und schaute kopfschüttelnd zu, wie Jörgi die Schuhe von den Füßen streifte und auf die Jägerhütte zuglitt. Der Bursche lauschte an Thür und Fenster, dann schleppte er einen Felsblock herbei, holte einen zweiten, einen dritten ... und so thürmte er lautlos einen dicken Steinwall vor der Thür empor. Das Reisig vertheilte er um die Blockwand und kauerte sich mit leisem Kichern auf die Erde nieder. Ein Schwefelfaden leuchtete bläulich auf, und aus dem Reisig züngelte eine helle Flamme. Jörgi schlich davon und rief mit häßlichem Gelächter gegen die Hütte zurück: „Du wirst der Zenza keinen Schimpf mehr anthun!“

Da traf ihn ein Faustschlag, daß er bewußtlos zu Boden stürzte. Haymo eilte auf die Hütte zu, riß das brennende Reisig auseinander und zertrat die Flammen.

Jörgi kam zur Besinnung; er wollte sich erheben, aber der Jäger warf sich über ihn, und da half es dem Burschen nichts, ob er auch um sich schlug, biß und kratzte wie ein wildes Thier ... ein kurzer Kampf, und er lag wehrlos mit geknebelten Händen.

„Steh auf!“ sagte Haymo.

Jörgi erhob sich.

„Geh’ voran!“

Der Bursche schoß aus seinen schielenden Augen noch einen Blick des Hasses auf den Jäger, dann trottete er mit gesenktem Kopf auf dem Steig dahin. Mit geschultertem Griesbeil ging Haymo hinter ihm her.

Es war Morgen geworden, als sie die Almen erreichten. Die Kühe zogen schon läutend über das Feld; aber an Zenzas Hütte war die Thür noch geschlossen. Haymo stieß das Griesbeil gegen die Bohlen. „Sennerin! Mach’ auf!“

Man hörte in der Hütte eine stammelnde Stimme, ein Geräusch ... dann wurde die Thür aufgerissen, und Zenza erschien, mit ungeordnetem Haar und nackten Schultern, den Jäger anstarrend mit erschrockenem Blick.

„Da bring’ ich Dir Deinen Hüter!“ sagte Haymo. „Er hat mich in meiner Hütt’ verbrennen wollen ... damit ich Dir keinen Schimpf mehr anthu’!“

Zenza wurde kreidebleich, dann wieder schoß ihr brennende ZornrÖthe in die Wangen, mit heiserem Schrei stürzte sie auf Jörgi zu und schlug ihm, eh’ es Haymo verhindern konnte, die Faust ins Gesicht. Jörgi wankte, sein Gesicht verzerrte sich, aber kein Laut kam über seine Lippen, und mit gläsernem Blick hingen seine Augen an dem Mädchen.

Haymo hatte sich abgewandt und war davongegangen. Da kam ihm Zenza nachgerannt und umklammerte seinen Arm mit zitternden Händen. „Haymo! Haymo!“ stotterte sie. „Ich thu’ Dir schwören bei allem, was heilig ist im Himmel und auf der Welt, ich hab’s ihm nicht geschafft ... ich hab’ nichts gewußt davon ...“

„Das weiß ich, Zenza.“

„Schau’, Haymo, schau’, wenn’s geschehen wär’ ... ich hätt’ ja selber sterben müssen ...“

Er schaute sie mit traurigen Augen an, löste sanft ihre Hände von seinem Arm, nickte einen Gruß und ging seiner Wege.

Wie zu Stein verwandelt stand das Mädchen und starrte ihm nach. Sie strich mit der Hand über die Stirn und kehrte müden Ganges zur Hütte zurück. Mit einem Messer zerschnitt sie den Strick an Jörgis Händen.

„Geh’, sag’ ich, und komm’ mir nimmer unter die Augen!“

Der Bursch glotzte sie an und rührte sich nicht.

„Mach’ fort, sag’ ich! Und wenn Du hinunterkommst, dann richt’ meinem Vater aus, er soll mir einen anderen Hüter schicken.“

Jörgi stand unbeweglich; nur ein Zittern lief über seinen Körper, als Zenza in die Hütte trat; dann athmete er schwer auf, rieb die Knöchel seiner Hände, faßte die Geißel, die an der Hüttenwand lehnte, und begann wie alltäglich seinen Hüterdienst.

Als es Mittag wurde, sah ihn Zenza die Kühe zum Stall treiben. „Du bist noch allweil da?“ rief sie ihn mit zornbebender Stimme an.

Ein wildfunkelnder Blick traf sie aus seinen Augen. „Ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_502.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)