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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

als diese gegen Herrn Berrys Wohnräume. Was für Verhältnisse thaten sich da vor ihm auf! In dieser dumpfen ungesunden Luft, dieser verwahrlosten Umgebung – konnten da andere Gedanken reifen als die, welche von den Arbeitern vorhin ausgesprochen worden waren? Er wußte nicht, wen er anklagen sollte, aber eine Anklage erhob sich mächtig in seinem Innern, eine Empörung des Mitleids, welche die halberwachte und immer wieder zurückgedrängte Liebe zum Vater mit einem Male hell entzündete. Davis saß auf dem Strohsack – in den ungefügen schmutzbedeckten Stiefeln, dem feuchten, von der Hitze des Ofens drunten noch dampfenden Kittel, in der müden gebrochenen Haltung schien er selbst ein verbrauchtes Stück dieser ärmlichen Welt ringsum zu sein.

„Das ist Dir wohl ’was Neues, mein Junge?“ begann er endlich. „Mich geniert’s nicht mehr, seit Deine Mutter tot ist, treib’ ich’s so. Manchmal freilich erinnere ich mich dran, daß es auch mit mir einmal besser stand, und dann ist’s bös; es war ja damals auch ein Elend, aber doch ganz anders; sie hat’s verstanden, aus dem schlechtesten Fetzen noch etwas zu machen, die Marie. Das Bett war sauber und gut; der polierte Schrank, die paar Teller und Schüsseln blitzten so appetitlich; der Spiegel, der Boden – alles blank, und in der Ecke das sauber überzogene Sofa, auf dem wir des Abends so glücklich beisammensaßen, bis über mich . . .“

Mit einem Laut, der wie ein Stöhnen klang, brach er ab und stierte schmerzlich vor sich hin.

Hans traten die Thränen in die Augen; jenes blasse feuchte Gesicht tauchte wieder deutlich vor ihm auf. Totenstille herrschte, nur die Kerze knisterte leise.

„Pah, vorbei ist vorbei!“ Davis machte eine wegwerfende Bewegung mit dem Kopfe. „Reden wir von unserer Angelegenheit! Ich habe Dich ein bißl grob angelassen gestern, es hat mich gereut nachher; aber der Teufel höre das ruhig an, was Du dahergeschwatzt hast. Die Mutter hat einfach das Lumpenleben satt gehabt, und ich kann’s ihr heut’ noch nicht verdenken. Und damit laß die Sach’ ein für allemal, es ist besser für uns beide! Wenn ich so meine Zeit hab’, dann packt mich die Wuth und ich bin zu allem fähig. So ist auch die letzte Geschichte passiert, der dumme Streit mit dem Vorarbeiter – ich hab’ ihn mit einer eisernen Stange niedergeschlagen, und das End’ waren vier Jahre Zuchthaus. Jetzt steh’ ich unter Polizeiaufsicht; darauf hat der Anstreicher unten angespielt und deshalb ist mir der Schutzmann aufgesessen. Dann war ich ein ganzes Jahr wieder richtig im Zuge; ’s hat nichts gefehlt, bis es vor ein paar Tagen wieder über mich gekommen ist – ich hör’s, allemal ordentlich heranschleichen. Da hab’ ich Angst gekriegt und es ist mir der Gedanke aufgestiegen: suchst den Hans auf, ’s ist doch Dein Kind, vielleicht hilft’s! So hab’ ich Dir aufgepaßt, und wie Du mich so hart angelassen hast, ist’s nur noch ärger in mir aufgestiegen; ich hätt’ einen Mord begehen können an Dir, hätt’ ihn vielleicht begangen, wenn nicht passiert wär’, was passiert ist. Ich hab’ alles gehört und gesehen, ich hab’ es auch erkannt, das Mädel vom Berry. Jetzt ist die Hitz’ wieder verflogen und, offen gesagt, es wär’ mir lieber, Du hättest nicht nach mir gesehen. Weil Du aber schon einmal da bist, wollen wir unsere Sach’ gleich richtig stellen. ich brauch’ von Dir nichts und will Dir nicht im Weg’ stehen. Was ich da gestern gered’t hab’ von gegenseitigem Helfen, ist ein Unsinn; hör’ nicht drauf! Unsere Wege gehen weit auseinander. Nur, wenn’s grad’ sein könnt’, das G’fühl möcht’ ich haben können, daß es noch eine Seel’ auf der Welt giebt, die – die – der noch ein bißl was liegt an mir. ’s ist ja Dummheit, ’s kümmert sich in der Welt kein’s ums andere, aber doch meint man, ganz allein ist’s nicht zum aushalten.“ Seine Stimme klang gebrochen, als stecke ihm etwas in der Kehle; allein mit einem Rucke sprang er auf und rief mit erzwungener Gleichmüthigkeit: „Geh’, lassen wir’s, ’s ist ja nur Einbildung, G’schwätz!“ Mit großen Schritten ging er auf dem knarrenden Boden hin und her.

Hans fühlte einen mächtigen Drang in seinem Innern. Eine Flamme leuchtete auf in seiner Brust, die nur angefacht zu werden brauchte, um nie mehr zu erlöschen. Bewegt streckte er dem Vater die Hand hin; doch dieser zögerte, sie zu ergreifen.

„Es ist keine Einbildung, es giebt eine Seele, die sich von nun an um Dich kümmern wird.“

In Davis’ hartem Antlitz zuckte es auf. Er faßte die Hand und preßte sie wie im Krampfe.

„Ist’s wahr, Hans?“

Der junge Mann sank schluchzend an die Brust des Vaters. „Dein Hans, der Sohn Deiner Marie!“

Jakob Davis stand mit gespreizten Beinen, seine Brust ging stürmisch, als hätte er eine Riesenlast zu stemmen, seine rauhen Finger preßten sich wie Klammern um das Haupt des Sohnes. Ein Ausdruck fast des Staunens über ein unbegreifliches Glück verklärte seine trotzigen Züge. Hinter einem harten Lachen suchte er seine seelische Erschütterung zu verbergen. „Der Pflegesohn des Herrn Berry, der Schatz des schönen Fräuleins – o Du Hauptkerl! Und dazu der ‚Schwarze Jakob‘, der Zuchthäusler, der Kanalarbeiter – eine nette Zusammenstellung das! Und doch ist’s so und doch willst mich nicht verleugnen! ‚Dein Hans, der Sohn Deiner Marie‘ – ja, ja, das bist Du! Aber hab’ ein bißl Nachsicht mit mir – wenn man so eine Freud’ gar nimmer g’wohnt ist, da geht einem alles rundum –“ Er drückte die geballte Faust auf die Brust. „So, jetzt geht’s schon wieder, jetzt setz’ Dich, Hans, und dann reden wir vernünftig! Wie denkst Du Dir denn die Sach’ in Zukunft?“

„Ich bin von morgen ab Angestellter der Fabrik Berry, Monteurgehilfe mit einem Gehalt von achtzehn Mark die Woche. Es ist nicht viel, aber immerhin mehr, als ich brauche. Meine Ersparnisse stehen Dir zur Verfügung und können wenigstens dazu dienen, Dir eine anständige Wohnung zu verschaffen, mehr freilich wird vor der Hand nicht herausspringen. Doch habe ich nicht im Sinne, Gehilfe zu bleiben, und dann kommt es ja besser. Ich habe nur eine Bitte: sorge dafür, daß Herr Berry unseren Verkehr nicht erfährt – er hat ihn mir ausdrücklich verboten. Der Kommerzienrath hat nun einmal eine schlechte Meinung von Dir. Mit der Zeit wird sich schon Gelegenheit finden, ihm eine bessere beizubringen und das Verbot zu beseitigen. Er ist berechtigt, Gehorsam von mir zu verlangen.“

„Wie kannst Du nur solange darüber reden, Junge!“ entgegnete Davis. „Als ob ich das nicht am besten selbst wüßte, daß die Leute nichts von mir erfahren dürfen, der Herr Berry und vor allem Deine Claire.“ Er lachte verschmitzt. „Bist doch ein verfluchter Kerl mit achtzehn Jahren – allen Respekt! Aber nimm’ Dich in acht, sie wird Dir noch vielen Kummer machen, Deine Claire, ich sage es Dir im voraus. Na, ich will jedenfalls das Meinige thun, um das zu verhüten. Wir wollen uns höchstens hie und da am Sonntag auf ein paar Stündchen treffen – unter der Woche kennen wir uns nicht, selbst wenn uns ein Zufall zusammenführen sollte. Da kann niemand etwas merken, und verderben kann ich Dich auch nicht in den paar Stunden, wohl aber kann ich Dir da und dort rathen – besonders wenn einmal die Claire wiederkommt. Ich kenne das – ob reich oder arm, vornehm oder gering, ist ganz gleich, wenn’s einen hübschen jungen Kerl gilt – also warum nicht? Oft schon dagewesen, so was; ich thät’s Dir gönnen, das Mädel!“

„Was war schon oft da? Was meinst Du mit dem ‚gönnen‘? Ich verstehe Dich nicht!“

„Was ich mit dem ‚gönnen‘ mein’?“ Davis lachte laut. „Nun, daß sie einmal Deine Frau wird! Was werd’ ich sonst meinen? Ich glaube wirklich, Du bildest Dir ein, es sei Dir nur um Freundschaft mit dem Mädel zu thun!“

Das Antlitz des Jünglings färbte sich dunkelroth. Der Vater sprach nur unverblümt aus, was der Traum seiner Nächte war, aber das Wort „Frau“, das er nie klar zu denken wagte, erschreckte ihn geradezu, die Ungeheuerlichkeit des Gedankens drückte auf ihn; er erklärte eine solche Vermessenheit für lächerlich, ja geradezu für schlecht, für ein Verbrechen an seinem Wohlthäter, Herrn Berry; kurz er gab sich sichtlich alle Mühe, diese Hoffnung in ihrem Entstehen zu vernichten.

Sein Vater hörte ihm ruhig zu und lächelte überlegen zu den Gegengründen des Sohnes. „Und doch ist es so,“ sagte er ruhig. „So jung Du bist – Du wirst keinen anderen Gedanken, keinen anderen Wunsch mehr haben, als sie Dir ganz zu erringen allen Hindernissen zum Trotz. Und wenn’s Dir gelingt, so ist das eine recht ausgesuchte Rache dafür, daß sie Dich einmal verschenkt haben wie ein Spielzeug. Der Stiel wird umgedreht, Du nimmst Dir die Kette ab und legst sie Deiner Herrin an! Und

warum soll’s nicht gehen, wenn Du’s vernünftig anpackst? Bist

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_519.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2022)