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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Sterben . . . sterben ... vor Freud’“ . . . schluchzte er, und was er weiter stammeln wollte, erstickte schon wieder in einem heißen, dürstenden Kuß.

Zenza stand in der Thür, mit geballten Fäusten und kalkweißem Gesicht. Sie konnte den Anblick dieses Glückes nicht länger ertragen, heiser auflachend wandte sie sich ab, rannte wie eine Wahnsinnige hinaus in das offene Almfeld, schlug in einem fort die Fäuste an ihre Stirn und schrie: „Giebt’s denn auf der Welt noch einen Narren, wie ich einer bin! Erschlagen hätt’ ich sie sollen heut’ in der Nacht . . . umbringen, umbringen . . . ins Wasser werfen . . . und ich selber hab’ sie hergeholt! So ein Narr! So ein Narr, wie ich einer bin!“

Unter der einsam stehenden Fichte warf sie sich auf die Erde, schlug die Nägel in den Rasen und schluchzte, schluchzte . .

Dann sprang sie wieder auf und trocknete mit dem Arm die Augen. „Da heroben bleib’ ich keine Stund’ nimmer!“ Ihre heißen Blicke spähten über das Almfeld, während sie mit gellender Stimme schrie. „Jörgi! Jörgi!“ Ihr Ruf verhallte, keine Antwort ließ sich hören. Eine Weile wartete sie . . . und wiederholte den Ruf. Alles blieb still. Nur die Kühe trabten ihr brüllend entgegen. „Meinethalben . . . mag alles hin sein ... das Vieh und alles . . . ich bleib’ und ich bleib’ nimmer!“

Mit eilenden Schritten ging sie dem Steige zu. Die Kühe zogen ihr nach, aber mit Steinwürfen trieb sie das Vieh zurück. An der Stelle, an welcher der Pfad sich in den Wald verlor, blieb sie stehen und blickte, zornig auflachend, noch einmal zurück nach der Hütte. „So ein Narr, wie ich einer bin!“ Und immer wieder lachte sie, während sie dem steil abwärtsziehenden Pfade folgte.

Ueber eine Stunde war sie schon gewandert, als sie schwer ermüdet auf einen Steinblock sank. Die beiden durchwachten und durchwanderten Nächte hatten ihre Kraft erschöpft. Sie schluchzte und lachte dann wieder gellend auf. Aber lange ertrug sie das ruhige Sitzen nicht. Während sie weiterlief, raffte sie einen dürren Stecken auf und zerschlug mit zornigem Hieb jeden grünenden Zweig, der über den Pfad hereinhing. Sie hatte schon den tieferen Bergwald erreicht. Da hörte sie plötzlich eine rufende Stimme, halb ubertäubt vom dumpfen Rauschen des nahen Wildbachs.

„Zenza . . . Zenza . . . Hoidoooh!“

Es war ein wild kreischender, angstvoller Ruf. Auflachend blieb das Mädchen stehen, und da klang es wieder – ein wenig näher schon:

„Zenza . . . Zenza . . . Hoidoooh!“

„Mir scheint, er sucht mich . . . der Tapp!“ stieß das Mädchen zwischen den Zähnen hervor; und da der Ruf nun abermals erklang, flammte eine dunkle Röthe über Zenzas Gesicht, und ihre Fäuste ballten sich. „Der! Der ist schuld an allem! Hätt’ er den Jäger in Fried’ gelassen, so wär’ der Haymo nicht zu mir gekommen, ich hätt’ mich nicht scheuen und schämen müssen vor ihm, er hätt’ nicht geredet mit mir, sein Herzleid hätt’ mir nicht die Seel’ umgedreht im Leib, und . . . und ich wär’ nicht hinein auf Salzburg . . . und müßt’ jetzt nicht einen Zorn in mir haben, daß ich mich selber gleich zerreißen könnt’. Der! Der ist schuld an allem! So schrien die jagenden Gedanken in ihr . . . alles, alles, was Jörgi verbrochen hatte, stand ihr vor Augen, wie mit Geißelschlägen ihren Zorn weckend, ihre Wuth schürend. Nur an eines dachte sie nicht: an jene Stunde, in der sie beim Ostertanz den von allen Verachteten, ihn und sich selbst verhöhnend, hervorgezerrt hatte aus seinem dunklen Winkel.

Nun sah sie ihn um die Wendung des Pfades biegen, in keuchendem Lauf, mit brennendem Gesicht und verstört umherspähenden Augen . . . und zwischen ihr und ihm lag das breite Bett des mit reißenden Wassern steil abstürzenden Wildbachs.

„Zenza . . . wollte Jörgi rufen, aber der Laut erstickte auf seinen Lippen; er hatte das Mädchen erblickt. Mit jauchzendem Schrei, mit Stammeln und Schluchzen kam er herbeigerannt, stieß das lange Griesbeil in das Wasserbett, warf sich hinüber mit hohem Schwung, brach in die Knie, raffte sich auf, und den Stock beiseite schleudernd, umschlang er Zenza mit beiden Armen . . .

Sie aber gab ihm einen Stoß vor die Brust, daß er rückwärts taumelte und niedersank, mit dem halben Körper in das Wasser klatschend. Er wollte sich aufraffen, allein eine Sturzwelle packte ihn, er drehte und überschlug sich, verschwand im Wasser und tauchte halb wieder auf. „Jesus Maria! Jörgi! Jörgi!“ schrie Zenza mit bleichen Lippen. Sie stürzte dem steilen Ufer zu, es gelang ihr, die eine Hand des Versinkenden zu erfassen, mit der anderen haschte er noch ihren Rock und klammerte sich an . . . brausend schlugen die Wellen uber ihn her und drückten ihn nieder . . in stummer Todesangst wollte Zenza aus seinen Händen sich losreißen, aber während sie kämpfte mit dem ganzen Aufgebot ihrer müden Kraft, wich der brüchige Grund unter ihren Füßen, ein röchelnder Laut noch rang sich von ihren Lippen, dann stürzte sie vornüber mit dem Gesicht in den Wildbach, und über sie hinweg gingen die schäumenden Wasser . . .

Welle rauschte über Welle, eine warf sich auf die andere, mit drängender Eile und zorniger Wucht. Aus allem Rauschen heraus noch hörte man das dumpfe Rollen der Steine, welche der Wildbach auf seinem Grunde trieb. Ueber steile Gehänge warf er sich hinunter, tobte zwischen verwaschenem Gestein hindurch, hinweg über gebrochene Bäume und verschwand in einer Schlucht, so eng und tief, daß der Himmel in der Nähe nur noch als ein dünner, blauer Streif schimmerte, während auf dem Grunde der Schlucht alles grau war, ohne Farbe, einzig weiß nur noch das schäumende Wasser. Dünne Quellen rieselten in die Tiefe hinunter, und die frei fallenden Tropfen leuchteten ein wenig, als möchte jeder von ihnen ein Stäubchen Sonne aus dem hellen Tag mit hinunter stehlen in die Finsterniß.

Brausend schoß der Wildbach aus der dunklen Schlucht wieder hervor in ein breites Bett, umschleiert von Wasserstaub, jede Welle bedeckt mit flockigem Schaum. Die Uferwände senkten und erweiterten sich. Blühende Büsche neigten sich über den Rand der Felsen und griffen wie mit hundert kleinen Fingerchen in den blauen Himmel. Buntfarbiges Moos und üppiges Flechtwerk spann sich um alles Gestein, an welchem der Wildbach vorüber rauschte, und die tanzenden Wellen spielten mit dem niederhängenden Gezweig, bis sie breit und ruhig hinausflossen in den stillen sonnigen See. – – –

Von Bartholomä einher kam langsam ein plumper Nachen geschwommen, beladen mit kleinen Blöcken von Ahorn und Zirbenholz. Ein alter Mann führte das Ruder. Im Bug des Schiffes saß Ulei, der Bildschnitzer; er hatte sich neuen Vorrath für seine Werkstätte geholt; in der Hand hielt er ein Klötzchen Holz und bosselte daran mit einem kurzen Messer. Gewandt und sicher führte er jeden Schnitt, und immer deutlicher trat aus dem Holz ein weibliches Köpfchen hervor.

Da sagte der Alte: „Ulei! Was liegt denn da drüben im Wasser?“

„Wo, Vater?“

„Wo der Wildbach auslauft.“

Ulei blickte auf und deckte die Hand über die Augen. „Wohl wohl, jetzt seh’ ich’s auch.“

„Es schaut sich schier an, als thät’ ein Häs[1] im Wasser liegen.“

„Vielleicht hat einer was verloren. Geh, Vater, fahr’ hinüber!“ Ulei steckte das halb vollendete Köpfchen mit dem Messer in die Tasche und erhob sich.

Der Alte drehte den Kahn und steuerte dem Ufer zu.

„Mein Gott, Vater,“ stammelte Ulei, „da hat’s ein Unglück gegeben . . . das ist ja ein Weiberleut! O du mein lieber Herrgott. Ja was kann denn da nur geschehen sein!“

Sie kamen näher. Von den Wellen des Wildbaches seitwärts getrieben, lag die Leiche auf seichtem Grund, überdeckt von durchsichtigem Wasser, auf welchem das Kleid und die bleichen Hände schwammen. Uleis Augen wurden starr und sein Gesicht erblaßte; mit schluchzendem Schrei sprang er aus dem Nachen und riß den leblosen Körper empor in seine zitternden Arme. „Vaterl, schau nur, schau ... die Zenza! Die Zenza!“ Die Worte erstarben ihm. In fassungslosem Schmerze blickte er auf die Entseelte nieder, deren Haupt mit triefendem Haar, mit geschlossenen Augen und blutlosen Lippen in den Nacken hing. Aus dem Mieder und unter den zerrissenen Zöpfen sickerte Blut in dünnen Tropfen hervor. Das Antlitz war unentstellt, fast schöner noch als einst im Leben, denn jeden Zug von Trotz und Wildheit hatte der Tod verwandelt in stillen Frieden.

Schluchzend watete Ulei an das Ufer, bei jedem Schritte wankend unter seiner Last.

„So ein Unglück!“ jammerte der Alte. „Mein Gott, die arme Dirn’! So ein junges lebfreudiges Leut! Geh, Ulei,

  1. Gewand
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_540.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)