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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Reichsein schmeckt! Ans Werk also!“ Und dieser Genosse war Jakob Davis – mit unwiderstehlicher Gewißheit drängte sich Hans diese Ahnung auf. Wo mochte er sein, der Vater? Wohl war er entkommen, aber was konnte ihm das nützen! Holzmann wird ihn sicher verrathen, dann war er bald aus seinem Versteck aufgestöbert, und der Name Davis, der heute in dem Glanze des Erfinderruhms strahlte, war der Schmach preisgegeben.

Vom Festplatz her klang die frohe Musik, das Jauchzen der übermüthigen Menge, während Hans verzweifelnd in seinem engen Stübchen auf und ab schritt und ohnmächtig wüthete gegen das grausame Spiel des Schicksals, das ihm die lastenden Ketten immer nur abnahm, um ihn, der kaum der Freiheit froh geworden, desto grausamer damit zu fesseln.


9.

Die Hoffnung Ottos, daß sich die gesellschaftlichen Verhältnisse seines Elternhauses nach der Rückkehr der Schwester rasch verändern würden, hatte sich erfüllt. Berry war selbst zu stolz auf sein blühendes geistvolles Kind, als daß er nicht die Pforten seines Hauses weit geäffnet hätte. Und alles strömte herbei, was immer durch Reichthum und Schönheit angelockt wurde. .

Claire, die reiche schöne Erbin, stand im Mittelpunkt des hauptstädtischen Interesses. Tausend neue Hoffnungsstrahlen zuckten im Herzen der Mütter auf, die sich des Besitzes stattlicher Söhne rühmten. Ehrwürdige, aber abgenutzte und verblichene Wappenschilder rasselten wohl in der Geisterstunde vor freudiger Ahnung. Die Männerwelt rüstete sich denn auch nach Gebühr zu dem Wettkampf, der hier entbrennen mußte.

Claire war in Paris eine Verehrerin der Kunst geworden, vor allem der dramatischen; es war ein Leichtes, die Größen der Hauptstadt auf diesem Gebiet in das gastfreundliche Haus zu ziehen. Die Offiziere und der hohe Adel fanden sich von selbst ein, Otto brauchte sich um sie gar nicht erst zu bemühen. Die Witterung von dem Edelwild, das hier gejagt wurde, war Lockung genug. So konnte es denn nicht fehlen, daß die Abende bei Berrys in kürzester Frist einen ausgezeichneten Ruf erhielten, und nach einem halben Jahre gehörte es zum guten Tone, dort gewesen zu sein.

Der Kommerzienrath fühlte sich nichts weniger als wohl bei dieser Entwicklung der Dinge, die ihm über den Kopf gewachsen war. Die ihm verwandten, sympathischen Elemente wurden mehr und mehr verdrängt, und in den neuen Kreisen, die sich um ihn her sammelten, fühlte er sich nicht heimisch. Der ganze Ton der Unterhaltung behagte ihm nicht, alles schien ihm Geflunker – Redensarten und gewandte Manieren mußten die innere Hohlheit verdecken. Oft floh er mitten aus der glänzenden Gesellschaft hinüber in die Werkstätten und athmete dort mit Wonne die rauchgeschwängerte Luft.

Außerdem wußte er, warum sie kamen, die jungen Herren – Claire war der Magnet, und vielleicht war der Räuber seines besten Kleinods schon unter diesen würdigen Genossen seines Sohnes, die nur genießen wollten, denen die ganze rührige segensvolle Welt, welche hier geschaffen worden, nur eine tote Sache war, die vernünftigerweise möglichst rasch in Geld umgesetzt werden müßte. Und der Weg dazu hieß für sie „Claire“. Wenn solche Gedanken in Berry aufstiegen, dann hielt er mit angstvollem Blicke Musterung. Die Künstler fürchtete er nicht, denen war es mehr um angenehme Gefälligkeit und schöne Frauenköpfe zu thun; sein Feind war viel eher unter dem Adel, in der Uniform zu suchen. Ein glänzender Name, vornehmes Aeußere, gewandte Formen – das waren ja in den Augen eines jungen Mädchens gefährliche Vorzüge. Und bald glaubte Berry den Gesuchten entdeckt zu haben in einem Grafen Maltiz, einem Regimentskameraden seines Sohnes.

In so unauffälliger Weise Claire ihn auch bevorzugte, dem Vaterauge entging es nicht. Der Kommerzienrath beobachtete scharf den jungen Mann. Dieser besaß eine Art männlicher Liebenswürdigkeit, der man sich nicht leicht entziehen konnte, und, was Berry für ihn einnahm, er zeigte wirkliches Interesse auch für das praktische Leben, für die Industrie. Schon einige Male hatte Berry mit ihm die Werke besichtigt und dabei lebhaftes Verständniß gefunden; sein Vater war Besitzer von Eisengruben und Hüttenwerken in Schlesien, das war eine Verbindungsbrücke mehr.

Berrys Urtheil über den Grafen begann unter diesen Umständen allmählich ein besseres zu werden. Da präsentierte man ihm eines Tages wieder einmal einen Schuldschein Ottos. Für gewöhnlich ärgerte er sich nicht mehr über solche Erfahrungen und brachte die Sache, wenn die Summe nicht zu hoch war, schweigend in Ordnung. Aber diesmal stand unter dem Namen seines Sohnes der des Grafen Maltiz als des Bürgen, das schmerzte ihn tief. Die festen Grundsätze, die Maltiz vor ihm stets im Munde führte, gehörten wohl auch zu den Salonlügen, sein Interesse für die Industrie war erheuchelt, vielleicht von Otto eingegeben, der seines Vaters schwache Seite kannte! Von diesem Augenblick an war ihm der Graf zuwider, und er überlegte, wie er der von dieser Seite drohenden Gefahr begegnen könnte.

Unwillkürlich stieß er dabei in seinem Gedankengang immer wieder auf Hans Davis. Nach dem Rathe eines sachverständigen Freundes ließ er ihn auf einige Zeit zu weiterer Ausbildung die technische Hochschule besuchen. Er sah in ihm schon den künftigen Direktor seiner Werke, ja er dachte bereits weiter. Warum sollte der geniale junge Mann nicht der einstige Besitzer sein? Allerdiugs, er war der Sohn eines Arbeiters, eines heruntergekommenen Menschen, aber Geist und Charakter deckten ja heutzutage jeden Makel der Geburt. Der Vater konnte, wenn er je wieder auftauchen sollte, gegen eine Abfindungssumme für immer entfernt werden. Und auch Claire schien dem jungen Freunde eine lebhafte Theilnahme entgegenzubringen, die vielleicht nur der Ermunterung bedurfte, um zum tieferen Gefühl zu werden. Ja, oft war es dem beobachtenden Vater, als sei eine solche Ermunterung gar nicht mehr nöthig, als stürze sich Claire nur deshalb in den Strudel der Geselligkeit, um sich zu betäuben, um den Sinn von etwas Unmöglichem, das sie quälte, abzulenken. Er glaubte zu bemerken, daß sie im geheimen immer wieder nach Hans blickte, gerade wenn sie zu Maltiz am liebenswürdigsten war, wie um die Wirkung ihres Benehmens auf den Jugendfreund zu beobachten. Sollte sie ein verdecktes Spiel spielen, hinter dem sich eine starke Leidenschaft verbarg?

Wenn dem so war, so wagte sie sich offenbar nicht hervor mit ihren geheimsten Wünschen, deren Erfüllung ihr unmöglich schien. Berry aber konnte sich nicht entschließen, einen entscheidenden Anstoß zu geben und die Zagende zu ermuthigen. Trotzdem zürnte er seinem Schützling, daß dieser keinen Schritt vorwärts that und sich ängstlich von Claire fernhielt.

Hans schleppte sich, seit er den Bericht über den Einbruch gelesen hatte, mühsam unter der Last seines dunklen Verhängnisses dahin. Er hatte sich am anderen Tage zu dem von Neugierigen umdrängten Orte der That begeben, hatte vorsichtige Fragen nach dem Entflohenen gestellt, dessen Festnahme man sicher erhoffte, und war endlich in die Kleegasse gegangen. Vielleicht wußte man in der „Fackel“ etwas über den „Schwarzen Jakob“, ja vielleicht hatte sein Vater die fragliche Nacht dort zugebracht, und alle Besorgniß war umsonst, der Genosse Holzmanns ein ganz anderer. Aber er hatte nicht gewagt, in die Wirthschaft einzutreten, nach dem Vater zu fragen – die thörichte Angst hielt ihn ab, selbst irgendwie in die Untersuchung verwickelt zu werden, da man ihn mit Holzmann zusammen gesehen hatte. So trug er die alte Ungewißheit weiter. Bald sollte die Verhandlung gegen Holzmann vor dem Gericht stattfinden – so lange hatte er noch zu leben als ehrlicher Mann, dann war vielleicht sein Name öffentlich gebrandmarkt, der Weg zu Claire ihm für immer abgeschnitten!

Mit solcher Qual im Herzen mußte er das Haus Berry besuchen, Claire gegenübertreten, mußte es mit ansehen, wie sie umschwärmt, vergöttert wurde, wie dieser Graf Maltiz täglich mehr an Boden gewann. O, wäre er frei gewesen, er hätte ihn nicht gefürchtet und alle nicht, so hoch und vornehm sie waren! Er wußte es jetzt, sie war ihm hold; er verstand ihre ermuthigenden Blicke, ihren Spott, ihren Aerger über seine Verzagtheit, er wußte, daß die Bevorzugung des Grafen ihr nicht ernst war, er glaubte zu merken, daß Herr Berry selbst seine Hand nicht zurückstoßen würde, wenigstens lag dieser Schluß nahe nach der Art, wie der Kommerzienrath jetzt oft über die Zukunft seiner Werke mit ihm sprach – er fühlte den höchsten Muth, die höchste Kraft in sich und – war gefesselt! Er hatte kein Recht, mit seinem geschändeten Namen in die Schranken zu treten um

Claire, kein Recht, in dieser Gesellschaft zu verkehren. Er lebte eine beständige Lüge, mußte stets gewärtigen, daß man nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_587.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2022)