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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


verwundetes Thier und lachte dann gezwungen mit, daß ihm die Thränen in die Augen traten.

„Na, so wird es gerade nicht kommen,“ sagte er rauh. „Aber ich bin auf dem Wege und der Holzmann auch, und darum handelt es sich. Willst Du mir dafür danken und vergessen, was Du meinetwegen hast erleiden müssen, soll’s mir recht sein. Ich bin halt so hineingekommen in das Fahrwasser, weiß der Teufel wie, und Dich hat’s ausgeworfen auf sicheren Boden, das ist der ganze Unterschied. Wirst nicht so herb urtheilen, wenn Du das bedenkst!“ Es lag eine Bitte in den letzten Worten.

Nun befiel Hans doch eine Bangigkeit, die dunkle Ahnung eines Unheils. „Vater, wäre es nicht besser, ich würde offen Herrn Berry und Claire Deine unglückliche Lage, Deine guten Vorsätze mittheilen? Claire liebt mich ja, sie wird bei ihrem Vater ein gutes Wort für Dich einlegen –“

Der Alte wandte sich mit einer ärgerlichen Bewegung ab. „Jetzt laß es aber gut sein – ich will nichts von Deinem Herrn Berry und Deiner Claire. Die Leut’ und vergessen! Und jetzt geh’ – Du hast nichts mehr zu thun mit uns zwei, das muß Dir genug sein!“

Traurig reichte Hans dem Vater die Hand. Dieser ergriff sie mit abgewandtem Gesicht und preßte sie krampfhaft.

Holzmann sah dem alten Davis mit komischer Gebärde ins Gesicht. „Thränen? Na, das ist rührend!“

Im gleichen Augenblick traf ihn ein Faustschlag auf den Kopf; er taumelte ächzend zurück und griff nach einem Messer auf dem Tische. Dieser Anblick schien Davis toll zu machen, die lange verhaltene Wuth gegen den Verhaßten brach sich Bahn, er sprang mit einem wilden Satze vor und schnürte die Kehle Holzmanns mit beiden Händen zusammen; sein Athem ging keuchend, die Augen waren blutunterlaufen.

Hans kannte die Wirkung dieses eisernen Griffes – ein Mord geschah, wenn er nicht einsprang. Schon wurde Holzmanns Blick gläsern und starr, seine ermatteten Glieder gaben den Widerstand auf – da löste Hans mit fester Hand die verkrampften Finger des Vaters, Holzmann sank keuchend zu Boden.

„Komm’ Vater, laß ihn!“ Er zerrte den Unschlüssigen am Arme gegen die Thür.

Jakob folgte einige Schritte, blickte dann auf den Mann am Boden, auf Hans, und plötzlich machte er sich gewaltsam frei. „Ich bleib’ – es muß sein, um Deinetwillen!“

Männerstimmen wurden draußen laut, sie kamen von der oberen Treppe.

„Mach’, daß Du fortkommst, man darf Dich hier nicht sehen!“ mahnte der Vater.

Eine fahrbare Desinfektionsanlage.

Betäubt, von einer instinktiven Angst vor neuen Verwicklungen getrieben, eilte Hans, ohne sich umzusehen, die Treppe hinab, über den Hof, ins Freie. Was hatte er erreicht? War er wirklich frei, so lange der Vater in der Hand dieses Schurken war? Was konnte das für ein Geschäft sein, von dem die Rede war? Ein ehrliches – im Bunde mit Holzmann? Unmöglich! Also zurück! Und doch – wozu? Der Vater folgte ihm ja doch nicht!

In rasendem Laufe war er bis zur Villa Berry gelangt, hier kam er zur Besinnung und schöpfte Athem im Schatten eines Baumes. Blutroth leuchteten die Fenster des Totengemachs, er konnte den Blick fast nicht davon wenden. Da flammte ein Licht auf der linken Seite des Baues auf, ein Fenster wurde hell. – Claires Zimmer! Ob sie wohl Schlaf fand nach solchem Tage? Ob sie je wieder so unbesorgt wie einst zur Ruhe gehen konnte, wenn sie erst mittrug an den Ketten, die ihn umschlangen? Denn alles bekennen – übermorgen bei der Fontäne – es gab doch keinen anderen Weg! Wie konnte er sein Glück auf das Schweigen eines Verbrechers gründen?




12.

Das Schicksal Ottos erregte allgemeine Theilnahme in der „Gesellschaft“. Er war auf der Wahlstatt des Sports gefallen, die ganze vornehme Welt empfand es daher als eine Verpflichtung, ihm die letzte Ehre zu erweisen.

Eine dichte Menschenmenge umlagerte die Villa Berry, angelockt von dem glänzenden Schauspiel, das hier zu erwarten war, begierig zu sehen, wie der sonst vom Geschick so begünstigte Mann, der Berry, dem Zeit seines Lebens alles so herrlich geglückt war, diesen harten Schicksalsschlag trage. Man sprach von „Helios“, dem vielen Gelde, das mit ihm verloren worden war, dem Pech des Grafen Maltiz, des Verlobten der jungen Berry.

„Was, des ‚Verlobtetn‘?“ ließ sich da eine Stimme hören. „Abgedankt ist er, bankerott, aus ist’s mit ihm!“

Von Mund zu Mund ging die Neuigkeit; man lachte darüber, man freute sich, diese Bevorzugten, oft Beneideten auch einmal tüchtig heimgesucht zu sehen, und fand einen Trost darin für den eigenen drückenden Kummer.

Der Sarg, blumenbedeckt, von acht Soldaten getragen, erschien unter dem Portal. Offiziere in glänzender Uniform gingen zur Seite, dahinter kam der Vater, Kommerzienrath Verry, festen Schrittes.

Alle Köpfe reckten sich nach ihm. „Der Berry!“ flüsterte es bis in die hintersten Reihen.

Die strengen festen Züge des Kommerzienrathes verriethen nichts von dem, was in ihm vorging – so wie jetzt blickte er auch bei seinem Rundgang durch die Fabrik oder wenn man zu ihm in sein Bureau gerufen wurde, zu Lob oder Tadel. Nur die festgepreßte Unterlippe zuckte manchmal schmerzlich und die Festigkeit des Schrittes schien nicht ganz ungezwungen zu sein.

Neben Berry, in gleicher Linie mit ihm, während alle übrigen Beamten der Fabrik erst in einem Abstand folgten, ging Hans Davis. Diese Anordnung gab reichlichen Gesprächsstoff für die Zuschauer, unter denen sich viele Arbeiter der Fabriken befanden. Was war dieser junge Mann, daß er bei solchem Anlaß zur Linken Berrys gehen durfte wie ein Angehöriger der Familie? „Ein Monteur der Fabrik“ – das reichte doch nicht zu. Des Kommerzienraths Liebling, der die neue Lokomotive erdacht hatte – aber das gab ihm doch noch nicht die Rechte eines Familiengliedes! „Der Nachfolger des Grafen – er bekommt das Mädel und den ganzen Mammon,“ lief es plötzlich durch die Reihen und niemand wußte, woher die Kunde stammte. Jetzt war Hans Davis der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – dieses unverschämte Glück!

Oben am Fenster standen zwei Damen in Schwarz, die Mutter und die Schwester des Toten. Ehe der Zug sich in Bewegung setzte, wandte sich Davis um und schaute hinauf. Dann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 661. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_661.jpg&oldid=- (Version vom 6.7.2021)