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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

zu beruhigen, daß es sich widerstandslos und höchst muthig einen langen Splitter aus dem Fingerchen nehmen ließ, den es beim Hinfallen auf rauher Diele sich eingeschoben hatte. „Ich höre Dein Lob in allen Tonarten von Alten und Jungen und wenn ich etwas auszusetzen habe, so ist es nur das, daß Du, die andere so herzensfroh machen kann, dies bei Dir selbst nicht zustande bringst.“

„Soll ich mit mir selbst reden?“ antwortete sie leise lächelnd.

„Nein, das ist eine üble Angewohnheit, die nur ganz einsame und verbitterte Menschen an sich haben,“ erwiderte er.

„Nun, ich ertappe mich gegenwärtig zuweilen dabei,“ sagte sie wie zu sich selbst, und das eigenartige Lächeln huschte wieder um ihren Mund.

„Da haben wir’s, Unnütz! Du schließt Dich zu sehr ab; Du müßtest hinaus, unter frische Jugend!“

Sie hob die langen Wimpern und sah ihn an mit einem so wehen Ausdruck, daß ihm ganz weich zu Muthe wurde.

„Unnütz,“ sagte er eindringlicher als bisher, „weshalb gehst Du nicht mehr zu Therese? Ihr wart doch früher oft zusammen.“

„Was soll ich mit ihr reden? Wir haben gar nichts Gemeinsames, und das, was wir hatten – –“ sie verschluckte den Nachsatz.

„Aber dann komm’ doch abends zuweilen hier herunter, Mutter und ich sind oft allein.“

„Ich weiß nicht, ob ich darf.“

„Ich bitte Dich, Kind, sei nicht einfältig!“ antwortete er ärgerlich.

„Es ist vielleicht einfältig, Fritz; aber seitdem ich weiß, Du bezahlst mich für meine Hilfe, da würgt es mir an der Kehle, da ist es mir, als ob eine Schranke zwischen uns steht, so hoch!“ Sie reckte den Arm in die Höhe und stellte sich auf die Zehen.

Er sah sie groß an; sie stand vor ihm, blaß und mit zuckender Lippe. „Julia!“ sagte er bewegt und faßte ihre beiden Hände. „Ja, wie soll ich’s Dir denn nun klar machen? Komm’, sieh mich einmal an – glaubst Du, daß ich Dir habe wehthun wollen? Kennst Du mich denn noch nicht besser? Das einzige, was ich wollte, war, der Tante eine Hilfe zukommen zu lassen. Du weißt doch, wie sie ist! Sie hat einen unbeugsamen Hochmuth, trotz ihrer jämmerlichen Lage, und ich ehre diesen Hochmuth; ich glaube, ich wäre selbst nicht anders. Auf Dich aber hat das keinen Einfluß, Julia, und – daß ich Deine Hilfe gar nicht zu bezahlen vermöchte, selbst wenn ich wollte, das weißt Du. Wer in aller Welt könnte mir denn so zur Seite stehen, wie Du es jetzt thust? Etwa meine Mutter oder Tante Riekchen? Wahrhaftig, kleiner Unnütz, Du machst Dir da ganz thörichte Gedanken! Wenn es Dich beruhigt, so nimm getrost an, daß Dein sogenanntes Honorar eine fromme Lüge ist, daß Du mir einfach beistehst, die arme gequälte Frau da oben ein wenig zu betrügen, zu ihrem Besten. Auf irgend eine Weise würde ich sie doch unterstützen, ob Du mir hilfst oder nicht.“

„Ist’s wahr? Sage mir – ist’s wahr?“ fragte sie langsam.

„Was denn Kind?“

„Das, was Du eben sprachst, daß ich Dir wirklich helfe, daß es kein anderer kann?“

„Ja, Unnütz! Habe ich Dich jemals belogen?“

Er schüttelte die Hände, die sich ihm entzogen, um sich einen Augenblick vor ein erglühendes Antlitz zu legen.

„Dann ist’s gut, dann –“ Das andere verstand er nicht.

„O Du thörichtes, wunderliches Kind,“ sagte er. „Aber spricht da nicht die Mutter? Nun bist Du vernünftig, gelt? Leb’ wohl, Unnütz, grüble nicht mehr!“

„Nein,“ antwortete sie, „ich will nicht mehr darüber nachdenken, ich will alles glauben.“ Sie ging bis zur Thür, dort wandte sie noch einmal den schönen Kopf zurück und die dunklen Augen blitzten zu ihm hinüber. „Jetzt möcht’ ich mich selbst auslachen,“ sagte sie, „hätte ich Dich nur gleich gefragt, Fritz!“

Er öffnete die Augen weit. Es lag etwas in dem Blicke des seltsamen Geschöpfes, das ihn wie ein Vorwurf berührte, das ihn gemahnte an einen Frühlingsnachmittag droben im Dachstübchen, wo er diesen schön geschwungenen Mund geküßt hatte, heiß und lange. Er starrte noch die Thür an, als sie längst gegangen war. „Nein, das ist lächerlich! Wie eine Schwester liebt sie mich – Dummheiten! Ich habe doch heute rein gar nichts gesagt, was . . .“

Und nach einigen Augenblicken brannte er sich eine Cigarre an, begann an einem wissenschaftlichen Bericht über nervöse Herzgeräusche zu arbeiten und hatte vorläufig alle Mädchenaugen der Welt vergessen. –

Als Julia in den Flur trat, rief ihr die Räthin entgegen: „Mein Gott, was habt Ihr denn zu schwatzen? Der letzte Kranke ist ja schon eine Ewigkeit weg, und Du solltest mir doch helfen, die Pelze auszupacken, draußen schneit’s. Schon längst hätt’s geschehett müssen!“ Und sie öffnete, ohne das glühende Gesicht Julias zu bemerken, eine nach dem Gärten gelegene schmale Kammer, in der Kleiderschränke und Truhen an weiß getünchten Wänden standen. Dort erschloß sie einen alten Eichenkasten, aus dem sich alsbald ein durchdringender Geruch von Kampher und Naphthalin, vermischt mit dem von Pfeffer, entwickelte.

„Hör’ ’mal,“ begann sie, indem sie neben Julia vor der Truhe kniete, „merkst Du eigentlich gar nichts?“

„Was?“ fragte das Mädchen und hielt den ungeheuren Iltismuff der Räthin einen Augenblick unbeweglich empor.

„Na!“ Die alte Dame zwinkerte vertraulich mit den Augen. „Ich meine, wer denn nun endlich der Auserwählte von Thereschen sein wird? Erzählt sie Dir gar nichts?“

„Gar nichts, Tante,“ antwortete Julia.

„Das liegt an Dir,“ meinte die Räthin verdrießlich und schlug ihren Pelzkragen so heftig gegen die Truhe, daß eine wahre Wolke von Pfeffer herausstäubte . . . „Hazi! – Was können Dich auch Liebesgeschichtett – hazi! – interessieren?“

„Gott helf’ Dir, Tantchen!“ sagte Julia, und ihr ernstes Antlitz überflog ein schelmisches Lächeln.

„Zu meiner Zeil war’s anders – hazi! – Großer Gott, es ist ja schrecklich, dieses Niesen! Wenn wir Mädchen allemal zusammenkamen, redeten wir von nichts anderem. Du könntest aber wohl ’mal das Gespräch drauf bringen, zum Beispiel wenn ich nächstens den großen Kaffee geb’ – verstehst Du? Denn geben muß ich ihn und zwar bald. Da legt Ihr Mädchett Karten und dreht Euch die Buben, und wenn sie roth wird bei einem, dann ist er’s – hazi!“

„Gott helf’ Dir, Tante!“

„Den Kaffee geb’ ich, ehe die Krautners abreisen. Du weißt wohl gar nicht, daß der alte Dickkopf hustet – vorgestern haben sie ja den Fritz holen lassen. Das Thereschen behauptet, ihr Vater müsse durchaus nach dem Süden, je eher, je lieber – na, das Geld haben sie ja. Sollt’ mir nur leid thun, wenn das Mädchen so einen Reisebräutigam mitbringen würd’; da unten in Monte Carlo, da läuft Gott weiß was für Mannsvolk umher, das Jagd macht auf reiche Erbinnen – ich weiß das noch von damals, als in Wiesbaden Roulette war – und hernach giebt’s ein Elend.“

„Nein, Tante, die bringt sich keinen Bräutigam mit,“ sagte Julia im Tone felsenfester Ueberzeugung.

„Gelt?“ stimmte die Räthin beruhigt zu. „Sie ist zu klug, weißt Du!“ Und die alte Dame rutschte ein bißchen näher zu Mamsell Unnütz hin und flüsterte ihr mit nie vorher dagewesener Vertrauensseligkeit in das kleine rosige Ohr: „Weißt Du, ich glaub’, der Fritz und das Thereschen sehen sich ganz gern und – Himmel, was ist denn da zu lachen, Du dummes Ding?“

Mamsell Unnütz hatte wirklich gelacht, so herzlich, hell und jauchzend, daß der Schall davon noch an der kahlen Decke hinlief. Und nun wurde sie roth. „O Gott, Tante, verzeih’ mir,“ bat sie.

Die ärgerliche Frau beruhigte sich brummend.

„Tantchen, ich will auch die Buben drehen!“ gelobte Mamsell Unnütz jetzt mit ernsthaftem Gesichtsausdruck, obgleich ihr innerlich noch das helle glückselige Lachen durch die Seele scholl. O mein Gott, wenn die alte Dame wüßte, was sie wußte, daß das Thereschen längst gewählt, und daß der Doktor – der Doktor –

„Recht so – und Du mußt mir auch sonst helfen bei der Kaffeevisit’!“

„Gern, Tante.“

„Und das Riekchen muß mir ihre Kaffeelöffelchen borgen, sonst, bei der Menge Damen – ich lad’ all’ die Mädchen mit ein – hat man zur Creme wieder großes Aufwaschen.“

Unnütz ward blaß. „Ach, die Löffel – ja weißt Du denn nicht?“

„Was soll ich denn wissen? Die sind doch nicht etwa gar nimmer da?“

„Ich weiß nicht – ich glaube –“

Die Frau Räthin bekam einen zornrothen Kopf. „Verkauft oder versetzt?“ schrie sie.

„Ich glaube, verkauft,“ stotterte das junge Mädchen.

„Na, da hört doch alles auf!“ rief die Räthin erbost und erhob sich. „Großer Gott, wenn das die Eltern selig wüßten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 711. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_711.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2023)