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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Baudenkmäler sind wohl entdeckt und erforscht. Wenn anfangs die meterhohen Ablagerungen von Schutt und Erde in den Höfen der Gebäude, der wuchernde PFlanzenwuchs in und auf denselben und der gänzliche Mangel einer geschichtlichen Ueberlieferung dazu verleitet hatten, den Ruinenstädten ein ungeheures, selbst vorsintfluthliches Alter beizulegen, so wichen diese phantastischen Vermuthungen bald einer nüchterneren Anschauung, als man fand, daß einige der alten Städte zur Zeit der spanischen Eroberung noch bewohnt gewesen sein mußten, da ihre Namen in den Berichten aus jener Zeit erschienen. Andere haben aber unzweifelhaft schon damals so wie heute in Trümmern gelegen, so z. B. die große Stadt Palenque in Chiapas, denn die Spanier unter Cortez sind in einigen Meilen Entfernung an ihr vorübergezogen, ohne daß sie von dem Vorhandensein eines so bedeutenden Ortes in jener Gegend etwas erwähnen. Allerdings läßt sich aus dem Umstande, daß manche der alten Städte am Anfange des 16. Jahrhunderts noch bewohnt waren, ein sicherer Schluß auf das Alter der Gebäude nicht ziehen, denn diese können trotzdem einer viel früheren Zeit angehören, und auch der Zustand der Ruinen selbst gestattet kein Urtheil, denn das feuchte und heiße Klima der Tropen und die ungeheure Vegetation zerstört die Alterthümer unglaublich schnell, so daß die Zeit nicht mehr fern ist, wo die letzte Mauer gefallen sein wird. Dennoch steht jetzt jedenfalls soviel fest, daß die Kultur, welche die Spanier bei ihrer Ankunft in Yucatan vorfanden, in unmittelbarem Zusammenhang stand mit der jener alten Ruinenstädte, und daß die heutigen Eingebornen Yucatans Nachkommen der Erbauer jener Städte sind. Ja, Stephens ererzählt in seiner Reiseschilderung die Wundermär, es liege nach Berichten der Eingebornen noch heutigen Tages tief im Innern des Landes, wohin niemals ein Europäer gekommen sei, eine jener alten Städte vollständig wohl erhalten und bewohnt von Eingebornen, die noch im Besitze der alten Bildung seien; man habe von den Gipfeln der Sierra bei klarem Wetter diese Wunderstadt in der fernen Ebene gesehen!

Die Gesammtzahl der Ruinenstädte ist sehr groß, und namentlich in der eigentlichen Heimath der Mayas, auf der Halbinsel Yucatan liegt eine Fülle solcher Baudenkmäler unter dem Urwald begraben. Die bedeutendsten sind, außer den schon erwähnten Copan in Honduras und Palenque in Chiapas, die Ruinenstädte von Uxmal, Chichen-Itza, Kabah und Tutoom in Yucatan, sämmtlich im Gebiete der Völker des Mayastammes gelegen. Der Baustil der Mayas ist im großen und ganzen dem mexikanischen, wie wir ihn aus den dortigen Teocallis (Tempeln) kennen, verwandt. Auf gewaltigen, viereckigen Terrassen, die nach den Himmelsgegenden orientiert und auf allen Seiten mit Stufen versehen sind, erheben sich die langen und niedrigen Gebäude, mit flachen Dächern und zahlreichen Eingängen, die Fronten mit Skulpturen überladen, die meist phantastisches Schnörkelwerk, mitunter aber auch sehr geschmackvolle Ornamente zeigen. Der Gesammteindruck der altamerikanischen Bauwerke ist dem der indischen Baukunst am ähnlichsten. Die überreiche üppige Tropennatur mag den künstlerischen Sinn dieser Volker auf das Barocke und Phantastische hingewiesen haben, und es läßt sich nicht leugnen, daß in der Fülle der centralamerikanischen Vegetation dieser eigenthümliche Baustil einen harmonischer Eindruck hervorbringt. Daneben finden sich aber auch vereinzelt Gebäude von ganz einfachem und edlem Stil, so z. B. zu Zayi in Yucatan ein sehr merkwürdiger, auf S. 751 abgebildeter Tempel, der mit seinen glatten Säulen und seiner strengen Architektur fast an griechische-klassische Tempelbauten erinnert.

Steinernes Götterbild von Copan.

Die Pyramidenform der altamerikanischen Gebäude hat zu mancherlei Vergleichen mit dem Baustil der alten Aegypter Veranlassung gegeben. Indessen die Unterschiede sind sehr bedeutend. Die ägyptischen Pyramiden sind selbständige Gebäude, von beträchtlicher Höhe und in der Regel mit glatten Seitenflächen, während in Centralamerika die terrassenförmig übereinandergebauten, wenig hohen aber sehr breiten pyramidenförmigen Anlagen nur den Unterbau bilden, auf dem sich der eigentliche Tempel erhebt. Unsere Abbildung des „Castillo“ zu Chichen-Itza liefert den Beleg für das Gesagte.

Eine gleich hohe Entwicklungsstufe wie die Architektur hatte die Bildhauerkunst bei den Mayas erreicht. Die vorzüglichsten Beispiele sind zu Copan gefundene Götterfiguren, etwa 4 Meter hohe, massive Steingötzen in der Form breiter Säulen, die ebenso wie die dazugehörigen Altäre mit bewunderungswürdiger Kunst gemeißelt sind und von denen unsere nebenstehende Abbildung eine Probe (nach Meye und Schmidt, „Steinbildwerke von Copan und Quirigua“) giebt. Sie bleiben hinter den ägyptischen oder indischen Bildhauerwerken in keiner Weise zurück. Nicht minder kunstvoll sind die Ornamente und Skulpturen, mit denen die Tempelwände bedeckt sind und die ehemals in bunter Uebermalung prangten. Die Figuren sind entweder alterthümlich steif, mitunter phantastisch entstellt, nicht selten aber auch von überraschender Naturtreue und Lebenswahrheit. Reich an gut ausgeführten Bildwerken sind namentlich die Gebäude zu Palenque. Da sehen wir die Gestalten der vergessenen Könige und Großen, Darsteltungen aus ihrer Geschichte und die Figuren der Gottheiten, und in langen Zeilen melden uns die Inschriften, was damals jene Welt bewegt hat. Aber die allmächtige Zeit ist darüber hingeschritten, die Namen, die einst in Mittelamerika widerhallten, sind verschollen und verklungen, die Völker verschwunden, und der Forscher aus einer fernen Welt steht vor den Hieroglyphentafeln und entziffert mit Mühe die Kalenderdaten und die sonstigen Zeitangaben, das Einzige, was bis jetzt von diesen Inschriften mit einiger Sicherheit gedeutet werden kann. –

Die Leistungen der Mayas in der Bau- und Bildhauerkunst sind um so bewunderungswürdiger, als den Mayavölkern ebenso wie den Azteken das Eisen gänzlich unbekannt war, eine höchst auffallende Thatsache, wenn man bedenkt, daß nach neueren Forschungen die alten Aegypter bereits 3000 Jahre v. Chr. im Besitz des Eisens waren. Die herkömmliche Anschauung von der Aufeinanderfolge der verschiedenen Kulturstufen: Steinzeit, Bronze- und Eisenzeit wird durch solche Thatsachen arg erschüttert. Die Mayas bedienten sich lediglich steinerner oder kupferner Werkzeuge, und derjenige Stein, der bei ihnen die Stelle des Eisens vertrat, war der Obsidian, eine vulkanische glasharte Masse, dem Feuerstein ähnlich, die allerdings den Stahl ersetzen kann und zu haarscharfen Messern, Meißeln, Beilen, Pfeil- und Lanzenspitzen verarbeitet wurde.

Was wir außer durch die Alterthümer über den Zustand des Mayavolkes erfahren, beruht meist auf den Schilderungen der spanischen Schriftsteller zur Zeit der Eroberung Mittelamerikas, und diese Berichte sind leider recht spärlich. Yucatan blieb unbeachtet, weil es keine Schätze barg; Mexiko und Peru mit ihren ungeheuren Goldreichthümern nahmen damals das öffentliche Interesse ausschließlich in Anspruch. Der größte Theil der mittelamerikanischen Kulturgeschichte wird wohl für immer in tiefem Dunkel bleiben. Manche alten Ueberlieferungen, die über das Räthsel jener großartigen Ueberbleibsel wichtige Aufschlüsse geben könnten, mögen wohl, ängstlich behütet und verborgen vor den Augen der spanischen Eindringlinge, mit dem letzten Priester der einheimischen Völker Zentralamerikas ins Grab gesunken sein.

Der Mayastamm, dem jene alten Kulturvölker höchst wahrscheinlich sämmtlich angehört haben, ist von den Azteken Mexikos ganz verschieden, spricht eine eigene Sprache und seine Abkömmlinge bewohnen noch heute Yucatan und die angrenzenden Länder. Alle diese Völker zeigen noch jetzt eine starke Widerstandsfähigkeit trotz ihrer Entartung infolge der jahrhundertelangen spanischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 750. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_750.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)