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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

bei Paris – der bis heute der Uebungsplatz der französischen Aeronauten geblieben ist – durch den Ingenieurkapitän Coutelle mit dem erst zehn Jahre vorher erfundenen Luftballon Versuche gemacht, um seine Brauchbarkeit für das Rekognoscieren feindlicher Stellungen zu erproben. Man benutzte hierzu einen neun Meter im Durchmesser haltenden, mit Wasserstoff gefüllten Ballon, welcher durch starke Seile am Erdboden befestigt war und eine Gondel mit zwei Personen trug. Die Verständigung mit den unten gebliebenen Personen erfolgte durch verabredete Zeichen mit bunten Flaggen. Die Ergebnisse fielen so glücklich aus, daß alsbald eine Compagnie sogenannter „Aerostiers“ gebildet und der Armee Jourdans zugetheilt wurde, bei deren Unternehmungen dieser erste „Ballon captif“ oder „Fesselballon“ denn auch gute Dienste gethan haben soll. Während der Schlacht bei Fleurus am 26. Juni 1794 befand sich Coutelle mit einem General in der Gondel, und er erzählt in seinem Bericht, daß der Oberfeldherr von ihm über jede Bewegung der Oesterreicher rechtzeitig in Kenntniß gesetzt worden sei. Aber bei der Expedition nach Aegypten ging das gesammte Ballonmaterial durch Kaperung des Transportschiffes verloren, und dieses Mißgeschick war nicht geeignet, Napoleons Interesse für die Sache zu wecken; so schlief sie nach und nach wieder ein. Auch die 1802 aufs neue angestellten Versuche verliefen ergebnißlos, und nicht besser ging es später in Oberitalien, bei der Potomacarmee, in Paraguay und an anderen Orten. Erst die jüngste Belagerung von Paris brachte den Ballon als Kriegshilfsmittel wieder zu Ehren. Von den Ballons, welche zwischen dem 28. September 1870 und dem 22. Januar 1871 Paris verließen, wurden 91 Passagiere (darunter Gambetta), 363 Tauben und 2½ Millionen Briefe mitgenommen und meistens auch wohlbehalten abgeliefert. Nur fünf Ballons geriethen in die Hände der deutschen Truppen. Dagegen scheiterten alle Versuche, Luftschiffer von außen nach Paris hinein gelangen zu lassen.

Aufsteigen des Fesselballons.

Diese letztgenannte schlimme Erfahrung hatte zur Folge, daß man den schon zwanzig Jahre vorher von dem Luftschiffer Giffard angeregten Gedanken eines lenkbaren Luftschiffes wieder aufnahm und den Marine-Ingenieur Dupuy de Lome mit dem Baue eines solchen betraute. Die Belagerung von Paris hatte aber auch bei einem deutschen Ingenieur die Idee erzeugt, ein lenkbares Luftschiff herzustellen. Im Dezember 1870 führte der in Mainz geborene Paul Hänlein in seiner Vaterstadt ein kleines Modell vor, bei welchem er eine mit Leuchtgas aus dem Ballon selbst gespeiste Gaskraftmaschine als treibende Kraft verwandte. Leider scheiterte die weitere Ausführung an einer Menge widriger Umstände, hauptsächlich am Geldmangel; es war aber jedenfalls ein Deutscher, welcher die in vielen Stücken noch bei den heutigen Konstruktionen übliche Form des Luftschiffs erfunden und zuerst angewendet hat (vergl. „Gartenlaube“ 1882 S. 217). Das Modell, welches 1881 Tissandier vorführte und das soviel von sich reden machte, war in wesentlichen Theilen dem Hänleinschen Luftschiff nachgebildet. Dupuy de Lome’s Arbeit aber, die im Jahre 1872 vollendet wurde, fiel so unglücklich aus, daß man vorläufig von weiteren, sehr kostspieligen Versuchen Abstand nahm. Erst auf Gambettas Betreiben, der den Ballons eine dankbare Zuneigung bewahrt hatte, entschloß sich die Regierung, trotz mancher Unfälle und schlechter Erfahrungen, die Verwendung der Aeronautik im Kriege aufs neue ins Auge zu fassen.

Für die Pariser Ausstellung des Jahres 1878 hatte Henry Giffard einen Fesselballon hergestellt, in einer Größe, wie sie bisher noch nicht dagewesen war; bald darauf rief das bereits erwähnte Tissandiersche Modell eines lenkbaren Luftschiffs, bei welchem die Gaskraftmaschine Hänleins durch einen elektrischen Treibapparat ersetzt war, das größte Aufsehen hervor. Beide Konstruktionen trugen dazu bei, das Interesse für den Kriegsgebrauch der Luftschiffahrt bei allen Militärstaaten wieder zu beleben. Besonders war Tissandier von wesentlichem Einfluß auf die Arbeiten des französischen Geniehauptmanns Renard; diese wurden jedoch gänzlich geheim gehalten und drei Jahre, scheinbar ohne Erfolg, fortgesetzt. Um so großartiger war die Wirkung, als am 9. August 1884 Renard, dem inzwischen der Pompierhauptmann Krebs beigegeben worden war, ein lenkbares Luftschiff „La France“ dem Kriegsminister vorzuführen vermochte. Er hob sich mit demselben etwa 400 Meter über den Erdboden, beschrieb in weiten Bogen eine 8 und kehrte ohne Schwierigkeiten nach seinem Auffahrtsorte zurück. Sein Luftschiff bestand aus einem etwa 50 Meter langen Ballon in Cigarrenform von 8 Metern im größten Durchmesser und einem Raumgehalt von 1860 Kubikmetern. Seine Hülle war aus den feinsten Seidenfäden gewoben, die sehr schmale Gondel 33 Meter lang, ihr Gestell aus Bambusrohr, ebenfalls mit Seidenzeug überzogen. Durch eine Flügelschraube von acht Metern Durchmesser wurde das Schiff vorwärtsgetrieben; diese war am Vordertheil der Gondel angebracht und drehte sich um einen eisernen Hohlcylinder, welcher mit dem elektrischen Motor einer Dynamomaschine verbunden war; am hinteren Ende befand sich das Steuer. Der bei den ersten Versuchen angewandte Motor wog kaum 100 Kilogramm, man hatte indessen mit ihm infolge seiner leichten Bauart allerlei Unfälle und sah sich genöthigt, eine kräftigere Maschine von neun Pferdekräften anzubringen.

Obgleich die jetzt im Gebrauch befindliche Maschine, die etwa 600 Kilogramm wiegt, 3600 Umdrehungen der Schraube in einer Minute ermöglicht, beträgt die bisher erreichte Geschwindigkeit doch nur 6,4 Meter in der Sekunde; das ist noch zu wenig, um das Schiff zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung verwendbar erscheinen zu lassen. Aber trotz dieses Mangels ist der lenkbare Ballon in Frankreich zur Einführung gelangt, und das große Anwesen der französischen Militär-Luftschifferabtheilung zu Meudon hat jetzt die Aufgabe, möglichst vollkommene Ballons zu bauen, eingehende Versuche mit gefesselten, frei schwebenden und lenkbaren Ballons anzustellen und den erforderlichen Bedarf an erfahrenen Militär-Luftschiffern heranzuschulen. Die ausgebildeten Leute werden in Abtheilungen zusammengestellt und mit je einem freischwebenden Ballon je einer Festung des Landes zugetheilt, um für den Fall einer Belagerung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_768.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2024)