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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

natürlich erst recht thun würde, wenn ich fort bin. Sie hat mir ohnehin noch nicht vergeben, daß ich die drei Meter langen Wickelbänder nicht benutze, die noch von Dir da sind, und kann’s nicht begreifen, daß ich dem armen Kerlchen nicht in den schönsten Sommertagen eine wattierte Mütze auf den Kopf setze, sobald er in den Garten getragen wird."

„Ach, Therese, das habe ich ihr ja alles auseinandergesetzt. Sie liebt den Jungen eben zärtlich und –“

„Na, und nun kommt als zweite Beschützerin wohl Tante Riekchen, die selbst eine Wärterin braucht?“

„Nun gut, von Tante Riekchen sehen wir ab, dann aber vergiß Julia nicht!“

Jetzt blitzte es in den Augen der Frau Therese auf. „Ich muß Dich dringend bitten, Julia in dieser Angelegenheit als gar nicht vorhanden zu betrachten!“ rief sie. „Ich habe ganz bestimmten Anlaß zu der Meinung, daß sie mich nicht leiden kann; sie hat auch mein Kind nicht lieb –“

„Therese, Du wirst ungerecht!“

„Nein,“ antwortete erregt die junge Frau, „ich bin es nicht! Wenn Du nicht das thörichte sentimentale Mitleid mit ihr hättest, das Männer in innerster Seele allemal für diejenigen hegen, von denen sie sich geliebt glauben, so würdest Du längst bemerkt haben, welch geradezu widerwärtiges Betragen diese Mamsell Unnütz mir und dem Kinde gegenüber zur Schau trägt. Ganz von oben herab betrachtet sie mich.“

„Weil Du einen Kopf kleiner bist als sie,“ schaltete er gelassen ein.

„Ich scherze ganz und gar nicht in diesem Augenblick!“ rief sie. „Wenn ich etwas sage, zuckt es bei Fräulein Julia geringschätzig um die Mundwinkel; spiele ich mit dem Kinde, so sehe ich die dunklen Augen so seltsam auf mich gerichtet – ich kann es nicht ausdrücken wie – geradezu hungrig; sie gönnt mir den Buben nicht. Und wenn wir alle drei zusammen sind, so wendet sie sich ab und geht in ihre Stube, als sei unser Anblick Gift. Sie ist ein unheimlicher neidischer Charakter!“

„Wer erzählte Dir denn, daß sie mich einst liebte?“ fragte er ruhig, und seine Augen sahen an ihr vorüber zu dem Majolikateller, den Julia zur Hochzeit gemalt hatte.

„Mein eigenes bißchen Verstand, Herr Doktor, und Ihre eigene Frau Mutter.“

„So?“

„Und daß Du durch diese Thatsache noch immer tief gerührt bist, abermals mein eigener Verstand und meine eigenen Augen.“

„So?“

Er räusperte sich plötzlich, goß ein Glas Wein ein und sagte dann mit lauter Stimme: „Also, es wäre abgemacht, der Bube bleibt hier unter meiner und der Frau Doris Aufsicht.“

Sie sah ihm mit einem prüfenden Blinzeln in das Gesicht. Da sie aber nichts weiter zu erkennen vermochte als einen ungeheuer bestimmten Ausdruck, der einen Widerspruch kaum zuließ, seufzte sie, begann einen Pfirsich zu schälen und bemerkte dann:

„Man muß eben einmal wieder die Klügere sein und nachgeben.“

„Daran thust Du gut, kleine Frau!“

„Freust Du Dich denn nicht, daß ich gar nicht eifersüchtig bin auf – diese Julia?“ fragte sie nun und hielt ihm lächelnd die eine Hälfte der Frucht hin.

„Ich finde daran wirklich nichts, was mich zur Freude reizen könnte, es ist völlig normal,“ entgegnete er. „Ich würde mich höchstens freuen, daß sie nicht eifersüchtig ist. Du weißt ja, daß neben Dir kein anderes Bild in meinem Herzen Platz hat, ausgenommen das unseres Buben.“

Sie war aufgestanden und kam zu ihm herüber, um ihm einen Kuß auf die Stirn zu drücken. „Bist doch ein guter alter närrischer Mann,“ sagte sie.

Er hielt sie fest und zog sie auf seine Knie. „Und ich hoffe, Dein Herz ist ähnlich gebaut wie das meinige,“ scherzte er, „hat ebenfalls nur so ein kleines Kämmerlein, daß mein Bube und ich gerade drin Platz finden.“

Sie bog den blonden Kopf zurück. „Und wenn es nicht so wäre?“ flüsterte sie, und die blauen Augen strahlten voll Koketterie zu ihm empor.

„Therese, darüber sollst Du keine Scherze machen!“

„Nein, nein, laß!“ beharrte sie, „sage mir, was würdest Du thun, wenn Du entdecktest, daß außer Dir noch ein anderer Mann –“

Er antwortete nicht, er schien sich blitzartig einen Augenblick in diese Lage hineinzudenken, und die junge Frau erschrak, so aschfahl erschienen seine Züge, so starr blickten seine Augen.

„Um Gotteswillen!“ rief sie, „es war ja nur Scherz, Fritz!“ Und sie rüttelte ihn an der Schulter, selbst erbleicht.

„Was ich thun würde?“ sagte er dumpf. „Ich weiß es nicht, der Augenblick würde es mir eingeben, aber – ich kann einen Mord aus solcher Eifersucht begreifen.“

Sie erhob sich; es war, als ob ein Frost sie schüttle.

Und jetzt suchte er sie zu beruhigen. „Du thörichte kleine Frau, das kommt von Deinem dummen Fragen. Warnm von Dingen reden, die außer allem Bereich des Möglichen liegen? Komm’, trinke einen Schluck Wein und geh’ zu Papa, sag’ ihm, ich vertraue ihm zu der Erholungskur mein köstlichstes Besitzthum an. Und reise bald, damit Ihr bald wiederkommt!“

Er küßte sie noch einmal und ging hinunter.


Julia saß neben dem Fahrstuhl der Tante Riekchen unter dem Nußbanm im Garten. Die alte Dame schaute träumerisch vor sich hin, während Julia ihr die Zeitung vorlas. Die Räthin schnitzte Bohnen, ohne dabei den Blick von dem Kinderwagen zu lassen, der im Rebengang an der Mauer von Frau Doris hin und her geschoben wurde. Die kreischende Stimme der Alten, die mit dem kleinen Bübchen in allerhand unverständlichen Zärtlichkeitsausdrücken sprach, scholl bis hier herüber.

Das Gesicht der Räthin drückte Mißvergnügen und Argwohn aus; das der alten Wärterin glich dem einer gereizten Löwin, der man das Junge nehmen will. Frau Therese hatte gestern ihre Reise angetreten, und schon heute früh waren Großmutter und Doris am Bette des schlummernden kleinen Weltwunders anseinandergeplatzt, und der Doktor hatte kaum vermocht, die empörten Gemüther zu besänftigen.

Die tiefe wohlklingende Stimme Julias ward plötzlich unterbrochen durch den schrillen Ruf der Räthin: „Fahren Sie auf der Stelle aus dem grellen Sonnenschein da fort! Das Würmchen soll wohl den Hitzschlag kriegen?“

Die Wärterin that, als habe sie nichts gehört, und schwatzte ruhig weiter mit dem Pflegebefohlenen. „Gelt, mein Herzchen, gelt, Du hast sie lieb, die Sonne? Ei, ei, die gute schöne Sonne!“

„Das Frauenzimmer muß aus dem Hause, oder ich kriege den Schlagfluß!" stammelte die alte Dame.

Julia hatte das Blatt sinken lassen, so lange der Zwischenfall dauerte, und las nun weiter den Schluß einer Gerichtsverhandlung.

„Sieh’ doch erst einmal, ob etwas aus Afrika drin steht!“ bat Fräulein Riekchen.

„Ich sah schon nach, Tante; es kommt aber nichts,“ antwortete das junge Mädchen.

„Auch nicht unter den Depeschen?“

Julia suchte nach den Depeschen – Paris – London – Madrid. „Sansibar,“ murmelte sie. Auf einmal hob sie das große Zeitungsblatt dicht vor ihr Gesicht, und das Papier bebte in ihrer Hand.

„Warum zitterst Du?“ fragte die alte Dame.

Langsam sank das Blatt; die blassen aber unbewegten Züge des Mädchens wurden wieder sichtbar. „Zitterte ich?“ fragte sie. „Es ist nichts drin von Afrika.“

In diesem Augenblick lief die Räthin im vollsten Zorne hinüber, um der verhaßten Kinderfrau aus nächster Nähe ihre Meinung ins Gesicht zu schleudern.

Tante Riekchen blickte starr ihre Pflegetochter an.

„Soll ich weiter lesen?“ fragte Julia – ein seltsam veränderter Tonfall war in ihrer Stimme.

„Steht wirklich nichts Neues von Afrika drin?“

Julia schüttelte den Kopf und sah dem Doktor entgegen, der von seinen Berufswegen in der glühenden Augustsonne zurückkehrte, im leichten grauen Sommeranzug, den Strohhut in der Hand und seine Stirn mit dem Taschentuch trocknend. Sie machte sich etwas hinter dem Stuhle der alten Dame zu schaffen, sah den Näherkommenden an und legte den Finger auf die Lippen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 778. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_778.jpg&oldid=- (Version vom 16.8.2022)