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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

holen“. Der Rechtsanwalt folgte ihr ohne ein Wort der Entschuldigung, es seinen Gästen überlassend, sich sein Verschwinden zurechtzulegen.

Aengstlich blickte Serena von der feinen Stickerei, auf die sie sich gebückt hielt, in die Höhe und unvermittelt in zwei Augen, die fest und warm auf sie gerichtet waren, mit einem Ausdruck, der ihr alles Blut zum Herzen trieb. Ihre Hände zitterten so stark, daß sie die Arbeit nicht mehr halten konnten.

„Serena!“

„Herr – Herr Hauptmann!“ Sie wollte aufstehen, sich entfernen, aber die Knie versagten ihr den Dienst.

„Fräulein Serena! darf ich reden, wie ich – vor fünf Jahren – hätte reden sollen? Ich war vorhin unfreiwilliger Zeuge des Gesprächs – –“

Serenas Blässe wich einer dunklen Röthe. Die Schritte – großer Gott! „Sie waren dort im Arbeitszimmer? Und Sie haben zugehört?“

„Nicht länger, als die Ehre es erlaubte.“

Sie sah unsicher nach ihm hin. Ihr ganzes Wesen war in Aufruhr.

Unwillkürlich war sie weiter von ihm abgerückt, so daß der Lampenschirm ihm ihr Gesicht verbarg. Er schob die Lampe ruhig auf die Seite. „Darf ich reden?“

Und ohne ihre Antwort abzuwarten, fuhr er fort:

„Erinnern Sie sich noch an jenen dämmernden Dezembernachmittag, der mich im Auftrag unserer gemeinsamen Freunde zu Ihnen führte mit der Bitte, daß Sie den Weihnachtsabend hier bei uns verleben möchten? Sie saßen – o ich seh’ es noch – vor Eifer wie in Rosengluth getaucht, an einer Handarbeit. Das krause Haar, das Sie noch immer, trotz der Mode, in die Höhe streichen, war in die Stirn gefallen, wie es immer thut, wenn Sie erregt sind.“

Serenas Finger fuhren unwillkürlich nach der Stirn, um das widerspenstige Geringel fortzustreichen, das ihr auch jetzt wieder vorgefallen war. Darunter hervor sah sie halb gerührt, halb ärgerlich zu ihm auf.

Lächelnd fuhr er fort: „Ihre Arbeit sollte noch bis zum anderen Tage fertig werden – eine grüne Börse war’s – wenn ich mich nicht irre, dieselbe, die dort drüben – –“

Serena fuhr in die Höhe, einen scheuen Blick auf ihren Arbeitskorb werfend, der seitwärts auf dem Tische stand. Hans aber legte bittend die Hand auf ihren Arm und drückte sie sanft auf ihren Sessel nieder.

„Bin ich denn ein so fürchterlicher Mensch, Serena, daß Sie davonlaufen müssen? Und interessiert Sie das, was ich zu sagen habe, auch nicht ein bißchen? – So, das ist lieb von Ihnen, daß Sie sich wieder niederlassen! Sehen Sie, als es sich damals um die Frage drehte, ob ich gehen oder bleiben sollte, da war der arme Bursch verliebt bis zur Narrheit, bis zum – Versemachen. Statt vor Sie hinzutreten als ein ehrlicher Soldat und zu sprechen: ‚So steht’s – nun sag’, was weiter werden soll,‘ bringt der dichtende Held sein übermäßiges Empfinden zu Papier, dieses Papier auf eine, wie er meint, sehr zarte und sehr kluge Art in Ihre Hände und harrt am nächsten Abend mit verzehrender Ungeduld seines Christgeschenks und – wartet heute noch darauf. Denn die Arbeit ist – verzeihen Sie, Serena“ – er nahm die Häkelei sorglich aus dem Korbe – „die Arbeit ist unglücklicherweise nicht vollendet, der Gefühlserguß des blöden Schäfers nie gelesen worden.“ Mit schlecht verhehlter Hast entfernte er den Seidenrest von dem Papier und zeigte dieses, nachdem er es geglättet, dem Mädchen, dessen Züge wie von einer Morgenröthe des Glückes überstrahlt erschienen.

Der kleine Bogen war beschrieben – – Verse!

„Darf ich – lesen?“

Sie lächelte – aber zugleich traten ihr die lange zurückgedrängten Thränen in die Augen; mit einer leisen Handbewegung gab sie die Erlaubniß.

Eine flammende Gluth ging über die männlichen gebräunten Züge, und die Hand, mit der Hans glättend immer und immer wieder über die tiefen Brüche des mißhandelten Papiers fuhr, zitterte gleich seiner Stimme, als er begann, das altgewordene Gedicht zu lesen:

„O Weihnacht! Deutsche Weihnacht! Unvergessen
Dem Mann, was einst des Kindes höchster Klang!
Ein Strom von Liebe, Liebe unermessen,
Durchwogt die Welt und löst des Winters Zwang,

Wandelt in Frieden wilden Sturms Gebrause,
Zaubert den Frühling zwischen Schnee und Eis –
Ach! doppelt einsam, wer aus öder Klause
Hinüberschaut in der Beglückten Kreis!

Dort jubeln Kinder, helle Augen funkeln
Den Glanz des Christbaums schöner noch zurück – –
Wo führt der Weg hinüber aus dem Dunkeln?
Wann blüht auch ihm, das er ersehnt – das Glück?

In ihren Zügen glaubt er es zu lesen,
Den Abglanz dessen, was ihn selig macht –
Ach, ob es Wahrheit, ob es Traum gewesen.
Verkünde du ihm, heil’ge Weihenacht!

Kein armes Kind geht unbeschenkt von hinnen –
O, löse du der Zungen starres Band!
Laß treues Herz ein treues Herz gewinnen,
Gieb Hände, die sich suchen, Hand in Hand!“

Leise verklangen die letzten Worte des Gedichtes – die Hände und die Lippen der beiden fanden sich in jenem seligen Schweigen, das die süßeste von allen Sprachen der Liebe ist.

Einen Augenblick lang hatte dies stille Glück einen Zeugen – Frau Lucie war leise über die Schwelle getreten; aber rasch ging sie wieder zurück und schloß die Thüre hinter sich behutsam zu. Drinnen im Nebenzimmer warf sie sich mit einem mühsam unterdrückten Jubelruf dem Gatten an den Hals. „Gottlob, die Sache ist in Ordnung! Aber ich sag’ Dir – wie die Zwei da drin beieinandersitzen … das ist noch schöner als bei unserer Verlobung!“

„Hm!“ brummte der Rechtsanwalt – er brummte immer, wenn er eine große Rührung überwinden wollte – „dafür hat es allerdings auch nicht so lange gedauert, bis ich den Mund aufthat.“

„Oder ich!“ rief sie. „Wer war der Erste?“ Er blieb die Antwort schuldig, und nicht ungern. Denn sie verstand es noch heute nicht weniger gut, ihm den Mund zu schließen, wie damals, als er – oder sie zuerst gesprochen hatte.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_814.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2023)