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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Dort verglühte die Flamme, die das reizende Weib in seinem Herzen entzündet hatte, und seine Liebesleidenschaft verwandelte sich in kühle, wenn auch immer dankbar ergebene Freundschaft. Sie aber hoffte noch auf ihn und liebte ihn wie niemand auf der Welt, mit der tiefsten Leidenschaft, deren ein Frauenherz fähig ist. Und wahr wurde so, was sie befürchtet hatte: sie fand zwar den Mann ihrer Ideale, doch das erträumte Glück ihres neuerstandenen Lebens nicht.

Bei Lisieux, in der Nähe von Anisy, wo sie ihre Jugend und die schöne Zeit ihrer Ehe verlebt hatte, kaufte sie sich nach Wiederherstellung ihres Vermögens Schloß und Herrschaft von Fervacques. Dorthin zog sie sich zurück mit ihren zertrümmerten Hoffnungen. Wenig Theilnahme erregte ihr ferner noch das Treiben der Welt. Das Kaiserreich, die brutale Pracht und Ruhmgier des Militärstaates waren ihrem feinfühlenden Wesen zuwider. Auf Fervacques, im Winter auch in ihrer Wohnung zu Paris, führte sie ein bescheidenes Leben, vereinsamt im Gemüth, wenig gesellig und dies nur ihrer Mutter zu Gefallen, welche immer noch die Dame des achtzehnten Jahrhunderts war und sie auch zu spielen wußte. Frau von Staël blieb die nächste unter den Freundinnen der Marquise von Custine, und jener Roman, in dem die geistvolle Tochter Neckers 1803 den Konflikt des Weibes zwischen Sittengesetz und Neigung zu so tiefgreifender Darstellung brachte, erhielt den Titel „Delphine“, denn für die Heldin desselben hatte die unglückliche Geliebte Chateaubriands Modell gesessen.

Eines Tages kam in die Pariser Wohnung Delphinens ein behäbiger Mann, wettergebräunt, etwas bäurisch in Benehmen und Kleidung. Er ließ sich der Marquise melden: Herr Albert Gérôme. Ihr Retter, dessen Liebesdienst sie vor Jahren hatte erwidern können, hatte sein Glück in Amerika gemacht und war nach dem kaiserlichen Paris gekommen, um da sein erworbenes Vermögen zu genießen. Delphine empfing ihn mit großer Herzlichkeit, er sollte sich fortan als den Freund ihres Hauses betrachten, dem die Thüre desselben immer offen stand. Aber er machte davon keinen Gebrauch und sagte ihr, warum:

„Ich komme, wenn Sie allein sind, nicht aber, wenn hier Besuch ist. Ihre Freunde würden mich wie ein merkwürdiges Thier ansehen, und Sie würden mich nur aus Güte empfangen. Denn ich kenne Ihr Herz. Ich aber würde mich nicht wohl hier fühlen und enthebe mich solchen Zwanges. Ich bin nicht von gleicher Herkunft wie Sie, spreche nicht wie Sie; wir haben nicht dieselbe Erziehung erhalten. Habe ich etwas für Sie gethan, so auch Sie für mich. Wir sind quitt.“

Sie fühlte wohl, was er ihr damit gestand. Er kam manche mal wieder zu ihr, wenn sie keinen anderen Besuch hatte. Nie aber sprach er wieder so zu ihr, wie er es bei jenem ersten Wiedersehen bewegten Herzens gethan hatte; bald hörte sie dann, daß er gestorben sei. –

Das Kaiserreich stürzte zusammen, die Bourbons kehrten zurück und bauten sich ihr Königthum wieder auf. Im Gegensatz zu ihrer Mutter, der immer noch lebenslustigen Frau von Boufflers, verharrte Delphine auch jetzt weltüberdrüssig in ihrer Zurückgezogenheit. Die alte Aristokratie, die sich in dem Königreich der Bourbons wieder breit machte, erschien ihr doch nur wie klägliches Gespensterthum, das durch eine neue Welt huschte, um vergeblich die alte zu suchen. Desto mehr gewann der deutsche Geist Einfluß auf Frau von Custine. Er gewährte ihr eine erfrischende Anregung, seitdem sie ihn kennengelernt. Frau von Staël hatte die erste Veranlassung dazu gegeben, und Delphinens Bruder Elzear hatte in Berlin zum Theil noch seine Ausbildung erhalten; ihre Mutter stand mit den Berliner Gesellschaftskreisen mannigfach in Beziehung. Vor allem war es Rahel von Varnhagen, welcher sich Frau von Custine geistesverwandt fühlte und mit der sie die innigste Freundschaft schloß. Sie lernte in der Stille von Fervacques Deutsch und las da Goethe, Tieck, Kant, Fouqué. „Das ist eine indirekte Art, mich mit denen zu beschäftigen, die ich liebe,“ schrieb sie an Rahel 1816, „und der Gedanke daran wird mir genügen, mir diese Beschäftigung werth zu machen.“

Bald kamen Jahre, wo sie mehr und mehr kränkelte; im Sommer 1826 entschloß sie sich deshalb, einen Aufenthalt in der Schweiz zu nehmen, in Bex am Genfer See. Lausanne war in der Nähe, und dort hielt sich Chateaubriand auf. Ihn liebte sie noch immer; ihn sehen, ihn sprechen zu können, war immer noch ihr höchstes, von ihm, auch wenn er in Paris lebte, so selten berücksichtigtes Verlangen. Wenn ein Wiedersehen mit ihm der letzte Wunsch war, der sie nach Bex führte, so sollte er unerfüllt bleiben. Unerwartet schnell starb sie im Alter von 56 Jahren am 15. Juli. Als Chateaubriand davon erfuhr, eilte er von Lausanne nach Bex, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Er sah sie im Sarge, eine zarte Gestalt, von ihrem prächtigen Seidenhaar eingehüllt, im Tode noch schön. Ihre Leiche wurde nach Fervacques gebracht und dort nach ihrem Willen an der Seite der kurz zuvor gestorbenen jungen Gemahlin ihres Sohnes Astolfe in dem Kirchlein des nahen Dorfes Sainte-Aubin beigesetzt. Noch ein Winter, dann folgte ihr auch die Mutter nach, die alte Marquise von Boufflers.


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Der Tuifelmaler.

Eine oberbayerische Dorf- und Seegeschichte. Von Max Haushofer.
Mit Bildern von Oscar Gräf.

Golden liegt die Herbstsonne auf dem See und den fernen Wäldern, die sich wundersam klar im Wasser spiegeln. Und dieses Wasser plätschert an die alten Weiden des Ufers her mit einer Naturmusik, welche die Seele ganz gefangen nimmt.

Jahrzehnte sind vergangen, seit ich als Kind an derselben Stelle saß. Auch damals spielten die Wellen krystallhell um den Strandkies. Sie spielten aber auch um ein Fahrzeug seltsamer Art, das ich in ihnen liegen sah; um ein Fahrzeug, das mir, ob auch nun sein letzter Span längst im See versunken ist, nicht aus der Erinnerung kam.

Von diesem Fahrzeug und seinem Herrn möchte ich etwas erzählen.

Girgel Söllhuber, so hieß der letzte Eigenthümer des Fahrzeugs, hatte eine etwas unklare Vergangenheit. Man erzählte im Dorf, er hätte einmal studieren sollen, aber nichts getaugt. Sicherer ist, daß er’s in seiner Jugend mit verschiedenen Handwerken probierte, ohne es in einem derselben über die Lehrlingsstufe hinauszubringen. Schließlich nahm ihn ein Vetter, der in einem benachbarten Städtchen ein ziemlich blühendes Anstreichergeschäft betrieb, noch einmal zur Probe als Lehrling an. Und dieser Beruf ward die Grundlage – wenn es überhanpt eine solche gab – für Girgels späteres Leben.

Girgels Meister war ein ganz tüchtiger Handwerker; nur die künstlerische Ader fehlte ihm. Die aber besaß der Girgel in reichem Maße. Nun mußte dazunal ein Anstreicher in einem oberbayerischen Landstädtchen auch ein Stück von einem Künstler sein, denn er hatte nicht bloß Hochzeitskästen, Grabkreuze, Balkone und Fensterladen anzustreichen, sondern ebenso Wirthshausschilder und „Marterln“ zu malen. Die letzteren sind jene kleinen Täfelchen, welche das Landvolk zur Erinnerung an bedeutende Ereignisse, namentlich zur Erinnerung an Unglücksfälle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 864. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_864.jpg&oldid=- (Version vom 20.5.2023)