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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


0 Landwehrlied.

     Wie sich auch brüstet
     Der Feinde Macht,
     Wir sind gerüstet,
     Wir halten Wacht.
Es steht die Landwehr treu und fest und stark,
Wie glorreich sie gestanden immerdar,
Des deutschen Landes Kraft, des Volkes Mark,
Ein sich’rer Horst dem kaiserlichen Aar.
     Die Fahne hoch, dem Kugelregen
     Die muth’ge Mannesbrust entgegen!
     Zum Kampf, zum Siege sturmgeschwind!
     Es harren unser Weib und Kind,
     Des Hauses Glück, der Heimath Segen.

     Da ragt der Älte
     Im Steingewand!
     Die Wolke ballte
     Die starke Hand:
Die Heereswolke mit dem Siegesblitz,
Einst schuf sie Scharnhorst aus des Volkes Kern,
Und an der Katzbach und bei Dennewitz
Verhüllte sie des Welterob’rers Stern.
     Die Fahne hoch, dem Kugelregen
     Die muth’ge Mannesbrust entgegen!
     Zum Kampf, zum Siege sturmgeschwind!
     Es harren unser Weib und Kind,
     Des Hauses Glück, der Heimath Segen.

     Und wieder lohte
     Des Krieges Brand,
     Der Feind bedrohte
     Das deutsche Land
Da nah’n die Kaisergarden siegesfroh –
Sie sind wie einst dem Untergang geweiht;
Geboren wird ein zweites Waterloo,
Es ist Sedan getauft für alle Zeit.
     Die Fahne hoch, dem Kugelregen
     Die muth’ge Mannesbrust entgegen!
     Zum Kampf, zum Siege sturmgeschwind!
     Es harren unser Weib und Kind,
     Des Hauses Glück, der Heimath Segen.

     Im Feld geschlagen
     Der Feind erliegt –
     Die Festen ragen
     Noch unbesiegt.
Vor ihren Wällen ein lebend’ger Wall,
So spannten wir um sie ein eisern Netz;
Sie brachen’s nicht, sie wichen überall,
Und unser ward das alte deutsche Metz!
     Die Fahne hoch, dem Kugelregen
     Die muth’ge Mannesbrust entgegen!
     Zum Kampf, zum Siege sturmgeschwind!
     Es harren unser Weib und Kind,
     Des Hauses Glück, der Heimath Segen.

     Und Belfort lauert
     An Deutschlands Thor,
     Reckt hingekauert
     Das Haupt empor,
Zum Sprung bereit hinein ins deutsche Land,
Aus feur’gen Nüstern sprühend Todesgraun;
Gefesselt ward’s von unsrer tapfern Hand,
Wir haben ihm die Tatzen abgehaun.
     Die Fahne hoch, dem Kugelregen
     Die muth’ge Mannesbrust entgegen!
     Zum Kampf, zum Siege sturmgeschwind!
     Es harren unser Weib und Kind,
     Des Hauses Glück, der Heimath Segen.

     Und immer preisen
     Und feiern wir
     Ums Kreuz von Eisen
     Des Lorbeers Zier!
Der Lorbeer ist’s, den Dank und Liebe flicht,
Der Ruhm, den keine künft’ge Zeit begräbt.
Die Landwehr stirbt, doch sie ergiebt sich nicht!
Die Landwehr lebt, solang ein Deutsckland lebt;
     Die Fahne hoch, dem Kugelregen
     Die muth’ge Mannesbrust entgegen!
     Zum Kampf, zum Siege sturmgeschwind!
     Es harren unser Weib und Kind,
     Des Hauses Glück, der Heimath Segen.
 Rudolf von Gottschall.



BLÄTTER UND BLÜTHEN.


Werner von Siemens. (Mit Bildniß.) Zu Anfang der vierziger Jahre saß auf der Citadelle von Magdeburg ein junger preußischer Artillerielieutenant als Gefangener. Er hatte in einem Duell als Sekundant gedient und sollte diese Missethat nach dem Wortlaut der damals geltenden strengen Gesetze wider das Duellieren mit fünf Jahren Festungshaft büßen. In seiner Zelle aber sah es sonderbar aus. Sie glich einem richtigen chemischen Laboratorium, und der junge Offizier hätte können für einen der alten Alchimisten gehalten werden, die man einsperrte, damit man des von ihnen zu gewinnenden Goldes gewiß habhaft werde. Denn er hielt in der Hand einen schönen goldigen Theelöffel, und auf seinem Gesicht lag freudige Erregung.

Der Gefangene hieß Werner Siemens und der goldige Theelöffel vertrat seine erste Erfindung. In der Stille seiner Haft hatte er Versuche mit der galvanischen Vergoldung und Versilberung angestellt, und als ersten Triumph seines Forschens zog er den im reinsten Goldglanz schimmernden, ursprünglich neusilbernen Theelöffel aus der unterschwefligsauren Goldlösung. Und so eifrig war er bei seinen Arbeiten, daß er seine schon nach einem Monat eintreffende Begnadigung geradezu als eine Störung empfand.

Werner v. Siemens †.

Der Artillerieoffizier, der damals die ersten tastenden Schritte auf dem Gebiet der Elektrolyse that, hat nachher die Welt mit den großartigsten Früchten seines Geistes beschenkt. Er gehört zu den Männern, welche die Telegraphie zum leistungsfähigen Verkehrsmittel ausbildeten, und hat, vieler anderer nicht zu gedenken, die erste größere Telegraphenlinie nicht nur in Deutschland, sondern in Europa gebaut, diejenige von Frankfurt nach Berlin. Er hat 1857 das erste gelungene Tiefseekabel von Sardinien nach Bona in Afrika legen helfen und später mit seinen ihm an Genialität und Schaffenskraft fast gleichstehenden Brüdern Wilhelm und Karl bahnbrechend für die transatlantische Kabelverbindung zwischen der Alten und Neuen Welt gewirkt. Als die dänische Flotte im heißen Jahre 1848 Kiel bedrohte, da reifte in ihm die Idee der elektrischen Minenzündung, und sofort stellte er sie sammt seiner Person in den Dienst der vaterländischen Sache. Er ist der Schöpfer der dynamo-elektrischen Maschine, die heute schon in hundertfältiger Verwendung die geheimnißvolle Kraft der Elektricität dem Menschen dienstbar macht. Und in zahllosen anderen großen und kleinen Erfindungen und Entdeckungen hat er, man darf es wohl ohne Einschränkung sagen, als der erste mitgewirkt an dem riesigen Fortschritt, welchen die NaturWissenschaft in ihrer technischen Verwendung während der letzten fünf Jahrzehnte gemacht hat.

Aus dem knapp gestellten Lieutenant, der die für jene erste Erfindung von einem Juwelier gelösten vierzig Louisdors recht gut brauchen konnte, wenn er nicht auf die Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Versuche verzichten wollte, ist aber auch einer der reichsten Männer geworden, dem die irdischen Schätze in Fülle zu Gebote standen, den die Großen der Erde mit Orden und Auszeichnungen überhäuften, den gelehrte Körperschaften von höchstem Range zu ihrem Mitglied beriefen und den die erste Universität des Reiches schon vor zweiunddreißig Jahren zum Doktor honoris causa ernannte. Aus der kleinen Werkstatt, die Siemens 1847 zusammen mit seinem langjährigen treuen Gefährten Halske mit Hilfe eines geliehenen Kapitals in der Schöneberger Straße zu Berlin anlegte, ist ein Welthaus erwachsen, das neben dem Hauptgeschäft in Berlin Zweiganstalten in Charlottenburg, Petersburg, Wien und Tiflis unterhält und aus dem auch das jetzt selbständige Londoner Haus hervorgegangen ist.

Siemens war ein Mann aus eigener Kraft, eine Charakterfigur in unserem Zeitalter, wie wir sie uns bezeichnender und zugleich wohlthuender nicht denken können. Er freute sich dessen, daß es ihm gelungen war, seine günstige Lebensgestaltnng der eigenen Arbeit zu verdanken. Aber er war doch zu klug und zu bescheiden, um die glücklichen Umstände zu übersehen, welche zu seiner Förderung beitrugen. Er rechnete dahin schon seine Aufnahme in die preußische Armee und in den Staat des Großen Friedrich; noch mehr aber das glückliche Zusammentreffen, daß sein Leben gerade in die Zeit der schnellen Entwicklung der Naturwissenschaften fiel und daß er sich „besonders der elektrischen Technik schon zuwandte, als sie noch ganz unentwickelt war und daher

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_868.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2024)