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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und er erscheint wieder, feurige Gluth in den braungelben Augensternen, er breitet die mächtigen Schwingen aus und ruht einen Augenblick auf der Welle, in den Fängen einen großen Hecht. Dann schwingt er sich empor in die Lüfte, die Beute zum sicheren Horste zu tragen.

Die Seeküste ist des Seeadlers eigentliche Heimath, aber er kommt auch in das Innere des Landes und läßt sich für kürzere oder längere Zeit an Flüssen oder Seen nieder. Er ist 85 bis 95 cm lang und seine Flugweite beträgt 230 bis 240 cm. Kein Wunder also, daß er so gefürchtet wird. Nur die großen Thiere, wie Pferde und Kühe, sind vor ihm sicher: sonst greift er den Fuchs an und holt den wehrhaften Marder vom Aste weg, er stößt auf die Rehkälber und schlägt den Hasen im vollen Laufe, und es ist durchaus keine Fabel, daß er sich auch an Kindern vergreift. Fischfang treibt er auch im Binnenland; bis in die Tiefe des Wassers verfolgt er die Fische, wobei er als Stoßtaucher arbeitet.

Einen prachtvollen Anblick bietet der auf unserem Bilde mit seiner Beute über der Welle schwebende Seeadler. Mit der Beschreibnng einer anderen ebenso schönen Scene möchten wir aber die Begleitworte zu diesem Bilde schließen.

„Ein Seeadler“, schreibt ein Meister der Naturgeschichte, Lenz, „schwebte Beute suchend über der Havel und entdeckte einen Stör, auf welchen er sogleich herabschoß; allein der kühne Adler hatte seiner Kraft zu viel zugetraut: der Stör war ihm zu schwer, und es war ihm unmöglich, denselben aus dem Wasser emporzuheben: jedoch war auch der Stör nicht stark genug, den Adler in die Tiefe hinahzuziehen. Er schoß wie ein Pfeil auf der Oberfläche des Wassers dahin; auf ihm saß der Adler mit ausgebreiteten Flügeln, so daß beide wie ein Schiff mit Segeln anzusehen waren. Einige Leute bemerkten das schöne Schauspiel, bestiegen einen Nachen und fingen sowohl den Stör wie den Adler, welcher sich so fest in den Fisch eingekrallt hatte, daß er sich nicht befreien konnte.“

Winteridyll.
Zeichnung von M. Röbbecke.

Ein Wort für die Halligen. Zum Schutze der Halligen, jener vom Ocean immer mehr gefährdeten kleinen Inseln an Schleswigs Westküste, ruft ein genauer Kenner von Land und Leuten, Dr. Eugen Träger, in seiner Schrift „Die Halligen der Nordsee“ (Stuttgart, Engelhorn) die Regierung auf. Diese Jnselchen, Ueberbleibsel des früher weit nach Westen reichenden Festlandes, ragen zur Zeit der Fluth kaum meterhoch über den Wasserspiegel empor. Es giebt nur noch elf solcher Eilande, die etwa 500 Bewohner zählen; die größte Insel, Langeneß-Nordmarsch, ist etwa 1000 Hektar, die kleinste, Norder-Oog, 17 Hektar groß; sie alle scheinen dem sicheren Untergang geweiht, wenn nicht noch in letzter Stunde dem Zerstörungswerk des Meeres durch geeignete Befestigungsarbeiten Einhalt geboten wird. Nicht nur nagt Welle auf Welle an diesem preisgegebenen Stück Landes, nicht nur bröckeln die Eismassen Scholle auf Scholle ab; eine hereinbrechende Sturmfluth kann größere Theile der Inseln unter ihren Wogen begraben. Von der Gewalt solcher Sturmfluthen berichtet die Ueberlieferung schreckhafte Kunde. Am 11. Oktober 1634 ertranken über 7000 Menschen und 50000 Stück Vieh; damals wurde die große Insel Nordstrand gänzlich zertrümmert. Am 25. Dezember 1717 wurden auf Hooge 12 Häuser fortgespült und 60 zerstört, auf Nordmarsch 19 weggespült und 48 zerstört. Die letzte große Sturmfluth fand in der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1825 statt. Einen gewissen Widerstand leistet das Erdreich der Halligen dadurch, daß seine Thonschichten durch den Kalkgehalt zahlloser eingelagerter Muschelschalen einigermaßen gefestet werden.

Wie aber kann man die Halligen gegen die fortschreitende Zerstörung schützen? Der von Dr. Träger entwickelte Plan schließt sich an die Erfahrungen an, die man an der Festlandsküste Schleswig-Holsteins gemacht hat, wo durch Auffangen des Meeresschlammes Neuland gebildet wird. Die aus dem Binnenlande kommenden Ströme bringen eine Menge sehr fein vertheilten, fruchtbaren thonigen Schlammes mit sich ins Meer, den sogenannten „Schlick“. Er wird von den Wellen wegen seiner Leichtigkeit hinuntergetragen und von den Meeresströmungen durch die Watten mit der Fluth wieder ans Festland herangeschwemmt. Vom Festland aus werden nun Dämme oder „Buhnen“ mehrere Kilometer weit ins Meer gebaut, in deren Winkeln sich der fruchtbare Schlamm ansetzt.

Das geschieht verhältnißmäßig rasch, so daß es nicht allzulange dauert, bis zwischen zwei Buhnen ein Stück neuen Landes geschaffen wird, das dann durch standhafte Winterdämme geschützt werden kann und damit endgültig dem Festland gewonnen ist. In entsprechender Weise kann man die Halligen retten. Eine derselben, die nur 4 Kilometer vom Festland entfernte Hamburger Hallig, ist auch bereits so geschützt worden, indem der verdienstvolle Bauinspektor Matthiesen 1872 die Insel mit dem Festland dnrch einen Faschinendamm verband; an diesem Damm haben sich jetzt schon große Strecken neuen Landes angesetzt, die eine für die Festigung des gewonnenen Bodens mächtige Vegetation von Salicornia herbacea, dem sogenannten Queller, tragen. Damit ist der Weg gezeigt, wie man den Vorstellungen und Eingaben der Bewohner der Halligen seitens der Behörden entgegenkommen kann. Die Frage des Halligenschutzes wird bereits im preußischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten erwogen; man beschäftigt sich schon mit der Vermessung des von der Hamburger Hallig gewonnenen Landes. Und so ist’s recht, denn kein Stück deutschen Landes, sei es noch so klein, darf verloren gehen!

Spielzeughändler in Berlin. (Zu dem Bilde S. 873.) Wir schlendern die Friedrichstraße entlang. Es geht langsam vorwärts, denn ein breiter Menschenstrom bewegt sich vor uns, und an allen Straßenkreuzungen staut sich die wandelnde Menge zu Seiten der mit lautem „He!“-Rufe ab- und zujagenden Droschken oder der klingelnden Pferdebahnen. Der ganze Straßenzug ist eine ununterbrochene Folge von glänzend erhellten Schaufenstern, in denen die schönsten Ausstellungen zur Bewunderung und zum Kaufe laden. An den Fenstern der Juweliere, der Mark- und Dreimarkbazare, der Spielwarenhandlnngen drängen sich größere Gruppen; sie bewundern die kostbaren Dinge, die prächtigen Puppen von der Größe sechsjähriger Mädchen in eleganten Toiletten, das Spielzeug für die verwöhnten Kinder der Reichsten. Da erschallen plötzlich hinter uns von dem asphaltierten Straßendamm her, aus einer dichten Gruppe von Neugierigen heraus, die echten unverfälschten Berliner Laute: „Altersversorgungsmaus, ufjefunden in die Pyramiden vont Ejipten!“ Es ist ein Mann mit einem viereckigen, brettartigen, an einem Bande um die Schulter gehängten Kasten, der sein Spielzeug anpreist. Zwischen dem Ausrufer und dem Rande des Bürgersteigs, auf dem sich die neugierigen Zuschauer gestaut haben, läuft irgend etwas auf dem glatten Boden im Kreise herum: eine Maus, die der Händler am Faden hält – die „Altersversorgungsmaus“! Der Witz stammt aus der Zeit der Einführung des Altersversicherungsgesetzes, er zieht noch heute oder ist wenigstens von den Ausrufern noch durch keinen neueren und zeitgemäßeren ersetzt worden. Aber man kann nicht wissen, ob der Berliner Straßenwitz nicht über Nacht ein neues Schlagwort erfindet. Der Maus selbst haben sich inzwischen die verschiedensten anderen krabbelnden Dingerchen zugesellt, ohne jene doch ganz zu verdrängen. Die Mechanik dieser laufenden Mäuse ist die denkbar einfachste. In dem hohlen Blechkörper liegt eine Drahtwelle mit zwei Rädern, auf die Welle ist ein Faden gewickelt, den man herunterschnurren läßt; dadurch läuft die Maus ängstlich im Kreise umher und sieht sehr lebenswahr aus.

Auf derselben einfachen Vorrichtung beruhen auch kompliziertere Gestalten: Krokodile, die beim Laufen auch noch den Schuppenschwanz heben und senken, große Fliegen, die ihre sechs Beine bewegen, als ob sie wirklich daherkrabbelten; trippelnde Damen mit Sonnenschirmen. Sehr lustig war der Dienstmann, der seinen Karren schob und die Beine gar drollig steif eins vors andere setzte. Jede Woche bringt etwas „Neues“, aber dazwischen erhält sich immer noch das graue oder weiße Blechmäuslein, das nur einen Groschen kostet: die „Altersversorgungsmaus“.

„Jahr und Tag.“ Das Recht, namentlich das des Mittelalters, hatte verschiedene Fristen, deren Bedeutung dem heutigen Geschlecht nicht mehr ganz geläufig ist. Wenn wir heute „ein Jahr und ein Tag“ sagen, so verstehen wir darunter ein volles Jahr und einen vollen Tag dazu. Dem war aber nicht immer so. Als die Zahlensymbolik noch blühte, da kannte auch das Recht eigenartige „Zugabe-Zahlen“. Die sechswöchige Frist beruhte auf dreimaliger Wiederholung der vierzehntägigen Frist mit einer Zugabe von drei Tagen; sie dauerte also „dreimal vierzehn Tage

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 895. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_895.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)