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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

Herbert gegen solche verderbensprühende Ungeheuer ausziehen müßte! Sie lieh diesem Gedanken besorgten Ausdruck.

„Das ist nun einmal unser Handwerk, Fräulein Hilde, oder vielmehr unsere Pflicht gegen das Vaterland. Und diesem meinem Beruf mit jedem Blutstropfen zu dienen, ist mein höchstes Glück, denn einen edleren, männlicheren kenne ich nicht. Sollte ich ihn einmal aufgeben müssen – ich glaube, nichts in der Welt könnte mich für diesen Verlust entschädigen!“ Er war einen Augenblick ernst geworden.

„Ach, dürften wir Frauen wenigstens mitkämpfen und mitsterben, wenn unsere Lieben in Krieg und Tod gehen! Was nützt es, zu Hause zu bleiben und zu jammern!“ rief Hilde blitzenden Auges.

„Aber zur See würden etwa mitziehende streitbare Damen bald genug haben, und gewiß auch Sie! Warten Sie nur, unser Wikingerschiff beginnt bereits recht tiefe Verbeugungen zu machen!“

Allein Hilde klatschte zur Antwort entzückt in die Hände, so daß Frettwurst über ihre Tapferkeit seinen Mund aufs wohlwollendste verzog. Muthwillig griff sie über Bord und ließ den Schaum einer sich brechenden glasgrünen Welle über ihren Arm laufen.

„Um Gotteswillen Sie machen sich ja ganz naß!“

„Schad’t nichts!“ Uebermüthig, wie der Ruf erklang, schwenkte sie den weißen Arm, von dem das Wasser in den Aermel rann.

„– – Hoch hinaus, mein Drache gut!
Bade dir die schwarzen Seiten lustig in der salz’gen Fluth!
Heb’ die Schwingen zu den Wolken, wie dein Schweif die Welle schlägt,
Fleug, so fern die Sterne leiten und die Welle folgsam trägt!“

Laut strömten die begeisterten Worte von ihren Lippen.

„Das haben Sie wohl aus der Frithjofssage, Fräulein Hilde?“

„Sie fragen erst – kennen Sie die herrliche Dichtung nicht?“

„O doch, vor aschgrauen Zeiten las auch ich die schöne Sage von Frithjof dem Starken und der tugendhaften holden Ingeborg. Als ich das Buch aber das letzte Mal sah auf einer Bank am hohen Meeresbord, drückte ich nur einen Kuß darauf – freilich nicht auf den Namen Ingeborg, sondern auf einen anderen – und legte eine kleine Blume hinein. Aber jetzt muß ich mir doch auch den Inhalt wieder näher anschauen. Wie wär’s, wenn ein gewisses liebes Exemplar als Ersatz für ein kleines goldenes Symbol der Treue in meinen Besitz überginge? – Nun? So nachdenklich mit einem Male? War das Verlangen anmaßend? Ist Ihnen nicht wohl? Frettwurst, präsentieren Sie dem gnädigen Fräulein einen Schiffsbranntwein und etwas Zwieback!“

Hilde lächelte. „Falscher Verdacht, mein Herr Wiking, mir könnte auf dem festesten Lande nicht wohler sein! Uebrigens wird mein ‚Fritjof‘ stolz sein auf seinen neuen Herrn.“

Sie strich sich über die Stirn. Der Sonnenschein des Augenblicks hatte den Schatten der Erinnerung wieder verscheucht. Und schon stand auch Frettwurst vor ihr, bescheiden auf das kleine „Katteker“ herunterschmunzelnd und geschickt in dem jetzt sehr unruhigen Fahrzeug das Gleichgewicht bewahrend. Auf der silbernen Tablette stand eine zierliche Flasche nebst zwei Gläschen und einem Teller mit feinem Gebäck.

Herbert schenkte ein. „Prüfen Sie erst, ab es Ihnen auch schmeckt, Fräulein Hilde!“

Hilde tat es zögernd; aber das Getränk mundete. „Das soll ,Branntwein‘ sein, Herr Wiking? Seit wann sind die Herren Seeleute denn so für das Süße?“

„Seit sie solche süße Gäste mit sich führen dürfen. Also – auf gute Kameradschaft, glückliche Heimkehr und frohe Zukunftsfahrt!“

Sie stießen an und schauten sich dabei tief in die Angen.

Frettwurst blinzelte scheinbar geradeaus, dachte jedoch das Seinige, und sein vorzügliches Mienenspiel hatte für ihn den Erfolg, daß Herbert ihm zurief: „Sie können sich auch einen genehmigen, Frettwurst! Aber von dem richtigen!“ –

In solcher Unterhaltung ging die Fahrt unaufhaltsam vorwärts. Das Meer war unruhiger geworden, die „Bachstelze“ lag gehörig schief, das Wasser schäumte über Bord und das Großsegel war bis oben hin benetzt. Jeden Augenblick bäumte das Boot hoch auf, ritt spielend über den Wogenrücken hinweg und schoß, wie um einen Anlauf für den nächsten Berg zu nehmen, mit geneigtem Kopfe thalabwärts. Hilde vermochte sich nicht satt zu sehen an dem Ansturm der grünen weißbehelmten Riesen. Jedesmal, wenn ein besonders drohender, aus der Ferne sich herwälzend, näher und näher kam, paßte sie in freudiger Erregung auf den Augenblick, bis der Gigant zur Stelle war.

„Jetzt!“ rief sie dann. „Nein noch nicht, aber gleich! So –!“

„Da haben wir ihn! Welch ein Bursche! Halten Sie sich fest!“ mahnte Herbert, und mächtig ward die „Bachstelze“ emporgeschleudert, um dann graziös weiter zu tänzeln.

„Wollen Sie einmal steuern, Fräulein Hilde?“

„Wenn ich darf!“

„Kommen Sie her! Wir müssen den Platz wechseln!“ Entzückt saß Hilde jetzt am Ruder. Ihre Händchen hielten mit äußerster Muskelanspannung den Kopf der Steuerpinne fest, während sie mit dem Fuße sich energisch gegen eine Bootsrippe stemmen mußte, um einen Halt gewinnen und dem Druck widerstehen zu können, der gegen das Steuer wirkte.

Herbert hielt sich zu augenblicklichem Eingreifen bereit und genoß in vollen Zügen den Reiz des frischen Bildes. Konnte es etwas Anmuthigeres geben als dieses vor Lust und Muth glühende Mädchen, das wie eine Rose von glänzenden Wassertropfen benetzt war, während die Haare unter dem verwegenen Mützchen wild flatterten und der geschmeidige Körper sich kraftvoll zurückbog?

„Nicht wahr, so leicht ist es gar nicht?“

„Nein, aber noch kann ich’s aushalten!“

„Ein wenig mehr an den Wind steuern – ‚anluven‘ nennt man das! Die Brise wird zu steif. So! Nun geht’s etwas ruhiger.“

In diesem Augenblick brauste eine Küstenjacht hart an der „Bachstelze“ vorüber.

Herbert, der heimlich aufgepaßt hatte, lachte laut über den plötzlichen Schrecken Hildes, welche das Schiff hinter dem Segel nicht gesehen hatte. „Sehen Sie, so entstehen die Zusammenstöße auf dem Meer! Ein richtiger Steuermann muß alles im Auge behalten!“

Rasch, wie sie gekommen war, schwand die Bestürzung des Mädchens. Die grüngestrichene Lastjacht, obgleich gar nicht zierlich, bot einen prächtigen Anblick. Auch ihre röthlichen Segel waren durchnäßt, in Strömen floß das Wasser von ihrem Deck ab, wenn sie die breite Brust hoch aus der See hob.

„Hurra!“ rief Hilde, von Begeisterung hingerissen, indem sie ihr Mützchen nach dem Kauffahrteischiff hinüber schwenkte.

Der kranzbärtige Mann, der, in Südwester und Oelrock eingemummt, am Steuer stand, nahm hiervon keine Notiz, doch aus der Luke schaute eben eine Frau mit einem Kind im Arme hervor, welche freundlich mit dem blonden, von einem zurückflatternden rothen Tuche umhüllten Kopfe nickte.

„Die sind glücklich!“ sagte das junge Mädchen, der Schifferfamilie einen langen Blick nachsendend.

„Wir nicht, Geliebte?“ fragte Herbert leise.

„Wir auch!“

Da senkten sich ihre Augen wieder ineinander.

Und weiter stürmte das Boot! Hilde lernte die Segel voll halten und nach dem schwankenden Kompaß steuern, sie erfuhr, wie man ein Schiff mit Wendung durch den Wind oder bei zu starker See durch weit abführendes „Halsen“ vor den Wind bringe; kurz alle möglichen seemännischen Künste wurden ihr enthüllt, und sie gab sich mit Leib und Seele dem neuen Vergnügen hin. Keine Spur von Seekrankheit trübte ihr die Stunde. Sie vergaß alles, was hinter ihr lag – bis an das Ende der Welt hätte sie so mit dem Geliebten segeln mögen!

Auch Herbert dachte nur an die freudige Gegenwart. Die im Westen aufziehenden, zackig dunklen Wolken und der auffällig springend gewordene Wind störten ihn nicht, da ein schwerer Bleikiel die „Bachstelze“ sehr zuverlässig machte. Nur einmal sah er flüchtig auf die Uhr. „Wann können die Eltern zurück sein?“ fragte er, sich zu Hilde herabbeugend.

„Ungefähr um Mitternacht. Doch muß ich spätestens um Neun zurück sein, Herbert!“

Er nickte. „Es wäre Zeit zum Einnehmen unseres ohnehin verspäteten Fünfuhr-Thees. Hier ist es aber zu ungemüthlich dazu. Wir wollen dort um den Küstenvorsprung gehen, wo ruhiges Wasser ist. Also aufgepaßt!“

Unter locker gegebenem Segel sauste das Boot dahin. Bald war der Vorsprung und hinter ihm eine stille Bucht erreicht. Felder, durch grüne Hecken, Waldflecke und einzelne Ortschaften unterbrochen, lagen in sanfter Steigung malerisch landeinwärts. Hier lachte noch Sonnenschein, die rothen Dächer der Gehöfte in der Nähe des Strandes in warmen Tönen vergoldend.

„So, hier soll’s uns schmecken!“ rief Herbert, und Hilde, die sich bereits eines tüchtigen Appetits erfreute, nickte ihm lachend zu.

Von Thee war nun freilich keine Rede, aber sonst hatte Frettwurst für den Nachmittagsimbiß, zu dem jetzt ein kleiner Tisch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_066.jpg&oldid=- (Version vom 1.6.2020)