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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893)

jene Unreinigkeiten verzehrt und in unschädliche oder geradezu nützliche Stoffe verwandelt werden, so wie etwa von den Pflanzen aus Kohlensäure Sauerstoff, die Lebensluft der Menschen und Thiere, bereitet und ausgeathmet wird. Wo es nicht möglich ist, diesen Pflanzenschutz anzuwenden, gilt es deshalb, den Erdboden gegen Unsauberkeiten und besonders auch gegen Feuchtigkeit zu schützen, was einerseits durch gutes, möglichst wasserdichtes Pflaster auf Straßen und Höfen, in Ställen und anderen der Verunreinigung ausgesetzten Räumen, andererseits durch Ableitung der atmosphärischen Niederschläge und der Haus-, Stall- und Gewerbe-Abwässer zu geschehen hat.

Je näher die Verunreinigungen des Erdbodens der Oberfläche liegen, desto energischer werden sie zersetzt, wie der größere Reichthum an Bakterien beweist; desto ergiebiger ist der Luftwechsel und desto leichter steigt die verdorbene Grundluft in die Häuser empor.

Wasser und Luft befördern diese Zersetzungen, und zwar erreichen sie den höchsten Grad, wenn warme Luft auf feuchten Boden einwirkt; bei uns tritt dies besonders in trocknen und warmen Sommern ein, wo infolge des mangelnden Regens das Grundwasser sinkt. Auf solchem Boden entwickeln sich häufig Typhusepidemien, und dem Ausbruch der letzten Choleraepidemie in Hamburg ging ein auffallend tiefer Stand des Grundwassers und sehr heißes Wetter voraus. Aehnliche Beobachtungen sind schon oft und an vielen Orten gemacht worden. Die Reinigung des Bodens kann, wie schon angedeutet, durch Pflanzenwuchs bewirkt werden, wie wir bei gedüngten Aeckern erfahren und bei Rieselfeldern, unter denen durch Quellen und Drainröhren reines Wasser entweichen kann; auch kräftige Durchlüftung, wie beim Pflügen und Umgraben, kann zu demselben Ziele führen. In den Ortschaften aber sind solche Mittel nur in sehr beschränktem Maße anwendbar, sie wirken deshalb auch wenig und langsam.

Selbst tiefe Entwässerung kann nur allmählich und auch nur dann nützen, wenn neue Verunreinigungen vermieden werden. Diesen Zwecken dient zuerst und hauptsächlich das Auffangen und Fortleiten aller unreinen Flüssigkeiten der Häuser, Höfe und Straßen durch wasserdichte unterirdische Kanäle oder Siele; zugleich wird das Grundwasser gesenkt und der Boden getrocknet, was sich alsbald durch Besserung des allgemeinen Gesundheitszustandes bemerklich zu machen pflegt. Viele Städte, wie Danzig, Halle, München, haben seit Durchführung ihrer Kanalisation ihre ehemals hohe Typhussterblichkeit verloren, in anderen wird derselben Ursache die Abnahme der Schwindsucht zugeschrieben.

Die Ableitungsröhren müssen so dicht sein, daß nirgends etwas von ihrem flüssigen oder luftförmigen Inhalt entweichen kann, da in ihnen ganz besonders giftige Luftarten sich entwickeln. Sie müssen deshalb gegen Frost, sowie gegen Erschwerungen oder Senkungen des Bodens gesichert und durch kräftige Strömung und Spülung vor Verstopfungen bewahrt sein, während an ihren Mündungen sichere Wasserverschlüsse die Entweichung von Sielluft zu verhindern haben. Fehler in einer dieser Beziehungen, die aus falscher Sparsamkeit bei der Anlage oder aus Unachtsamkeit oft genug begangen werden, rächen sich durch Hausepidemien von Typhus, Diphtherie und anderen Krankheiten, deren Ursachen häufig schwer entdeckt und dann nur mit großen Mühen und Kosten beseitigt werden können. Ein englischer Arzt, Pridgin Teale, hat vor einigen Jahren ein höchst dankenswerthes Buch veröffentlicht, das unter dem Titel „Lebensgefahr im eignen Hause“ von der Prinzessin Christian von Schleswig-Holstein übersetzt und von Professor Dr. von Esmarch in Kiel mit einer Vorrede versehen worden ist.[1] Durch vorzügliche Abbildungen mit ganz kurzen Erklärungen führt es diese Verhältnisse in gelungenster Weise und auch für deutsche Einrichtungen passend vor Augen. Die ziemlich allgemeine Unkenntniß dieser Gefahren rechtfertigt es, daß als erster Grundsatz aufgestellt ist:

„Es ist die Pflicht jedes Familienvaters, sich davon zu überzeugen, ob sein Haus die bekannten Gefahren für die Gesundheit birgt oder nicht.“

Die Siele erfordern ausreichende Lüftung, wozu in erster Linie die von den Dächern kommenden Regenröhren dienen können, da diese die gefährlichen Sielgase auf unschädliche Weise in den höheren Luftraum ableiten; außerdem aber bedürfen sie einer kräftigen Spülung, damit Ansammlungen und Stockungen verhütet oder fortgeschwemmt werden. Für das Haus ist es am zweckmäßigsten, auch die Aborte so an die Schwemmsiele anzuschließen, daß jede Aufspeicherung der Fäkalien sowie jede Boden- und Luftverderbniß durch dieselben verhütet wird. Es ist aber auch nöthig, die Kanäle soweit fortzuleiten und den endlichen Verbleib ihres Inhalts so einzurichten, daß daraus keine Schädigung, namentlich keine Flußvergiftung, entstehen kann. Die Flüsse besitzen ja, wie ich dies schon in dem Artikel über die Wasserversorgung der Städte (Nr. 51 des vorigen Jahrgangs) auseinandergesetzt habe, eine gewisse, aber begrenzte Fähigkeit, die ihnen überlieferten organischen Bestandtheile in unschädliche Stoffe zu zerlegen; könnten diese Grenzen überschritten werden, so ist eine vorherige Reinignug der Sielwässer unter Zurückhaltung ihrer festen Stoffe geboten. Dazu dienen am besten, soweit bis jetzt ermittelt ist, sogenannte „Rieselfelder“, in denen die organischen Bestandtheile der Sielwässer von Pflanzen verzehrt werden, so daß aus den tiefen Sammelröhren ziemlich reines Wasser abläuft.

Wo die Aborte nicht an Schwemmsiele angeschlossen werden können, ist jedenfalls durch dichten Verschluß, Streumittel, Ableitung der Dünste und stetige Lüftung des Raumes das Eindringen der Gase in die Wohn- und Schlafzimmer sowie jede Verunreinigung des Bodens auszuschließen. Je nach den Ortsverhältnissen sind große dichte Gruben oder Gefäße anzuwenden, die durch fahrbare Maschinen vermittelst Luftdrucks ausgepumpt werden, oder trag- und fahrbare Gefäße, die während des Fortbringens luftdicht verschlossen sind. Nicht wasserdichte Gruben, lange Anreicherung des Inhalts sowie Entleerung ohne Luftabschluß sind nicht bloß ekelhaft, sondern auch gesundheitswidrig. Die Abfuhrsysteme bieten den Vortheil, daß keine Rieselfelder nöthig sind, der höchst werthvolle Dünger aber nach Belieben überallhin versendet werden kann. Leider sind aber oft die Frachtkosten hinderlich, und man hat deshalb vielfach den Ausweg ergriffen, durch Herstellung sogenannter „Poudrette“, d. h. durch Eindickung der Massen, jene zu vermindern. Hoffentlich wird es mehr und mehr gelingen, die Städte rasch und ohne Belästigung von diesen gefährlichen Stoffen zu befreien, zugleich aber diese für die Gärtnerei und Landwirtschaft nutzbar zu machen.

Kaum minder schädlich, aber viel schwerer zu hüten und zu beseitigen, sind die flüssigen und festen Abgänge von Viehställen, deren Einrichtung in den Städten überdies in Bezug auf Lüftung und Reinlichkeit höchst mangelhaft zu sein pflegt. Krankheiten der Thiere, namentlich Tuberkulose, sind hier sehr häufig und bedrohen die Gesundheit noch mit anderen Gefahren, so daß das Verlangen gerechtfertigt ist, es möchten Rinder- und Schweineställe aus den Städten, wenigstens aus ihren dichter bebauten Theilen gänzlich entfernt, überall aber genügende Schutzmaßregeln gegen Verunreinigung von Luft, Boden und Wasser vorgeschrieben und streng aufrecht erhalten werden.

Straßen- und Hauskehricht, Asche, Küchen- und andere trockne Abfälle müssen gleichfalls, um Zersetzungen ihrer nicht unbedeutenden fäulnißfähigen Bestandtheile zu verhüten, in kurzen regelmäßigen Fristen abgefahren werden, bis dahin aber trocken und ohne Verstäubung etc., am besten in leichten, mit Deckeln versehenen Metallgefäßen, aufbewahrt bleiben. Ihre Verwendung begegnet wegen ihres geringen Düngerwerthes oft noch größeren Schwierigkeiten. Da sie aber meistens noch mancherlei werthvolle Dinge enthalten, wie Koks und Kohlen, Knochen, Lumpen, verlorene Gegenstände von Werth u. a. m., so ist, wenigstens in größeren Städten, eine Sonderung nöthig, oft sogar ganz einträglich. Der Rest wird dann entweder mit anderem Material zu Dünger verarbeitet oder unmittelbar als solcher auf Wiesen verwendet oder endlich, wie in manchen englischen Städten, in eigenen Oefen verbrannt. Auf keinen Fall ist eine Benutzung von Kehricht (und Bauschutt!) zur Auffüllung von Straßen und Baugründen oder gar zur Füllung von Hohlmauern und Zwischendecken in Wohnhäusern zulässig, da ihr Reichthum an organischen, langsamer Zersetzung anheimfallenden Stoffen und an Krankheitskeimen verschiedener Art die Gesundheit der Bewohner mit ernsten Gefahren bedrohen würde. Auch darüber sind bereits zahlreiche unangenehme Erfahrungen gesammelt worden.



  1. Kiel und Leipzig 1888. Verlag von Lipsius und Tischer. Vergl. auch „Gartenlaube“ 1889, Nr. 2.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1893). Leipzig: Ernst Keil, 1893, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1893)_075.jpg&oldid=- (Version vom 8.9.2021)